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Re: virtuellle Bibliotheken



Die Frage des Kollegen Thun ist sehr gut. Begriffe wie virtuelle,
elektronische und digitale Bibliothek unterliegen meist einer
Beliebigkeit, die sie annaehernd
unbrauchbar machen. Dagegen haben sie aber natuerlich eine Entwicklung
durchlaufen und ihre jeweilige Bedeutung.

"Im angloamerikanischen Sprachraum wurde in den letzten beiden
Jahrzehnten oft der Terminus ?Electronic Library? verwendet.
Insbesondere die Ausbreitung des
INTERNETs und die Entwicklung der Multimedia-Szene hat dazu gefuehrt,
dass man heute zwischen der Elektronischen, der Virtuellen und der
Digitalen Bibliothek
unterscheiden muss. Durch den Begriff 'Digital Library' wird deutlich,
dass die moderne Bibliothek in der Lage ist, jedwede digitalisierbare
Information zu speichern
bzw. zu archivieren und verfuegbar zu machen.

Auch wenn das Ziel der E l e c t r o n i c  L i b r a r y  durchaus
schon im sog. papierlosen Zeitalter gesehen wurde (ein etwas
provokativer Begriff, der stark mit
dem Namen F.W. LANCASTER (1980) in Verbindung steht) so war sie doch
weitgehend auf die Automatisierung der Bibliotheken beschraenkt.

Durch die multimedialen Moeglichkeiten der heutigen PCs hat sich der
Begriff ?V i r t u a l  L i b r a r y? ausgebreitet. Dieser soll
deutlich machen, dass wir heute in der Lage sind, Teile von Bibliotheken
komplett digitalisiert auf dem Bildschirm darzustellen, so dass der
Benutzer am PC die Moeglichkeit hat, sich navigierend durch eine
Bibliothek hindurch zu bewegen und dort gewissermassen in die Regale und
in die Buecher einzutauchen. Im Interesse einer praezisen Terminologie
definieren wir die Virtuelle, ebenso wie die Elektronische Bibliothek,
als Teilbereiche der D i g i t a l e n  B i b l i o t h e k."

"Die Digitale Bibliothek beinhaltet im Gegensatz zur klassischen
Bibliothek nicht nur gedruckte Buecher bzw. andere analog gespeicherte
und publizierte Dokumente. Sie ist durch die wesentliche Erweiterung um
binaere Informationen gekennzeichnet. Im Gegensatz zur klassischen
Dokumentation weist sie die Dokumente nicht nur
bibliographisch nach, sondern stellt sie auch im Volltext zur
Verfuegung. Sie erweist sich damit als eine viergegliederte Bibliothek".

Alle diese Definitionen können natürlich nur gelten, wenn sie der
Definition der Bibliothek unterliegen.
Die Bibliothek ist eine Einrichtung, die unter archivarischen,
ökonomischen und synoptischen Gesichtspunkten publizierte Information
für die Benutzer sammelt, ordnet und verfügbar macht.

(zitiert aus: Ewert, G. und Umstaetter, W.: Lehrbuch der
Bibliotheksverwaltung. Begruendet von Wilhelm Krabbe und Wilhelm Martin
Luther, Hiersemann Verl.
Stuttgart 1997)

Ein interessantes Phaenomen der Digitalen Bibliothek ist, dass sie sich
nicht nur in die reale und virtuelle Bibliothek aufspaltet, in ihr hat
sich im Laufe der Zeit auch das Magazin als Speicherbibliothek
verselbstaendigt. Der herkoemmliche Lesesaal zergliedert sich zu vielen
verteilten Multimediaarbeits- und Leseplaetzen mit
Internetzugang, die sich raeumlich zunehmend von ihrer zentralen
Bibliotheksverwaltung entfernen. Mehr denn je arbeiten diese
bibliothekarischen Zentralverwaltungen
in Konsortien und anderen Kooperationsabkommen zusammen. Damit geht die
alte dreigegliederte Bibliothek  mit Benutzung, Magazin und Verwaltung
unter einem
Dach immer weiter in eine verteilte Bibliothek mit der wichtigen vierten
virtuellen Komponente ueber. Sie gibt den One Person Libraries, die
moeglichst nah beim
Benutzer angesiedelt sind ihr neues Betaetigungsfeld. In ihnen agieren,
unterstuetzt durch die Zusammenarbeit der gesamten vernetzten
Bibliothek, die
Informationsspezialisten als Helfer, Lehrer und Informationsberater vor
Ort.

Damit muss die Antwort auf die Frage vom Kollegen Thun lauten:

Ein Haufen von Dateien ist sicher ebensowenig eine virtuelle Bibliothek,
wie eine herkoemmliche Bibliothek mit digitalisierten Dokumenten. Die
Virtuelle Bibliothek muß die Kriterien einer Bibliothek und die der
Virtualitaet erfuellen. In den meisten Faellen haben wir es nach obiger
Definition mit Digitalen Bibliotheken zu tun. Dass wird auch so bleiben,
weil wir auch in Zukunft Buecher in gedruckter Form lesen werden und
nicht auf dem Bildschirm, auf dem wir sie nur auswehlen. Das heisst
natuerlich nicht, dass wir die multimedialen Moeglichkeiten des
virtuellen Anteils der Digitalen Bibliothek unterschaetzten duerfen.

Man beachte: Nicht ueberall wo virtuell draufsteht ist auch virtuell
drin.

MfG

Umstaetter

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