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Re: [InetBib] Kulturunterschiede, Informatiker, individuelle Beduerfnisse



Hallo Markus,

ich finde das Thema, das du hier ansprichst sehr interessant und kenne
es selber aus meinem Berufsalltag und möchte deine Ausführungen gerne
noch um ein paar Punkte ergänzen.

Wenn jemand das Wort ``Informatiker'' in einem Satz mit
``Stellenausschreibung'' und ``Bibliothek/Archiv'' verwendet,
dann kommt jedesmal in einem der Folgesaetze die Aussage von
nicht genug Geld, das man bieten koenne.

Jedes Mal denke ich mir, dass das sicherlich so stimmt, und doch
auch gleichzeitig voll am eigentlichen Problem vorbei geht.

Bei vielen Stellenausschreibungen denke ich mir: Muss es denn wirklich
ein Informatiker sein?

Häufig wird mit Tätigkeiten, die z.B. mit dem Aufbau von IT-Systemen
in Zusammenhang stehen, assoziiert, dass man hierfür eine Person mit
einem Informatikstudium benötigt oder dass man im Allgemeinen mehr
Personen mit Informatikkenntnissen einstellen müsste, um "das mit der
Digitalisierung" hinzubekommen. Ich denke für die meisten Projekte
sind keine (reinen) Informatiker notwendig, sondern vielmehr
Bindestrich-Informatiker oder einfach Personen, die sich fachlich im
Arbeitsgebiet der Enduser, z.B. der Bibliothek oder dem Archiv,
auskennen und gleichzeitig grundlegende IT-Kennnisse besitzen und die
Sprache verstehen. Viele der heute verfügbaren IT-Systeme sind über
grafische Oberflächen konfigurierbar oder es gibt High-Level Tools, um
mit Daten zu arbeiten ohne über tiefgehende Kenntnisse in
Programmierung oder Software Entwicklung zu verfügen. Davon abgesehen
sind die meisten IT-Projekte im Kern doch
Organisationsentwicklungsprojekte bei denen die IT nur maximal 20% des
Workloads ausmacht und die meiste Arbeit in den Anforderungs- und
Prozessdefinitionen liegt.

Ich bin mir sicher, wuerde man gleich viel Geld zahlen, wie fuer
gleichwertige Jobs in der Industrie gezahlt wird, dann wuerde
man die gewuenschten Informatiker auch nicht bekommen. Man
wuerde mehr Informatiker bekommen als derzeit, das schon, aber
das Problem waere noch immer vorhanden.

Geld ist aber auch nicht unwichtig. Wenn ich sehe, dass man
Fachinformatikern nach der Ausbildung eine E6 Stelle anbietet und das
Gehalt für Berufsanfänger in der Wirtschaft eher im Bereich E9/E10
liegt, muss man sich nicht wundern, wenn die guten Leute nach der
Ausbildung woanders hingehen. Eine Eingruppierung in E11/E12 für
akademisch ausgebildete ITler ist durchaus konkurenzfähig zu den
Gehältern in der Wirtschaft und man ist dort auch schon in einem
Bereich, wo nicht-monetäre Faktoren wichtiger werden.

Gleichzeitig müsste man wegkommen vom formalen Denken in Abschlüssen.
Wenn jemand "nur" einen Bachelor Abschluss hat, aber tolle Arbeit
leistet und Experte in einem Bereich ist, warum sollte man diese
Person nicht auch auf eine E13 Stelle einstellen können und das
Engagement belohnen?

Das Problem auf das Geld abzuwaelzen, enthebt einen nur selbst der
moeglichen Schuld. Am Geld kann man ja nichts machen. Tja, schade.
*schulterzuck*

Viel mehr liegt es aber an der Kultur!

Das ist für mich der wichtigste Punkt ich stimme dir voll und ganz zu.
Das fängt schon bei der Stellenausschreibung und der Bewerbung an.

Die Stellenanzeige ist nur in einem PDF Dokument und nicht auf einer
Website verfügbar? Schon aus Höflichkeit und Respekt vor dem mobilen
Datenvolumen meiner Freunde kann ich einen solchen Link nicht
weiterleiten.

Eine Bewerbung ist nur per Post nicht per E-Mail möglich? Als ich mich
auf meine jetzige Stelle beworben habe, musste ich erstmal meinen
Drucker aus dem Keller holen, entstauben und googlen wie das nochmal
mit den Briefmarken ging und wo man sowas kaufen kann. Habe auch schon
von anderen erzählt bekommen, dass sie extra bis zum letzten Tag der
Bewerbungsfrist gewartet und dann ihre Bewerbung trotzdem per E-Mail
geschickt haben mit dem Hinweis, dass es so kurzfristig sei und die
Zeit ja nicht mehr für einen Brief reichen würde.

Und moeglicherweise bin nicht nur ich anders, sondern fast
alle Informatiker. ... koennte ja sein. Dann koennte es auch
sein, dass ihr einfach ueberhaupt keine Ahnung von unseren
Beduerfnissen habt. (Jedenfalls ist man von meinen immer
wieder sehr ueberrascht.)

Ich finde das Arbeitsumfeld und die Arbeitswerkzeuge machen auch sehr
viel aus. Als Teil der von dir schon genannten Generation Y bin ich es
schon aus der Schulzeit gewohnt Instant Messenger wie damals ICQ zu
nutzen oder im Studium haben wir Lern- und Arbeitsgruppen über
Hangouts organisiert und unserer Gruppenarbeiten in Google Docs
erstellt. Im Arbeitsalltag öffentlicher Einrichtungen dominiert
weiterhin Papier, Telefon und E-Mails mit Word Dateien in der x-ten
Version.

Man hat so häufig das Gefühl, dass man im privaten die bessere
Hardware und Tools zu Hause hat als auf der Arbeit. Im Idealfall wäre
es umgekehrt und auf der Arbeit kann man mit den teuren Spielzeugen
arbeiten, die mans sich zu Hause nicht leisten würde.

Nun gut, das Ergebnis kann ja auch sein, dass man nicht
angemessen weit genug entgegen kommen kann oder will, damit
ein fairer Kompromiss entsteht -- mag ja sein -- aber dann
will ich nicht mehr hoeren muessen, dass das Geld schuld
daran sei, dass die Informatiker nicht kommen! (Und
impliziert: dass man daran ja nichts aendern koenne.)

ITler sind es gewohnt in einem sich extrem schnell verändernden Umfeld
zu arbeiten und sich ständig mit Neuerungen vertraut machen zu müssen.
Viele haben genau daran auch Spaß, sind Neugierig und grundsätzlich
offen für neue Technologie. Das steht oft im genauen Gegensatz zur
Kultur in öffentlichen Einrichtungen, die auf Gewohnheit, Sicherheit
und keine Experimente eingestellt sind.

In erster Linie handelt es sich um einen tiefgreifenden
Kulturkonflikt, der, in meiner Erfahrung, nicht als solcher
erkannt und nicht aktiv angegangen wird. Man tut so, als
gaebe es ihn nicht.

Die Frage ist nun, wie kann man ein Bewusstsein dafür schaffen und
aktiv Veränderung bewirken. Oder es zumindest für einen selbst
erträglich machen.

Beste Grüße
Andreas


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