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Urheberrecht (TAZ 10.4.2003)



Copy and Paste mit Verfallsdatum
Der Bundestag beschließt morgen ein neues Gesetz über das Urheberrecht.
Buchhändler protestieren weiter
Eine Aufführung, wie sie Bert Brecht gefreut hätte: Wenn morgen der
Bundestag in der zweiten und dritten Lesung endgültig über das neue
Urheberrecht abgestimmt haben wird, kann das Ergebnis nur lauten: Der
Vorhang zu, und alle Fragen offen.
Mit drei Monaten Verzug werden die Parlamentarier die Umsetzung einer
EU-Richtlinie beschließen, die bereits Ende 2002 hätte in Kraft treten
sollen. Eine Verspätung, die sich alle Beteiligten - Justizministerium, die
Lobby der deutschen Verleger, die Vertreter der Hochschulen, der
Verwertungsgesellschaften oder der Bibliothen - auf die Fahnen schreiben
können. Bis zur letzten Minute wurde um jedes Komma gerungen, der
Börsenverein des deutschen Buchhandels fordert in einer groß angelegten
Kampagne gar die Streichung ganzer Paragrafen.
Viel Lärm um ein Gesetz, das nur eine Etappe sein wird. Denn sein
Verfallsdatum ist ihm, so viel hat der Druck der Lobbyisten bewirkt, bereits
eingeschrieben: am 31. 12. 2006 läuft seine Geltung ab, dann soll eine
"Evaluation" über Revisionen oder gar Rücknahmen der neuen Paragrafen
entscheiden. Und dabei wurden die wirklich wichtigen Fragen nicht mal
angegangen. Da die von der EU gestellte Frist drängte, wurde "sehr viel
Ballast auf der Strecke abgeworfen", wie es im Justizministerium heißt.
Alle offenen Fragen sind für ein zweites Paket aufgehoben worden. So bleibt
der Konflikt zwischen dem Recht der Nutzer auf die digitale Privatkopie und
dem des Rechteinhabers, seine Werke mit Kopierschutzmechanismen, so
genanntem Digital Rights Management, zu versehen, ungeklärt. Die Anpassung
eines Gesetzes an, wie es immer so schön heißt, die Herausforderungen des
digitalen Zeitalters ist gescheitert an der Alltagspraxis überall dort, wo
ein Rechner auf dem Tisch steht. Eingeführt wurde das Urheberrecht
ursprünglich für einen Interessenausgleich, der bereits im Grundgesetz
angelegt ist: Eigentum ist geschützt, aber es verpflichtet ebenfalls. Für
geistiges Eigentum gilt diese ganz Sozialbindung besonders. Deshalb hat
jeder Urheber zwar das Recht, für seine Werke eine angemessene Vergütung zu
erhalten, aber nicht zu beliebigen Bedingungen. Kopiert werden durfte, in
einem gewissen Rahmen, daher schon immer. Die in jedem PC verfügbare "Copy
and Paste"-Funktion droht jedoch das bisherige Gleichgewicht aus den Fugen
zu bringen. Deshalb sah sich der Gesetzgeber gezwungen, zu novellieren. Ganz
einsehen möchte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Aufregung aber
nicht. "Was jetzt geregelt wird, wird faktisch bereits gemacht", sagt
Zypries. Sie hält den Entwurf für einen "fairen Kompromiss zwischen
geistigem Eigentum und Wissensgesellschaft", der eine bestehende Praxis aus
dem Bereich möglicher Illegalität herausnehme. In der Wissenschaft ist es
gang und gäbe, Forschungsergebnisse auf digitalem Weg zu publizieren, auch
in Schulen werden Lerninhalte in digitaler Form bereitgestellt. Es wäre
"widersinnig", findet die Ministerin, wenn die Bundesregierung einerseits in
einer groß angelegten "Initiative D21" den Einzug der
Informationstechnologien an den Schulen förderte, andererseits den Gebrauch
dieser Technologien nicht gestattete.
Deshalb erlaubt der neu geschaffene Paragraf 52a, dass Lehrer im Unterricht
oder Wissenschaftler für die eigene wissenschaftliche Forschung "kleine
Teile" von Werken, "Werke geringen Umfangs" oder "einzelne Beiträge" aus
Zeitungen oder Zeitschriften über Computer nutzen dürfen.
Gerade dieses Schul- und Forschungsprivileg hat die Verleger auf die
Barrikaden gebracht. "Durch einen solchen Paragrafen werden Autoren und
Verleger enteignet", begründete eine Initiative des Börsenvereins des
Deutschen Buchhandels und der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher
Verleger ihre Forderung nach ersatzloser Streichung. "Denn letztlich
brauchen alle deutschen Bibliotheken dann zusammen nur noch jeweils ein
Exemplar eines Lehrbuchs oder einer Fachzeitschrift."
Falsch und irreführend, entgegnet man im Ministerium. Die "öffentliche
Zugänglichmachung" bedeute keineswegs eine unbegrenzte Zuverfügungstellung
von beliebigen Inhalten. Schulbücher etwa werden vom Privileg ausgenommen:
Für sie muss eine Lizenz eingeholt werden. "Entgegen der Meinung der
Verleger garantiert das neue Urheberrecht den Schutz der Urheber und
gestaltet einen fairen Rahmen für Nutzer und Verwerter im digitalen
Zeitalter", meint die Ministerin. "Es wäre hilfreicher, die Verlage
kommunizierten den tatsächlichen Regelungsinhalt, anstatt durch falsche
Darstellung Verwirrung zu stiften."
"DIETMAR KAMMERER
dietmar.kammerer _at__ web.de <mailto:dietmar.kammerer _at__ web.de>  
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