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DOSSIER (lang): Rechtsberatungsgesetz (D)



Aufgrund eines Beitrags in der Mailingliste URECHT erhielt ich die
E-Mail eines Anwalts, der unter anderem 
schreibt: "Ich möchte Sie (noch nicht) förmlich abmahnen, bitte Sie aber
Sorge dafür zu
tragen, dass die Beantwortung konkreter Rechtsfragen unterbleibt. Ich
werde
sonst jeden einzelnen Teilnehmer der Liste abmahnen. Dies ist bisweilen
auch
zum Schutz der Rechtssuchenden notwendig, denn nicht immer sind die
Antworten kompetent."

Aufgrund der grundsaetzlichen Bedeutung des Themas geht diese
Stellungnahme an mehrere Listen.

Zu meinen Listenbeitraegen stelle ich prinzipiell fest: Es geht mir
stets um die abstrakte Behandlung eines 
Falls. Soweit dieser juristische Aspekte aufweist, geht es mir nicht um
die Beantwortung 
konkreter Rechtsfragen, sondern um die wissenschaftlich begruendete
Auseinandersetzung (Par. 2 RBerG) mit dem Thema im 
Interesse der oeffentlichen Diskussion des jeweiligen Themas und der
Fortbildung des Rechts. Was sich vielleicht 
auf den ersten Blick als Einzelfallbezug darstellen mag, ist nicht als
solcher intendiert. Ich informiere 
ueber meine Sicht der Rechts- und Sachlage und kommentiere diese, ohne
einen "Rat" abgeben zu wollen. Ich habe
kein juristisches Studium, sondern eine geisteswissenschaftliche
Ausbildung als Historiker und Archivar absolviert.

Zum Rechtsberatungsgesetz (RBerG) moechte ich meine persoenliche Meinung
nicht verhehlen: Es ist nicht mehr zeitgemaess, es ist 
seiner Enstehung nach Nazi-(Un)recht und es bietet Anwalts-Hyaenen zu
viele Moeglichkeiten, die freie Meinungsaeusserung zu unterbinden 
und die eigenen Pfruenden zu sichern. Ich verweise auf die unten
dokumentierten Materialien, insbesondere auf die 
Stellungnahme von H. Kramer.

Die Verrechtlichung aller Lebensbereiche laesst es als illusorisch
erscheinen, den erlaubten Austausch von Meinungen ueber 
Themen mit juristischem Einschlag (also ueber eigentlich alles) und die
Informationsvermittlung von einer "Rechtsberatung" zu trennen.
  
Zahlreiche Newsgroups, Webforen und Mailinglisten muessten schliessen,
wenn die Anwaelte ihre Strategie der 
Monopolisierung des juristischen Diskurses konsequent und unkontrolliert
weiterverfolgen duerften.

Jede Art von Informationsvermittlung durch Bibliothekare, Dokumentare,
Broker ist gefaehrdet, denn jede Information 
zu einem konkreten Rechtsfall wird als Rechtsberatung ausgelegt. Wer an
die Auskunftstheke einer Bibliothek tritt und 
zu einem konkreten Problem (und das duerfte fuer die meisten
Bibliotheksbesucher der Grund sein, mit einem Problem in 
einer Bibliothek Rat zu suchen) Literatur, Gesetze und Entscheidungen
nachfragt, duerfte eigentlich nicht beraten werden - 
neben der Bibliothekarin muesste ein Anwalt sitzen.

Salvatorische Klauseln und rhetorische Floskeln haben Konjunktur (siehe
oben und unten). Anwaelte bieten kostenlose Beratungen an, nur nicht zum
Einzelfall, 
desgleichen die Medien. Alle beteuern, keine Rechtsberatung leisten zu
duerfen, aber der Rechtssuchende zieht letztendlich doch "beraten" von
dannen. Schluss mit dieser 
Heuchelei! Kurz: Die herrschende Auslegung des RBerG ist ein Anschlag
auf unser aller Grundrechte! Informations- und Meinungsfreiheit 
duerfen von gewissenlosen Abzockern im Anwaltsstand nicht erstickt
werden!

