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Re: Bibliothekswissenschaft



  Uwe Jochum schrieb:
> Liebe Kolleginnen und Kollegen,
> natuerlich kann es eine Bibliothekswissenschaft geben. 
> .....

er beweist mit dieser aussage jene brillanz analytischen denkens,
die fuer das bibliothekswesen in konstanz charakteristisch ist.
hatte doch schon einmal ein konstanzer bibliotheksdirektor nach 
gruendlichem nachdenken die frage aufgeworfen "sind bibliothekare 
nicht eigentlich schrankenwaerter an stillgelegten bahnstrecken ??"

ein blick in die bibliotheksgeschichte ergibt folgendes bild:

Fritz Milkau (1859-1934), bis 1925 Generaldirektor der Preussischen 
Staatsbibliothek, stellte 1932 die Frage: "Bibliothekswissenschaft? 
Gibt es denn so etwas? Ja, das Handbuch der Bibliothekswissenschaft 
mu_ doch wohl glauben, da_ es so etwas gibt, und wenn es auch nicht 
gerade darauf ausgeht, den Zweifler zu bekehren, so ist es doch 
sicher, ihn zum mindesten davon zu ueberzeugen, da_ es mindestens 
praktische Gruende gibt, die die hier gewaehlte Benennung des Gegenstands 
rechtfertigen." 
[ Milkau, F.: Handbuch der Bibliothekswissenschaft, Bd. I, Leipzig: 
Harassowitz. S. VIII ].

Unter Bibliothekswissenschaft verstand Milkau " ... ziemlich allgemein 
die Summe aller Bemuehungen ..., die sich auf die Erkenntnisse 
und wissenschaftliche Durchdringung des Buchwesens im weitesten 
Sinne des Wortes richten, also
1. der Schrift von den aeltesten Ideogrammen ueber die Probleme der 
Palaeographie und des Fruehdrucks weg bis zur Tiemann-Fraktur und 
zum Helioplanverfahren, weiter
2. des Buches, seiner Form und seines Schmuckes, seiner Verzeichnung 
und seine Verbreitung von den Papyrusrollen des Alten Reiches herab 
bis zu den neuesten Erzeugnissen des Buchvertriebs und
3. schliesslich der Bibliotheken von den Tontafeln Kujundschiks bis 
zu den Millionendepots mit ihrem Grossbetrieb wie andererseits zur 
winzigen Wanderbibliothek des flachen Landes." 
[ Milkau, F: Bibliothekswissenschaft als Universitaetsdisziplin. 
In: Minerva-Zeitschrift 2/1927, S. 27-31 ]

Nachwirkungen dieser Ausfuehrungen lassen sich bis in die Jetztzeit
nachweisen. So schrieb Glang-Sueberkr|b 1991: "Als ich meine erste 
Stelle im Jahr 1976 antrat, war ich trefflich informiert |ber 
Wiegendrucke und Inkunabeln. Ich haette vermutlich aus dem Stand 
ein Kurzreferat ueber die wichtigsten Offizinen in der ersten Haelfte 
des 16. Jahrhunderts halten koennen und verfuegte ueber eine solide 
Halbbildung, was das Bibliothekswesen zur Zeit Assurbanipals anlangt." 
[ Glang-Sueberkrueb, A.: Anforderungen an die Ausbildung der Institute 
aus der Sicht der Oeffentlichen Bibliotheken. In: Tehnzen, J. (Hrsg.): 
Die theoretische Ausbildung der Bibliotheksreferendare. Berlin: DBI 1991. 
dbi-materialien 107. ISBN 3-87068-907-2, S. 55 ]

eine meiner meinung nach ueberzeugende aussage zur sache stammt von
prof. guenter pflug, dem frueheren generaldirektor der deutschen
bibliothek:
Ziel [der Bibliothekswissenschaft] ist die theoretische Kldrung von 
Problemen, die anschlie_end von Praktikern in praktische Loesungen 
umgesetzt werden kann.
[ Pflug, G.: In: ZfBB 1989, S. 91 ].

mfg   H.M.
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Heinz Marloth, Seehofstrasse  15, D-60594 Frankfurt am Main, Germany
Telefon: 069 - 61 23 94       eMail: marloth _at__ t-online.de
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Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie
[ Gefluegeltes Wort unbekannter Herkunft ]



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