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AW: Bibliothek von Bagdad



Das stimmt nicht so ganz - siehe Artikel aus dem Tagesspiegel! Richtig ist
allerdings, dass die Bibliotheken schon seitdem das EU-Programm "Telematik
für Bibliotheken" (hiess das so?) in die Programme für Museen etc.
aufgegangen ist, medial wohl noch weniger wahrgenommen werden! Aber liegt
das nicht auch an uns BibliothekarInnen, die ja noch nicht mal mitkriegen,
dass UNESCO und IFLA (worauf Frau Schleihagen hingewiesen hat) sehr wohl
Alarm schlagen - auch in bezug auf Bibliotheken!
Luise von Löw


TAGESSPIEGEL 19. 4. 2003:

Gedächtnisverlust 
Die Bagdader Nationalbibliothek fiel Bränden zum Opfer - ein unschätzbarer
Schaden für die kulturelle Identität des Irak 

Von Peter Heine

Angesichts der Meldungen über die Plünderungen und Zerstörungen im
Nationalmuseum in Bagdad ist der öffentlichen Aufmerksamkeit fast entgangen,
dass auch die irakische Nationalbibliothek durch Raub und Brandschatzung am
vergangenen Wochenende unersetzliche Verluste erlitten hat. Während zu
hoffen ist, dass die wertvollen Tontafelarchive des Museums vielleicht doch
noch in Sicherheit gebracht werden konnten, sind die Verluste der
Nationalbibliothek umfassend.

Die im "Palast der Weisheit" untergebrachte Sammlung war eine Schatzkammer.
Zwar konnte die Handschriftenabteilung nicht mit denen von Kairo, Damaskus
oder Istanbul konkurrieren; für die Regionalgeschichte des islamischen
Mesopotamien war sie dennoch von einzigartiger Bedeutung. Zudem hatte die
Bibliotheksleitung in Zeiten, in denen der Irak über viel Geld verfügte, den
Bestand an arabischen Handschriften konsequent aufgestockt. Wer weiß, ob von
diesen Handschriften Mikro-Filme angefertigt wurden? Und wenn ja, wo
befinden sich diese nun? 

Neben mittelalterlichen Texten wurden vor allem Manuskripte sowie Tagebücher
und Memoiren irakischer Politiker, Gelehrter, Wissenschaftler und Künstler
aufbewahrt, die einen Einblick in die moderne irakische Geschichte und
Geistesgeschichte ermöglichten. Hinzu kam eine umfangreiche Sammlung von
Koran-Manuskripten in den verschiedensten Formen der arabischen
Kalligraphie. Deren Zerstörung bedeutet für die Muslime des Irak auch die
Zerstörung ihres kulturellen Gedächtnisses. Vernichtet sind wahrscheinlich
auch die Belegexemplare der irakischen Buchproduktion seit den 20er Jahren.
Ein Verlust mit politischen Folgen: Bagdad, Basra, Mossul und die heiligen
Städte der Schiiten, Kerbela, Najaf, Kazimiyya und Samarra waren immer
Verlagsorte mit Ausstrahlung in die gesamte arabische und muslimische Welt.
Hier wurden zahlreiche Werke der klassischen arabischen Literatur
herausgegeben, hier führte man lebhafte intellektuelle Debatten um
philosophische, religiöse und politische Fragen. Da diese
Auseinandersetzungen auch schriftlich dokumentiert wurden, fand die
qualitativ hochstehende irakische Historiographie in der Bibliothek wichtige
Quellen.

Dabei hatte die Nationalbibliothek - ebenso wie das Nationalmuseum - bereits
unter dem 13-jährigen UN-Embargo schwer gelitten. Defekte Klimaanlagen für
die hochempfindlichen Exponate und Handschriften konnten nicht repariert
werden, viele Objekte wurden durch Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit
beschädigt. Aus Kostengründen konnten in dieser Zeit auch keine neuen Werke
aus der internationalen Buchproduktion angeschafft werden; die nationale
Produktion musste wegen der allgemeinen Papierknappheit weitgehend
eingestellt werden. Papier war im Irak in den letzten 10 Jahren so knapp,
dass die Studierenden an den Universitäten kaum die Möglichkeit hatten,
Vorlesungsmitschriften anzufertigen. 

Auch der Export von Büchern war verboten. Saddams Regime wollte auf diese
Weise einen Ausverkauf älterer wissenschaftlicher Literatur verhindern. Die
Gelehrten- und Intellektuellenfamilien Bagdads verfügten nämlich häufig über
umfangreiche Privatbibliotheken, die schon wegen ihrer Zusammensetzung als
wichtige kultur- und geistesgeschichtliche Quellen für die Entwicklung des
modernen Irak angesehen werden müssen. Um in der Zeit des Embargos nicht zu
verarmen, boten viele Familien ihre Bücherschätze auf dem Bazar in der
Mutanabbi-Straße zum Verkauf an. Da die Nationalbibliothek nicht in der Lage
war, sie aufzukaufen, gingen etliche dieser Sammlungen also schon vor dem
Irak-Krieg verloren. 

Nach der Zerstörung großer Bibliotheken während der Schiitenaufstände in
Kerbela und Najaf im Frühjahr 1991 durch die Republikanischen Garden ist nun
eine weitere Ausgangsbasis für die Geschichtsschreibung vernichtet. Dabei
war sie für die Entstehung einer nationalen Identität des modernen Irak
stets ein wichtiger Faktor. Die Heftigkeit, mit der ethnische und religiöse
Gruppen um ihre Beteiligung am Unabhängigkeitskrieg von 1920 stritten, ist
nur ein Indiz dafür. Selbst unter Saddam Hussein blieb den Historikern für
die Auseinandersetzung mit der Nationalgeschichte bis 1958 ein
beträchtlicher Spielraum. Denn wie in den Artefakten der alt-orientalischen
Epochen sah das Regime hier eine Möglichkeit zur Schaffung eines irakischen
Nationalbewusstseins. Die Zerstörung dieser Quellen lässt nun noch mehr Raum
für Verschwörungstheorien und Fehlinterpretationen historischer Ereignisse.
Mit dem Brand der Bibliothek ist also nicht nur wertvolles Schriftgut
verloren, sondern auch eine zentrale Grundlage für das künftige kulturelle
und politische Selbstbewusstsein des Irak nach dem Sturz Saddam Husseins. 



Der Autor lehrt Islamwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. 



 





-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Bernhard Eversberg [mailto:ev _at__ buch.biblio.etc.tu-bs.de] 
Gesendet: Freitag, 25. April 2003 10:17
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Bibliothek von Bagdad



In ihrem heutigen Feuilleton thematisiert die FAZ endlich die Zerstoerung
der 
irakischen Nationalbibliothek. Kein deutscher Journalist allerdings
verfasste den 
lesenswerten Artikel, sondern R. Darnton aus Princeton.
Was hierzulande wahrgenommen und beklagt wird, ist so gut wie
ausschliesslich der 
Museums-Vandalismus. Dabei finden dann allerdings auch Schriftzeugnisse 
Erwaehnung: Tontaefelchen oder die Hammurabi-Stele (deren Original
allerdings im 
Louvre steht).
Am Dienstag resuemierte dieselbe Zeitung in einem skeptischen Beitrag zur 
Berliner Staatsbibliothek, sie sei ein "Teilungsmuseum". Nun denn, das gibt
den 
entscheidenden Hinweis: Bibliotheken muessen sich als besondere Art von
Museen 
aufstellen, wenn sie noch irgendeine Art von Wertschaetzung erfahren
wollen...


B.E.


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.