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Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen (ab Ende Juli 2019 läuft nix mehr!)



Lieber Herr Müller,

1. Gewiss kann ich analoge Kopien lizenzierter E-Books / E-Journals etc. 
anfertigen - aber darf ich sie auch in Papierform den Nutzern verfügbar machen? 
Wohl eher nicht, denn §60e (1) gestattet die Vervielfältigung nur zu bestimmten 
Zwecken: Zugänglichmachung (an Terminals), Indexierung, Katalogisierung, 
Erhaltung und Restaurierung. Aber analoge Kopien wären sowieso kein 
praktikabler Weg, zumal für die großen Literaturpakete: Mal eben zig-tausend 
E-Books ausdrucken und zur späteren Nutzung im Magazin einlagern - das kann 
doch wohl kein ernst gemeinter Vorschlag sein!

2. Mit dem Kopierschutz mögen Sie ja Recht haben. Das löst aber nicht meine 
Probleme mit dem Vertragsvorrang nach § 137o und § 60g (2). Der gilt für alle 
Materialien, egal ob digital oder analog, ob mit oder ohne Kopierschutz.

3. Es ist doch völlig unerheblich, welchem Ausschließlichkeitsrecht die 
Terminalnutzung unterfällt. Es gibt einschlägige Schranken hierzu in der 
InfoSoc-Richtlinie und im UrhG, und insofern ist vom Gesetzgeber klargestellt, 
dass ein bestehendes Urheberrecht eingeschränkt wird, in welchen Fällen die 
Schranke wirkt und in welchen eben nicht. Zitat InfoSoc-Richtlinie, Artikel 5, 
Abs. 3: "Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder 
Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte" 
(Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe und Zugänglichmachung) "vorsehen: ... 
n) für die Nutzung von Werken und sonstigen Schutzgegenständen, für die keine 
Regelungen über Verkauf und Lizenzen gelten und die sich in den Sammlungen der 
Einrichtungen gemäß Absatz 2 Buchstabe c)" (öffentlich zugängliche Bibliotheken 
etc.) "befinden, durch ihre Wiedergabe oder Zugänglichmachung für einzelne 
Mitglieder der Öffentlichkeit zu Zwecken der Forschung und privater Studien auf 
eigens hierfür eingerichteten Terminals in den Räumlichkeiten der genannten 
Einrichtungen". Wozu die Gesetzesbegründung zu § 60e (4) UrhG ausführt: "Für 
die Zugänglichmachung an Terminals in Bibliotheken nach §60e Absatz 4 UrhG ist 
diese Ausnahme" (Unzulässigkeit der Terminalnutzung, wenn dem vertragliche 
Regelungen entgegenstehen) "wegen der Regelung in Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe 
n InfoSoc-RL2001/29/EG zwingend erforderlich." Heißt im Klartext: Für 
lizenzierte Inhalte ist Terminalnutzung nicht zulässig, wenn ein geschlossener 
Lizenzvertrag sie ausdrücklich untersagt. Der deutsche Gesetzgeber darf das 
leider nicht erlauben, und wenn er's doch getan hätte (was spitzfindige 
Gesetzesauslegungen glauben machen wollen), dann wäre die Erlaubnis unwirksam, 
weil das nationale Recht europarechtskonform auszulegen ist – spätestens am 
Ende des Instanzenwegs beim EuGH. Das haben ja gerade die Verfahren Ulmer/TU 
Darmstadt und Vereniging Openbare Bibliotheken/Stichting Leenrecht gezeigt!

4. Meinen alten Lizenzvertrag kann ich kündigen. Aber ich kann den Lizenzgeber 
nicht zwingen, mir einen Neuvertrag nach meinen Wünschen anzubieten. Es ist 
auch nicht der "gesetzliche Auftrag" einer jeden Bibliothek, Archive zu Allem 
und Jedem anzulegen. Dafür gibt's ein Pflichtexemplarrecht, das regelt, was bei 
welcher National-, Staats- und Landesbibliothek abzuliefern und zu sammeln ist.

5. Ja, Bibliotheken müssen im Zweifelsfall ihre Rechte vor Gericht erstreiten, 
und es wäre zu wünschen, dass dieser Streitpunkt gerichtlich geklärt wird. Für 
meine Bibliothek und ihren Träger muss ich allerdings sagen: In dieser Sache, 
in der ein Scheitern spätestens in Luxemburg abzusehen ist, möchten wir das 
Prozessrisiko nicht eingehen - und halten uns lieber an geschlossene 
Lizenzverträge.

Herzliche Grüße,
Andreas Odenkirchen

Dr. Andreas Odenkirchen
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
Bibliothek
Eschersheimer Landstr. 29-39
D-60322 Frankfurt am Main
Tel. +49(0)69/154007-293
www.hfmdk-frankfurt.de

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Harald Müller 
via InetBib
Gesendet: Montag, 29. Juli 2019 14:11
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen (ab Ende 
Juli 2019 läuft nix mehr!)