Dr. phil. Klaus Graf
SFB 541 Univ. Freiburg i. Br.
email: graf _at__ uni-koblenz.de
http://www.uni-koblenz,de/~graf

*******************************************************************

ANHANG

Materialien

Nr. 1
Rechtsnormen

Text des Grundgesetzes

http://www.gesetze-aktuell.de/Gesetzestexte/gg.htm

"Art. 5 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu
äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen
ungehindert zu
unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung
durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht
statt. 

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der
allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der
Jugend und in dem Recht der
persönlichen Ehre. 

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit
der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." 
  
Siehe auch: Internationale Konventionen zur Meinungsfreiheit (u.a. Art.
10 Eur. Menschenrechtskonvention MRK)
http://ig.cs.tu-berlin.de/s98/1332l506/vl07/verfassungen.html
http://www.gabnet.com/jus/mrs1.htm


***


Text des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG)

http://www.uni-oldenburg.de/~markobr/RBerG.html

Auszug

Paragraph 1 Erlaubnis
"1) Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der
Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken
abgetretener
Forderungen, darf geschäftsmäßig - ohne Unterschied zwischen haupt- und
nebenberuflicher oder entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit - nur
von Personen
betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis
erteilt ist. [...]

Paragraph 2
§ 2 Gutachtenerstattung und Schiedsrichtertätigkeit 

"Die Erstattung wissenschaftlich begründeter Gutachten und die Übernahme
der Tätigkeit als Schiedsrichter bedürfen der Erlaubnis gemäß § 1
nicht."

Siehe auch die beiden Ausfuehrungsverordnungen aus der NS-Zeit:

http://www.jurathek.de/tom/gesetze/RBerG_VO.html
http://www.jurathek.de/tom/gesetze/RBerG_2VO.html


***

Nr. 2
Kritische Materialien im WWW

Umfangreiche Stellungnahme zum RBerG aus Anlass des Vorgehens gegen die
Verbrauchersendung 
"Wie Bitte" 1998 mit wiss. Darlegungen von Prof. Udo Reifner zur
Schuldnerberatung
http://www.gabnet.com/jus/rberg1.htm

Auszug:
      I. Historische Entstehung des RBerG (1935) 

      In der Weimarer Zeit sowie im Kaiserreich gab es eine Vielzahl von
außerhalb der Anwaltschaft
      aufgebauten Rechtsberatungsangeboten für sozial Schwächere, bei
denen häufig einzelne Anwälte
      mitarbeiteten, während die Standesorganisationen sie immer
kritisch betrachteten.49 Die Forderung
      eines Verbots dieser Rechtsberatung wurde allerdings nicht
erhoben, wenngleich es an
      gegenseitigen Äußerungen der Geringschätzung nicht fehlte. 
      Gegen Ende der Weimarer Republik wurde jedoch unter dem Stichwort
"Not der Anwaltschaft"
      und ,,Anwaltsflut"50der numerus clausus für die Anwaltschaft, d.
h. die Abschließung ihres
      Berufsstandes, gefordert und dann auch im Jahre 1933 unter der
nationalsozialistischen Regierung
      verwirklicht. 
      Die Bewältigung der Anwaltsschwemme wurde von den
Nationalsozialisten dann jedoch in ganz
      anderem Sinne dadurch verwirklicht, daß die jüdischen
Rechtsanwälte, die etwa 1/3 der deutschen
      Anwaltschaft ausmachten und ihre führenden Vertreter waren,
sukzessive ab 1933 vom
      Anwaltsberuf ausgeschlossen wurden. Mit dem Gesetz über die
Zulassung zur Anwaltschaft vom
      7.4. 1933 wurden bereits l933 etwa 1500 der 4500 jüdischen Anwälte
aus der Anwaltschaft
      ausgeschlossen. 
      Vielen in der Anwaltschaft, insbesondere aber seinen
nationalsozialistischen offiziellen Vertretern,
      ging dieser Ausschluß nicht schnell genug51.  Da damit gerechnet
wurde, daß die ausgeschlossenen
      jüdischen Anwälte im Bereich der nichtanwaltlichen Rechtsberatung
ihren Beruf fortsetzen würden,
      wurden von einzelnen Kammervorständen gleich zu Anfang dann
sofortige Maßnahmen
      gefordert.52 
      In einem ersten Schritt wurden dann am 20.07.1933 durch eine
Änderung des §157 ZPO53 
      Rechtsbeistände von der mündlichen Verhandlung bei den
Amtsgerichten ausgeschlossen.
      Ausgenommen von dieser Regelung waren nur Personen, die von der
Justizverwaltung nach
      Eignung der Person und nach Bedarf zur Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten zugelassen
      sind, wovon jüdische Anwälte ausgenommen waren." 


