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AW:Neues zur R-Reform



Liebe INETBIB-Leser,

"B. Eversberg" wrote:

> Heute frueh schon in den Nachrichten zu hoeren: der Hochschulverband 
> kehrt nun auch zur alten Schreibung zurueck.
> Nacholgend ein Auszug aus der Presseerklaerung:
> 
> Der Deutsche Hochschulverband, die Berufsvertretung der Professoren 
> und Privatdozenten an den deutschen Universitaeten, wird ab dem 1. 
> Oktober 2000 in seinem gesamten Schriftverkehr sowie mit der 
> Zeitschrift "Forschung & Lehre" ebenfalls zur bisherigen 
> Rechtschreibung zurueckkehren. Diese Entscheidung hat das
> Praesidium des Verbandes am 31. Juli 2000 getroffen. Sie wird solange 
> aufrechterhalten bleiben, bis die Kultusminister der Bundeslaender 
> sich darauf verstaendigt haben, die unerlaesslichen Korrekturen an der

> Rechtschreibereform vorzunehmen. "Vor allem die mit der 
> Rechtschreibereform vollzogene Abschaffung der sogenannten
> Unterscheidungsschreibungen (z. B. wieder sehen/wiedersehen) fuehrt", 
> wie der Praesident des Verbandes, der Koelner Voelkerrechtler Hartmut 
> Schiedermair, in Bonn erklaerte, "zu einer unertraeglichen Verkuerzung

> der sprachlichen Ausdrucksmoeglichkeiten." Die Sprache gehoere zu den 
> tragenden Elementen der Kultur eines Landes, sie stehe daher 
> aktionistischem Reformeifer nicht zur Verfuegung. Nicht
> von ungefaehr haetten die deutschen Schriftsteller die Rueckkehr zur 
> bisherigen Rechtschreibung uneingeschraenkt begruesst. Dem schliesst
sich 
> der Deutsche Hochschulverband durch die Tat an. Mit der Entscheidung 
> seines Praesidiums fordert der Verband gleichzeitig die 
> Kultusministerkonferenz auf, mit den erforderlichen Korrekturen an 
> der Rechtschreibereform die deutsche Sprachkultur vor Schaden zu
> bewahren.

Die Rechtschreibungsdiskussion wird leider auch von seriöser Seite
ziemlich unqualifiziert geführt. Schon allein die Identifizierung von
"Sprache" mit "Rechtschreibung" ist eine unerträgliche Verkürzung. Aber
(in diesem Zusammenhang) vollends von drohendem Kulturverfall zu
phantasieren, als wäre mit einem bescheidenen und behutsamen
Orthographie-Reförmchen der Untergang des Abendlands besiegelt! 

Leider gibt es bei den Reformgegnern nicht nur Ressentiments, sondern
vereinzelt auch Argumente: Die Unterscheidung von "wieder sehen" und
"wiedersehen" in der Schreibung ist ja tatsächlich eine ganz hübsche
Sache. Obwohl der Unterschied ja fast immer aus dem Kontext eindeutig
klar ist. 

Im Englischen kennt man dieses Problem auch: Verb und Substantiv werden
zwar unterschiedlich gesprochen, aber gleich geschrieben ("to reco:rd",
aber "récord"). Nur die starre SPO-Satzstellung im Englischen macht auch
im gelesenen Text klar, ob es sich um Verb oder Substantiv handelt. Und
dabei haben die Armen, die sich mit der englischen Sprache rumärgern
müssen, noch nicht mal die Großschreibung von Substantiven als Hilfe. 

(Im deutschen Rechtschreib-Reförmchen ist die gemäßigte Kleinschreibung,
die anfangs diskutiert wurde, schnell wieder aufgegeben worden. Jetzt
hätten die Autoren die Autoren der Reform mit der Kleinschreibung bei
der womöglich bevorstehenden Reform der Reform ein ansehnlichere
Verhandlungsmasse gehabt.)

Eine Position fehlt bis dato in der Debatte ;-)
In der That hat sich noch immer niemand für die Rücknahme der 
Reform von 1901 eingesetzt bzw. eingesätzt. Eine Schlamperey, diese
Thoren! Damals waren sowohl die Hochschullehrer als auch die
Schriftsteller zugleich braver und aufmüpfiger. Proteste gegen die
damaligen Festlegungen sind mir nicht bekannt. Gleichwohl sind einige
Dichter (z.B. Stefan George) und viele Hochschullehrer (besonders
Germanisten) bei ihren bevorzugten Schreibungen geblieben: keine
gemäßigte, sondern die radikale Kleinschreibung war gang und gäbe. 

Selbst nach den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz von 1955 schrieb
z.B. Arno Schmidt ungehindert eine ungemein interessante Orthographie.
Und die Wörter von Ernst Jandl stehen ohnehin in keinem Duden. Was
treibt heute "die deutschen Schriftsteller", von denen der
Hochschulverband spricht, gegen die Rechtschreibung (verbindlich ja nur
für Gebrauchstexte in Behörden und Schulen) zu protestieren anstatt
einfach zu schreiben, wie es ihnen recht ist?

Und welche Probleme gibt es nun für uns Bibliothekare, die sich nicht
auch schon mit der Behandlung von Literatur mit Erscheinungsdatum vor
der Rechtschreibreform von 1901 ergeben haben?

Mit den besten Wünschen
 
 Dr. Klaus Makoschey

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