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Re: Filter-Software



Die Mails von W. Bleh und M Schaarwaechter offenbaren, wie schwierig
es ist, juristisches Denken einem Laien verständlich zu machen.
Natürlich habe ich damit nichts gegen Laien gesagt, im Gegenteil!!!

> > Hmmm. Verstehe ich nicht. Soll das bedeuten, dass wir uns der Willkuer
> > irgendwelcher Programmierer ausliefern sollen?
> (...)
> > DAS soll
> > geltendes Recht sein???

Jede Art von Recht (Gesetz, Urteil) ist Willkür, wenn man diesen
Begriff verwenden will. Es sind von Menschen gemachte Regeln für das
Verhalten von Menschen. Jede menschliche Entscheidung ist subjektiv
geprägt. Was der Eine für unsittlich hält, findet ein Anderer erst
schön. Schauen Sie sich bitte einmal das gestrige Urteil des BGH im
Fall Stolpe an. Wer hat da recht?

>
> Lieber Herr Schaarwaechter, Sie wissen gar nicht, wie
> sehr ich Ihr Posting begruesse. Ich habe bereits
> angenommen, es gaebe zu diesem Thema keine
> kritischen Stimmen.
>
> Ich bin gestern dem Tip von Herr Mueller gefolgt und habe
> die Stellungnahme der DBI-Rechtskommission gesucht.
> http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/einzelth/rechtpub/bd97_h09.htm
>
> Was sich mir dabei nicht erschlossen hat, ist die Begruendung
> der Kommission zum Einsatz solcher Produkte. Dieser lautet
> stark verkuerzt und vereinfacht: Das IuKdG schreibt _technische
> Vorkehrungen_ vor und da Filter-Software eine solche
> Vorkehrung darstellt, ist sie einzusetzen.

Genau dies sagt das Gesetz! Der Gesetzgeber war der Meinung, man
könne aktiven Jugendschutz durch "technische Vorkehrungen" betreiben.
Dazu hat er sich sicherlich die Meinung von EDV- und Internetexperten
angehört! Also sagt die DBI-Rechtskommission: Liebe Bibliothek, wenn
Du einen Interzugang anbietest, der AUCH von Kids genutzt wird, dann
mußt Du eine technische Vorkehrung einsetzen. Dies kann eine
Filtersoftware sein. Damit ist dem Gesetz Genüge getan, und Du,
Bibliothek mußt keine Angst haben, mit dem Gesetz in Konflikt zu
geraten. Damit hat die DBI-Rechtskommission ihre Aufgabe der
Rechtsberatung erfüllt.

> Dass diese Software aber lediglich eine Feigenblatt-
> Funktion uebernimmt, war dem von mir gefundenen Text
> nicht zu entnehmen. Feigenblatt insofern, weil diese
> Software nicht garantieren kann, dass wirklich
> jugendgefaehrdende Schriften von der Uebertragung
> ausgeschlossen werden. Meist wird bei der Filterung
> nur nach bestimmten keywords (z.B. fatalerweise das
> Wort *sex*) gesucht bzw. bestimmte URLs gefiltert.
> Dass dieses Vorgehen auf den amerikanischen Kulturkreis
> zugeschnitten ist und Fremdsprachen nicht beruecksichtigt
> werden, vermindert die Leistungsfaehigkeit zusaetzlich.
>
> Dazu kommt, dass sich Herrn Schaarwaechters
> Vermutung der missbraeuchlichen Filterung schon
> als reale Gefahr erwiesen hat. Der Cyber-Sitter
> von Solid Oak bspw. steht im Verdacht, auch die
> Seiten von Kritikern und weitere unliebsame Angebote
> (z.B. Frauenrechtsbewegungen, Schwulen- und
> Lesbenverbaende) auszuschliessen. Kritische
> Journalisten wurden von dem Geschaeftsfuehrer
> als *wrinkle of piss* bezeichnet. Soviel zur
> Eignung der selbsternannten Web-Waechter.
> http://www.solidoak.com/
>
> Als Bibliotheks-Verantwortliche(r) wuerde
> ich mich an geeigneter Stelle danach erkundigen,
> welche Moeglichkeiten es bei diesen _technischen
> Vorkehrungen_ geben soll und nicht zweifelhafte
> US-Firmen unterstuetzen, *weil es keine andere
> Moeglichkeit gibt*.

Diese Gedanken gehen leider am juristischen Problem vorbei. Es ist
rechtlich vollkommen unerheblich, ob eine gesetzlich vorgeschriebene
Maßnahme in der Praxis zu 100 Prozent Erfolg hat. Beispiel
Sicherheitsgurt im Auto! Wer ihn nicht anlegt, riskiert ein Bußgeld.
Ich möchte die beiden Kollegen Bleh und Schaarwaechter fragen, ob sie
einem Polizisten entgegnen würden, sie legen den Gurt nicht an, weil
es trotzdem zu schrecklichen Unfallfolgen kommen kann. Also mal
ehrlich, tun Sie das? Natürlich nicht!!
Auch wenn Filtersoftware nicht Alle befriedigt, welche anderen
technischen Vorkehrungen stehen mir als Bibliothekar den zur
Verfügung, um dem vom Gesetz geforderten Jugendschutz zu entsprechen?
Da schweigen sich die Experten bislang aus. Oder sehe ich das falsch?
Welche technischen Alternativen gibt es? Wo im praktischen Einsatz?
Welche Erfahrungen?

Also: Her mit den Hinweisen und Erfahrungen! Und nicht immer gleich auf die
armen Juristen losschlagen. (Es ist wie beim Fußball: Wenn das Spiel
schlecht läuft, ist im Zweifelsfall der Schiedsrichter schuld oder
die FIFA mit ihren Regeln, aber niemals die Spieler!). Wäre es nicht
mal an der Zeit, eine Veranstaltung zum Thema Jugendschutz im
Internet zu machen, an der alle Experten zusammenkommen?.

Mit freundlichen Grüßen

Harald Müller

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Max-Planck-Institut fuer Auslaendisches Oeffentliches Recht
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