Liebe Leute,

Bibliotheken sind Gedächtnisinstitutionen. Das sagen Gesetzgeber, 
Bundesverfassungsgericht, und die Bibliotheks-Verbände. Daraus ergeben sich 
gewisse gesetzlich erlaubte Nutzungen.

1. Gemäß Art. 6. Abs. 4 Satz 2 EU-RL L 167/10 von 2001 mit Verweis auf Art. 5 
Abs. 2c EU-RL L 167/10 ist die Sicherstellung der Anfertigung analoger 
Bibliothekskopien gesetzlich gewährleistet. Ein etwaiger Kopierschutz ist in 
diesen Fällen aufzuheben. Ein E-Book kann auch als Papierkopie genutzt werden.
2. Gemäß § 95a Abs. 1 UrhG muß ein Kopierschutz "wirksam" sein. Wenn ein 
Kopierschutz mit allgemein verfügbarer Software umgangen werden kann, ist die 
gesetzliche Forderung nicht erfüllt.
3. Es darf bezweifelt werden, dass die Terminalnutzung gemäß § 60e Abs. 4 UrhG 
mit einer öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG gleichzusetzen ist. 
Ein Nutzer muß in eine Bibliothek zu deren Öffnungszeiten gehen, um Medien am 
Bibliotheksterminal wahrnehmen zu können. Das erfolgt nicht "von Orten und zu 
Zeiten" seiner Wahl. Deshalb unterfällt die Terminalnutzung dem § 15 Abs. 2 S. 
1 UrhG (unbenannte öffentliche Wiedergabe). Somit kommt § 95b Abs. 3 UrhG nicht 
zur Anwendung.
4. Wenn eine Gedächtnisinstitution vertraglich daran gehindert ist, ihren 
gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, muß sie den Vertrag kündigen und einen neuen, 
gesetzestreuen Vertrag abschließen. Das ergibt sich aus den 
haushaltsrechtlichen Bestimmungen.
5. In Zweifelsfällen haben Bibliotheken früher Musterprozesse geführt (z.B. UB 
Darmstadt). Daran sollten unsere Bibliotheken auch in Zukunft festhalten!

Beste Grüße
Harald Müller


Am 26.07.2019 um 18:22 schrieb Andreas.Odenkirchen@xxxxxxxxxxxxxxxxxx:
Lieber Herr Müller,

ja wenn's denn nur so einfach wäre! Archivieren nach § 60e (1) mag ja 
zulässig sein - aber damit noch lange nicht die Zugänglichmachung an 
Lesesaalterminals nach § 60e (4). Und nur die bringt den Bibliotheksnutzern 
etwas: Ein "Archiv", das niemand nutzen darf, ist ja wohl sinnlos...

Für die Lesesaalterminals schränken § 137o und § 60g (2) den Gesetzesvorrang 
ein zugunsten von bestehenden Altverträgen und spezifischen Regelungen in 
Neuverträgen - also im Prinzip für alle Fälle, in denen man ohne Vertrag 
nicht an die Inhalte herankommt.

§ 137o sichert unmissverständlich den Vertragsvorrang für Altverträge (vor 
dem 1.3.18 geschlossen). Die Regelung für Neuverträge in § 60g (2) ist etwas 
nebulös formuliert. Was sind "Vereinbarungen"? Die Gesetzesbegründung spricht 
abwechselnd von "Regelungen", "Vereinbarungen" und "Verträgen" 
(https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812329.pdf - S. 45f.) und 
verweist auf  Art. 5 (3) n InfSoc-Richtlinie. Dort ist aber immer nur von 
"Regelungen" die Rede 
(https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0029&from=DE
 - L 167/16). Also kann der dauerhaften "Zugänglichmachung" an 
Lesesaalterminals auch durch spezifische Regelungen in einem (neuen) 
Lizenzvertrag ein Riegel vorgeschoben werden. Würde ich als advocatus diaboli 
mal so sagen, und ich fürchte, dass am Ende spätestens der EuGH so 
entscheiden müsste. Die InfoSoc-Richtlinie ist in dem Punkt eigentlich 
glasklar!

Herzliche Grüße,
Andreas Odenkirchen

P.S.: Ich kann auch nicht erkennen, dass die neue EU-Richtlinie "über das 
Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt" an den 
einschlägigen Bestimmungen der InfoSoc-Richtlinie etwas ändert und insofern 
Änderungen am deutschen Recht möglich oder gar notwendig macht. In Art. 6 ff. 
werden zwar die Rechte der Bibliotheken ("Einrichtungen des Kulturerbes") 
ausgeweitet - aber ausschließlich im Zusammenhang mit "Schutzgegenständen", 
die "sich dauerhaft" (!) "in ihren Sammlungen befinden". Womit die zeitlich 
befristet lizenzierten digitalen Bestände gerade nicht gemeint sein können. 
Der Vertragsvorrang für die Terminalnutzung nach Art. 5 (3) n InfoSoc bliebe 
demnach bestehen.

