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Re: 24-Stunden-Bibliothek in Konstanz



Sehr geehrte Frau Hätscher, liebe Liste,

zunächst einmal herzlichen Dank für die rasche Antwort aus Konstanz. Da die von Frau Hätscher angeführten Argumente meine Zweifel am Projekt einer 24-Stunden-Bibliothek eher verstärkt haben, hier noch einige Bemerkungen zur Konstanzer Mail.

Es ist richtig, dass ein neues Produkt oder Serviceangebot einen Bedarf stimulieren und damit eine bis dahin nicht vorhandene Nachfrage wecken kann. Dennoch wird kein Unternehmen innovative Produkte entwickeln, ohne vorher durch sorgfältige Marktanalysen deren Nachfragepotential abgeschätzt zu haben. Die Konstanzer Nutzerbefragung 2000  fordert die Nutzer entsprechend auf, ihre Servicepräferenzen in einer Skala von "sehr wichtig" bis "unwichtig" zu beschreiben, und die Antworten zeigen unmissverständlich: Eine Verlängerung der Öffnungszeiten wird als letzte Präferenz, also eindeutig als "unwichtig" aufgefaßt. Das hat eine andere Qualität als die - wie Frau Hätscher meint - Artikulation einer "Erwartungshaltung". Insgesamt drängt sich so der Eindruck auf, mit der 24-Stunden-Bibliothek werde ein Produkt lanciert, für das erwiesenermaßen nutzerseitig kein Bedarf besteht - unter betriebswirtschaftlichem Gesichtspunkt also ein Kamikazeflug.

Darüber hinaus ist es gerade bei einer so praxisnahen Frage wie der nach bedarfsgerecht positionierten Öffnungszeiten leicht möglich, im Rahmen einer Nutzerbefragung zu präzisen Antworten zu gelangen. Das standardmäßige Vorgehen ist hier die Einstellung eines Rasters in den Fragebogen, der in der Vertikalen die Tagesstunden, in der Horizontalen die Wochentage listet. Die Felder, die durch die bisherigen Öffnungszeiten abgedeckt sind, werden grau gefärbt, in alle anderen Felder kann der Antwortende sein Bedarfsprofil durch simples Ankreuzen differenziert beschreiben. So gelangt man zu fokussierten Aussagen über notwendige Maßnahmen. Noch einmal am Beispiel der UB Münster. Nur 0,8% der Antwortenden wollen Öffnungszeiten von 00.00 bis 06.00 Uhr (Thumbs down). Dagegen wurde deutlich, dass immerhin 25% eine Verlängerung der Öffnungszeiten von gegenwärtig 21.00 auf 22.00 wünschen (Thumbs up), während danach der Bedarf wieder abbricht.

Bleibt noch der Hinweis Hätschers auf die Nichtnutzer, die möglicherweise diejenigen sein könnten, die auf die 24-Stunden-Bibliothek händeringend warten. Das verstehe ich nun gar nicht mehr: Es ist doch gerade der große Vorzug der Konstanzer Benutzerumfrage gewesen, dass nicht die in die Bibliothek kommenden Nutzer befragt wurden (also vor Ort), sondern Fragebögen an eine Stichprobe aus dem Datenbestand des Studentenwerkes verschickt wurde. Also sind die Nichtnutzer in die Stichprobe einbezogen, die damit doch gerade repräsentativ für die gesamte primäre Nutzergruppe der Bibliothek ist.

Trotz aller Einwände ist dem Konstanzer Versuch selbstverständlich ein gutes Gelingen zu wünschen! Mögen die Massen in tiefer Nacht kommen und alle Bedenken Lügen strafen!

Beste Grüße, Klaus Ceynowa
 
 

Petra Haetscher schrieb:

 Lieber Herr Ceynowa, liebe Liste,

Am 15:11 15.02.01 +0100 schrieb Dr. Klaus Ceynowa:

Entscheidend ist doch die Frage, ob lange Öffnungszeiten auch bedarfsgerechte Öffnungszeiten sind. Anders gesagt, die nächtens geöffnete Bibliothek sollte nicht nur nutzbar, sondern auch genutzt sein.


um diese Frage zu klären, muss man die Bibliothek öffnen und die Nutzungszahlen dann auswerten und bewerten.
 

Gern wüßte ich, ob es hierzu in Konstanz eine Erhebung, zum Beispiel im Rahmen einer Nutzerumfrage, gegeben hat.


Es hat in der Bibliothek der Universität Konstanz zwei Nutzerbefragungen gegeben (Sommersemester 1998 für die Lehrenden und Wintersemester 1999/2000 für die Studierenden, Ergebnisse unter
http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/1999/63  und
http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2000/500 ).
Eine Verlängerung der Öffnungszeiten steht bei den Erwartungshaltungen an letzter Stelle bei beiden Befragungen. Wir haben keine Befragung der Nicht-Nutzer gemacht, vielleicht sind das die potentiellen Abend- und Nacht-Nutzer?

Aber
 

unter solchen Voraussetzungen wäre eine 24-Stunden-Bibliothek in der Tat ein reiner Publicity-Gag.


diese Einschätzung kann ich nicht teilen. Erwartungshaltungen orientieren sich oft am vermeintlich Machbaren - und wer rechnet schon in Deutschland mit der Möglichkeit, dass eine Bibliothek rund um die Uhr geöffnet haben könnte?

Und im übrigen ist auch Marketing für Universitäten wichtiger denn je. Die Publicity ist nicht für die Bibliothek wichtig, sondern für die Uni. Eine Uni, die bei potentiellen Studierenden und bei Wissenschaftlern damit werben kann, dass eine wichtige Infrastruktureinrichtung 24 h geöffnet hat, hat immerhin nicht nur einen Gag zu bieten, sondern einen Service.
 

Meine Erfahrung der Nutzung von Bibliotheken, die bis 24.00 geöffnet haben, zeigt zudem, dass man oft spätestens ab 23.00 der "last man standing" ist. Aber vielleicht ist das am Bodensee alles ganz anders?


Das ist auch bei uns nicht anders, aber der "last man" geht immer später, je länger die Öffnungszeiten sind. Es gibt Bibliotheken in den USA, die nachts geöffnet haben, warum sollten bei uns die Bedürfnisse anders sein?

MfG
Petra Hätscher

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Petra HaetscherBibliothek der Universitaet Konstanz
Stellvertretende BibliotheksdirektorinD-78457 Konstanz
Tel.: +49 7531 88-2802  Fax: -3082http://www.ub.uni-konstanz.de
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Dr. Klaus Ceynowa
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