Artikel in: OHNE UNS
Aus Ausgabe 1/98 (Juli)

"Das Rechtsberatungsgesetz


Das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) wurde 1935 von den Nationalsozialisten
eingeführt, primär zum Zwecke der Eliminierung der Juden - aber auch
anderer
politisch unerwünschter Elemente - aus der Rechtsberatung. Es gilt
heute, nachdem die explizit antisemitischen Passagen gestrichen wurden,
als vorkonstitutionelles
Gesetz weiter. Als Schutzzwecke des RBerG werden zuvörderst postuliert:
Schutz der Ratsuchenden vor inkompetenter Rechtsberatung? Schutz der
Rechtspflege
vor unzuverlässigen Personen? und Schutz der Rechtsanwaltschaft vor
Konkurrenz. Das RBerG verbietet die geschäftsmäßige Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten und bewährt diese als Ordnungswidrigkeit mit einem
Bußgeldrahmen bis zu 10.000,? DM.

Unter Geschäftsmäßigkeit ist nicht etwa nach dem normalen Sprachgebrauch
Gewerbsmäßigkeit, also eine Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht, zu
verstehen;
Geschäftsmäßigkeit ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn "die
Tätigkeit in der Absicht vorgenommen wird, sie ? sei es auch nur bei
sich bietender Gelegenheit ?
zu wiederholen, und sie dadurch zu einem wiederkehrenden Bestandteil
seiner Beschäftigung zu machen". Diese sehr freizügige Interpretation
des Begriffes der
Geschäftsmäßigkeit ist ebenfalls nationalsozialistisches Erbe, denn die
bundesrepublikanischen Gerichtsentscheidungen verweisen lediglich
pauschal auf
Entscheidungen des Reichsgerichtes von 1935-1939."


Zum Hintergrund, der "Kriminalisierung" von Totalverweigeren:
http://www.ohne-uns.kampagne.de/archiv/98_1/rberg.html

Auszug:

"Weiterhin thematisierten sie [die Beschuldigten] die Problematik des
RBerG und dessen Anwendung. Die Eigenheit des RBerG, wie auch vieler
anderer nationalsozialistischer Gesetze,
besteht darin, daß sie einen sehr weit gefaßten oder interpretierten
Tatbestand besitzen, unter den zunächst sehr viel subsumiert werden
kann, jedoch ganz gezielt,
willkürlich und selektiv mit diesem gegen bestimmte Personengruppen
vorgegangen wird. So zeigten sie auf, daß es in vielen Lebensbereichen
Situationen gibt, die
zweifellos unter den Tatbestand des Art. 1 §§ 1,8 Abs.1 Nr.1 RBerG
fallen, jedoch so selbstverständlich, opportun und gesellschaftlich
anerkannt sind, daß
niemand auf die Idee käme, sie mit dem RBerG zu verfolgen. So ist dies
bspw. beim Ehemann, der Rechtsangelegenheiten seiner Ehefrau besorgt,
bei beiläufigen
Unterhaltungen im Zugabteil über mietrechtliche Probleme, aber auch bei
Gesprächen unter Juristen in der Gerichtskantine. Aber auch bei ganz
normaler
KDV-Beratung, die in hunderten von Beratungsstellen in der ganzen BRD
angeboten wird."