Dr. Andreas Odenkirchen
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Bibliothek Eschersheimer 
Landstr. 29-39
D-60322 Frankfurt am Main
Tel. +49(0)69/154007-293
www.hfmdk-frankfurt.de

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Harald 
Müller via InetBib
Gesendet: Montag, 22. Juli 2019 10:57
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen 
(ab Ende Juli 2019 läuft nix mehr!)

Liebe Leute,

nur keine Panik! Für solche Fälle hat der Gesetzgeber vorgesorgt. Nach § 60e 
Abs. 1 UrhG darf eine Bibliothek ein Werk aus ihrem Bestand zwecks Erhaltung 
(= Langzeitarchivierung) kopieren, auch wenn ein Rechteinhaber dazu seine 
Zustimmung verweigert. Zum Bestand zählt nach dem ausdrücklichen Willen des 
Gesetzgebers auch ein Werk, zu dem /"die Bibliothek auf Basis von 
Nutzungsverträgen mit Inhalteanbietern ihren Nutzern den Zugang gewähren 
darf." /(BT-Drs 18/12329 S. 42). Die Kopie kann digital oder als Ausdruck 
erfolgen. Damit ist gewährleistet, dass das Werk auch nach dem Ende des 
Nutzungsvertrags dauerhaft in der Bibliothek genutzt werden kann. Der 
Gesetzgeber bezeichnet Bibliotheken als "Gedächtnisinstitutionen".

Merke: Bibliotheken sind die institutionelle Garantie der 
Informationsfreiheit!

Harald Müller

Am 21.07.2019 um 18:28 schrieb Christian Spliess via InetBib:
Guten Abend,

vielleicht sollten wir uns nochmal vergegenwärtigen, dass eBooks 
Güter auf Zeit sind. Wir leihen uns die praktisch beim Anbieter aus, 
aber der Anbieter hat immer noch das letzte Wort. Und wenn wir uns 
daran erinnern, dass Amazon beim Kindle bisweilen sehr seltsame 
Löschaktionen vollführte ... Man muss das halt pragmatisch sehen und 
für sich persönlich die Vor- und Nachteile abwägen.  Vielleicht auch 
gerade nicht unbedingt persönlich ... Wie lange die Onleihe besteht z.B. 
weiß nun auch kein Mensch.

Grüße aus Duisburg,
26 Grad, sonnig.

Am So., 21. Juli 2019 um 17:46 Uhr schrieb Klaus Lehmann via InetBib 
<
inetbib@xxxxxxxxxx>:

[zeitgleich in inetbib und forumoeb veröffentlicht)

Guten Tag werte Kollegen,


da passiert was, wovor ich mich als Bibliothekar (oder normaler
Leser) immer gefürchtet habe: die Bücher hören auf zu existieren!

das editorial der c't:
https://www.heise.de/ct/artikel/DRM-Digitale-Enteignung-4471902.htML
auch nachzulesen in der neusten c't vom 20.6.2019 Heft 16 Seite 3

quelle:

https://www.heise.de/newsticker/meldung/Microsoft-Store-eBooks-ab-Ju
l i-nicht-mehr-verfuegbar-4457997.html
(=Heise News)

ich meine, es sollte jedem Kollegen zu denken geben....
z.b. sich zu überlegen: "ich kaufe mir bzw. der Bibliothek Bücher, 
die mir evtl irgendwann nicht mehr gehören."


viele grüße,
ihr klaus lehmann
(radeberg 26 Grad schwül heiss....)

--
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Klaus Lehmann
http://allegronet.de * eMail: allegronet@xxxxxxxxxxx * phone:
03528-452 807(fax 809) * mobil: 0171-953 7843 allegronet.de * Klaus 
Lehmann * D-01454 Radeberg * Bahnhofstr. 1 zuständiges Finanzamt: FA 
Hoyerswerda; zuständige Kammer: IHK Dresden; zuständige
Aufsichtsbehörde: Gewerbeamt Radeberg; USt-IdNr: DE247550760
* Software für zufriedene Bibliothekare: 1000x bewaehrt und ergiebig
* Bereits 4x allegro-utf8. Buchen Sie die allegro-Roadshow. Yes we can!
* Internetkataloge & WebHosting für Allegro-C & Web 2.0 mit VuFind
* 2011-18: Sponsor: Peter-Sodann-Bibliothek+IFLA:allegro-utf8
* 2013-14: Bolero 64bit.+allegro-zdb: endlich. + eBooks
* 2015-16: allegro-vufind.+ allegro-imd.Die weltgrößte(?) 
Filmdatenbank
* 2017-18: Exporte. Marc und Co. Marc ist sehr different
* 2019: All for VuFind!


--
Dr. Harald Müller
Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"


Mail: mueller@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
        hmueller.mpil@xxxxxx
LinkedIn: http://de.linkedin.com/pub/harald-müller/21/650/885/



--
Dr. Harald Müller
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