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Klassische Literaturversorgung gefaehrdet?, war: Re: WWW-Server der



> Ferner gibt es ein
> Formular fuer (kostenpflichtige) Online-Direktbestellungen. Weiteres
> ist, wie ueberall, natuerlich noch im Aufbau.
>
> Fuer Kritik, Vorschlaege und Anregungen sind wir jederzeit offen.
>
> Mit freundlichen Gruessen aus Goettingen
>
> Wilfried Enderle

Sehr geehrter Herr Enderle, ich moechte folgendes anmerken:


Ich habe in Goettingen die folgenden Preise gefunden:

1. Erledigung eines Auftrags fuer Kopienlieferung bis 20 Kopien per  
FAX oder per Post
Bundesrepublik Deutschland                      DM 10,00
        jede weitere Kopie                      DM  0,50
Europa                                          DM 15,00
        jede weitere Kopie                      DM 1,00
Uebersee                                        DM 20,00
        jede weitere Kopie                      DM 1,00

2. Erledigung eines Auftrags per e-Mail (in Vorbereitung)
Bundesrepublik Deutschland                      DM 5,00
        jede weitere Kopie                      DM 0,50
Europa                                          DM 10,00
        jede weitere Kopie                      DM 1,00
Uebersee                                        DM 15,00
        jede weitere Kopie                      DM 1,00

3. Monographien (Ausleihe)
Bundesrepublik Deutschland                      DM 10,00
Europa                                          DM 15,00
Uebersee                                        DM 20,00

4. Mikroformen (Ausleihe)
Bundesrepublik Deutschland                      DM 10,00
Europa                                          DM 15,00
Uebersee                                        DM 20,00


Ich hatte vor einigen Tagen hier in der Liste nachgefragt, ob irgendwo  
eine Fernleihe von Zeitschriftenartikeln ueber email moeglich sei,  
moeglichst zu den ueblichen Bedingungen (kostenlose Kopien).

Erreicht hat mich persoenlich eine Antwort aus Potsdam, die mich an  
Jason-NRW (Journal Articles on Demand) verwies. Lieferung per email  
kostete dort 6 DM fuer privat (3 DM fuer Bibliotheken). Das Verfahren  
erschien mir mit vorher zu loesenden Transaktionsnummern und  
Bestellung ueber telnet unstaendlich.

Insofern ist das Angebot der UB Goettingen eine Verbesserung, da es  
auch die Bestellung ueber email erlaubt.
Dass bei Lieferung (selbst ueber email) nach Empfaengerland  
unterschieden wird, wirkt kurios. Ich nehme an, das hat vornehmlich  
politische Gruende: Kommerzielle Dienste wie Uncover machen diese  
Unterscheidung z. B. fuer die Faxlieferung nicht, sind aber teurer,  
die NLM laesst auslaendische Nutzer aber nicht einmal an Medline  
heran.

Angesichts der fuer mich als privatem Nutzer bisherigen kostenlosen   
Literaturversorgung sind beide Angebote eine Verschlechterung.
Falls ich nicht mehr den Weg ueber meine oertliche Gemeindebibliothek  
gehe, um Fernleihen aufzugeben, erspare ich den beteiligten  
Bibliotheken Zeit und Kosten (der Gemeindebibliothek, der  
zwischengeschalteten naechsten Unibibliothek des Landes, die doch  
meist nach Koeln zur Zentralbibliothek der Medizin weiterleiten muss).  
Durch die elektronische Uebermittlung sollten Rationalisierungseffekte  
durch automatisierte Auftragsbearbeitung moeglich sein.
Das Angebot, im Katalog der UB stoebern zu koennen, ist letzlich fuer  
die Medizin uninteressant, weil derzeit online Paperchase (Medline und  
ein paar andere medizinische Datenbanken) auf Compuserve mit 18$/h von  
keinem mir bekannten nationalen Angebot auch nur entfernt erreicht  
wird. Paperchase ist auch ueber Internet erreichbar.

Sollen die neuen elektronischen Angebote dem bisherigen deutschen  
Fernleihsystem das Wasser abgraben, oder worauf zielen sie langfristig  
ab?

Eine technische Frage: In welchem Format sollen die Artikel per email  
geliefert werden? Als Grafikdatei? Nach meinen Erfahrungen mit  
Faxdateien ein sehr unhandliches Verfahren, weil die Datenmengen dabei  
sehr aufgeblaeht werden und eine Textsuche nicht moeglich ist. Der  
Ausdruck auf dem heimischen Drucker rechnet sich meines Erachtens  
wegen der Druckerkosten und vor allem der verausgabten Zeit nicht.
Interessant koennte die Texterkennung des Scans durch die Bibliothek  
sein, aber ich bezweifle, dass es da schon praktikable Loesungen gibt.  
Auch hier bleiben Tabellen und Grafiken ein Problem.

Ich als privater Nutzer wuerde mir eine zentrale Anlaufstelle fuer die  
Fernleihbestellungen meines Fachgebietes (Zahnmedizin) wuenschen (z.  
B. dadurch nur ein Leihscheinformat).
Nach Lage der Dinge kann die nur in Koeln sitzen. Um Koeln zu  
entlasten, koennten per email aufgegebene Fernleihen automatisch durch  
Abfrage der Kataloge der Unibibliotheken des Landes, aus dem der  
Besteller kommt, an diese zurueckverwiesen werden. So es schon  
elektronische Kataloge der Stadtbibliotheken gibt, waere auch eine  
Verweisung hierauf denkbar.
Von den letztgenannten Bibliotheken aus koennte dann der Versand an  
den Besteller erfolgen.

Die Gebuehren muessten deutlich geringer als die oben genannten sein,  
bei Monographien hielte ich schon die Portogebuehren, die der  
Besteller fuer den Ruecktransport aufwenden muss, als Schutzgebuehr  
ausreichend.

Bei Zeitschriften waere ein gewisse Zahl kostenloser Artikel denkbar.  
Bei Ueberschreiten dieser Zahl (deren Registrierung fuer das oben  
vorgeschlagene zentrale Modell spricht) koennte eine moderate  
Schutzgebuehr erhoben werden. Die obigen Kosten passen nicht in das  
Bild der bisherigen Literaturversorgung. Ebensowenig wie der Schritt  
der UB Goettingen, ihre Dienstleistungen auf dem weltweiten Markt  
anzubieten, nachdem man bislang primaer fuer niedersaechsische Nutzer  
da war. Ich bin gespannt, wie sich fuer diese nicht zahlenden Nutzer  
die Bearbeitungzeiten veraendern werden, wenn die zahlenden die  
Kapazitaeten in Beschlag nehmen.

Wie ich nach meinem Artikel ueber "Literaturrecherche vom  
Schreibtischsessel aus" (Zahnaerztliche Mitteilungen, 1994(84), 616- 
621) durch Zuschriften von Kollegen erfahren durfte, gibt es durchaus  
auch bei Praktikern ein Interesse an wissenschaflicher  
Literaturversorgung.
Bislang scheiterte man abseits der Universitaeten meist schon am  
Nachweis. Das Problem ist mittlerweile behoben. Bleibt die Frage nach  
dem Selbstverstaendnis und den zukuenftigen Aufgaben der  
Unibibliotheken: Oeffentliche Einrichtungen oder kommerzielle  
Dienstleister?

Mit freundlichen Gruessen

M. L.

--
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