Plaedoyer von Helmut Kramer (pensionierter Richter) im gleichen
Braunschweiger Fall
http://dfg-vk.de/4_3/98_2_d.htm

Auszug:
"Es ist unerfindlich, wieso auch eine völlig uneigennützige Besorgung
fremder Rechtsangelegenheiten unter
Verzicht auf jedwedes Entgelt den Tatbestand der Geschäftsmäßigkeit
erfüllen soll.
[...]
Der rigorose
Ausschluß der Leistung unentgeltlicher Rechtsberatung und - eher noch
stärker - der mit der
Praktizierung des 1 RBerG verbundene weitgehende Ausschluß der
Inanspruchnahme freier
Rechtsberatung kollidiert mit zahlreichen Verfassungsnormen."


Siehe auch zur Situation ehrenamtlicher Helfer im Asylbereich:
http://www.proasyl.de/lit/leitfad/u.htm

Schon die einfache Uebersendung eines Kfz-Schadens-Gutachtens kann
unzulaessige Rechtsberatung sein:
http://www.vks.org/wer_den_schaden_hat/IR1297.html

Keine Hilfe kommt vom EuGH:

http://www.eur.unisg.ch/eub/Jan97.html

"Entscheidung zum Verbot gerichtlicher Forderungseinziehung durch
     Inkassobüros 
 (Reisebüro Broede ./. Gerd Sandker, EuGH vom 12. Dezember 1996, C-3/95) 
          In einer Linie mit der bisherigen Rechtsprechung zu
Berufsregelungen urteilt der EuGH:
          Wenn Deutsch-land in seinem Rechtsberatungsgesetz die
gerichtliche Einziehung fremder
          Forderungen durch Inkassounternehmen verbietet und damit einem
Anwaltmonopol im
          Bereich der geschäftlichen Schuldein-treibung Vorschub
leistet, so stehen dem die
          Grundsätze des freien Dienstleistungsverkehrs nicht entgegen.
Das deutsche Recht ist in
          diesem Punkt verhältnismässig, womit sich dann auch ein
französisches Inkassobüro
          abzufinden hat."


In den "Bedingungen fuer Rechtsberatung per E-Mail" eines Anwalts liest
man:
"2. Das anwaltliche Standesrecht verbietet es, kostenlos in konkreten
Rechtsfällen zu beraten. Wir dürfen deswegen keine Fragen kostenlos
beantworten wie z.B.: "Ich verdiene 3.000,-
DM, meine Ex-Frau 1.000,- DM, wieviel Unterhalt schulde ich ihr?". Wir
dürfen aber z.B. folgende Frage beantworten: "Angenommen, ein Mann
verdient monatlich 2.000,- DM, seine
Ex-Frau 1.000,- DM, wieviel Unterhalt schuldet der Mann?"
http://www.mein-recht.de/bedingungen.html

Siehe auch: Berufsordnung der Rechtsanwaelte:
http://www.kanzlei.de/berufo.htm

- Bundesrechtsanwaltsordnung BRAO
http://www.jusline.de/juslinede/536922/braoa.html

Nr. 3
Gedruckte Literatur

Laut:
http://www.jura.uni-sb.de/FB/LS/Knies/AMR/2r/2_rechtsberatungsgesetz.htm

                    Ricker, Reinhart Das Rechtsberatungsgesetz im
Konflikt mit den Grundrechten aus Art. 5 I
                    GG
                    Quelle: NJW 1999 Nr. 7 Seite 449

                    Wenzel, Karl Egbert Die Kollision der
Kommunikationsfreiheit mit dem
                    Rechtsberatungsgesetz
                    Quelle: AfP 1995 Nr. 4 Seite 646

                    Flechsig, Norbert P. Ratgebersendungen versus Verbot
der Rechtsberatung
                    Quelle: ZUM 1999 Nr. 4 Seite 273


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.