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AW: Verfall und Untergang des Dublin Core?



Lieber Herr Eversberg, liebe Listenteilnehmer,

auch wenn Ihre E-Mail schon eine Woche zurueckliegt (fuer INETBIB sind das
nach dem Mailaufkommen der letzten Woche ja schon Welten!), trotzdem noch
eine kurze Antwort.

Ich sehe nicht, was der Ansatz von John Kunze wirklich Neues bieten wuerde. 

- 4 Elemente?!
Dublin Core ist offen und besitzt keine verpflichtenden Elemente: Man muss
ja nicht alle 15 Elemente anwenden. Man kann also auch mit nur genau den
vier Elementen auskommen, die im Entwurf von John Kunze verwendet werden. 

- Erweiterungen
Fuer ERC sind die vier Elementen letztlich wohl doch nicht ausreichend. Auch
hier wird mit Erweiterungen gearbeitet, genauso wie bei Dublin Core mit
Qualifiern. 

ERC kann somit genauso *einfach* oder auch *umfangreich* angewendet werden
wie Dublin Core. 

- Internationalitaet
John Kunze gibt keine weiteren Anwender von ERC an. Dublin Core wird
hingegen weltweit in verschiedensten Disziplinen von den unterschiedlichsten
Anwendern genutzt. 

Gerade aufgrund der internationalen und interdisziplinaeren Verbreitung
eignet sich Dublin Core sehr gut zum Austausch zwischen verschiedenen
*Communities*. Dublin Core kann hier zum Beispiel als Grundlage fuer einen
gemeinsamen Datenaustausch verwendet werden.

Dafuer muessen weitere Voraussetzungen erfuellt sein; die reinen
Datenelemente reichen natuerlich nicht aus. Dublin Core gibt dazu
Empfehlungen, kann aber aufgrund der unterschiedlichsten Anwendungen
letztlich nicht nur einen Standard vorschreiben. Dublin Core gibt Strukturen
vor, die dann von den Anwendern selbst ausgefuellt werden. So kann ich zum
Beispiel DC in HTML, XML oder RDF abbilden.

- XML und Metadatenanwendungen
Ob XML fuer Metadatenanwendungen nicht geeignet ist, wird sicherlich die
Zukunft erweisen. Es sollte aber beachtet werden, dass das W3C XML und RDF
als Bausteine des *Semantischen Web* betrachtet (siehe:
http://www.w3.org/2001/sw/).

Es ist richtig, dass es komplexe Metadatensysteme gibt, aber es muss immer
hinterfragt werden, was auch der Sinn und Zweck solcher *Realisierungen*
ist. Dieses definiert die jeweilige Anwendung fuer sich. Ich kann DC fuer
das (einfache) *resource discovery* nutzen, aber natuerlich auch fuer
*resource description*. Letzteres kommt zum Beispiel fuer alle diejenigen in
Frage, die keine eigenen *Regelwerke* bzw. *Dokumentationssprachen* besitzen
bzw. diese nicht anwenden wollen und sich daher Dublin Core zu eigen gemacht
haben.

Fazit:
Ich bezweifle stark, dass ERC *einfacher und doch vollstaendiger, kompakter,
besser erweiterbar, viel leichter verarbeitbar und internationaler als DC*
sei.

Vom Verfall und Untergang des Dublin Core kann keine Rede sein.

Wer sich ueber Dublin Core naeher informieren will, findet eine umfangreiche
Dokumentation ueber die Homepage der Dublin Core Metadata Initiative:
http://dublincore.org/

Mit freundlichen Gruessen
B. Weiss

_____________________________________________________

Berthold Weiss
Die Deutsche Bibliothek
Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main
Projekt META-LIB
Adickesallee 1
D-60322 Frankfurt am Main
Telefon: +49-69-1525-1404
Telefax: +49-69-1525-1010
mailto:weissb _at__ dbf.ddb.de
http://www.ddb.de


> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: Bernhard Eversberg [mailto:EV _at__ buch.biblio.etc.tu-bs.de]
> Gesendet: Mittwoch, 23. Januar 2002 08:56
> An: Internet in Bibliotheken
> Betreff: Verfall und Untergang des Dublin Core?
> 
> 
> 
> Verfall und Untergang des Dublin Core?
> 
> Unter dem unverdaechtig klingenden Titel
> "A Metadata Kernel for Electronic Permanence"
> hat John Kunze (Univ. of California) am 5.10.2001 ein Papier im
> "Journal of Digital Information" veroeffentlicht, das es in sich hat:
> 
>     http://jodi.ecs.soton.ac.uk/Articles/v02/i02/Kunze/
> 
> Dublin Core wird fuer das bleibende Verdienst gelobt, einen 
> internationalen und interdisziplinaeren Konsensus hergestellt
> zu haben, welche Angaben zur Beschreibung von Objekten 
> notwendig seien. (Kunze gehoerte selber zu den Personen der 
> ersten Stunde.) Dann aber enthuellt er ERC = "Electronic 
> Resource Citation", und am Ende bleibt fuer DC scheinbar kein 
> Argument mehr uebrig, denn ERC ist einfacher und doch 
> vollstaendiger, kompakter, besser erweiterbar,
> viel leichter verarbeitbar und internationaler als DC.
> 
> Wie sieht ERC aus? Im einfachsten Fall so:
> 
> erc:
> who:   Gibbon, Edward
> what:  The Decline and Fall of the Roman Empire
> when:  1781
> where: http://www.ccel.org/g/gibbon/decline/
> 
> mit genau vier notwendigen Elementen, die angeblich fuer eine 
> "Minimalbeschreibung jedes Objekts im Universum" reichen.
> 
> Na? Genau, das sind die Dinge, die meistens in einer OPAC-Kurz-
> anzeige stehen, Verfasser, Titel, Jahr und Signatur. Die Moeglich-
> keiten der Erweiterung dieser Grundstruktur laufen darauf hinaus,
> dass hier die Katalogisierung wiederentdeckt wird.
> (Die Wiederentdeckung des Einheitstitels ist noch nicht gelungen!
> Der Gibbon-Titel lautet korrekt "The history of the decline and
> fall of ...)
> 
> ERC verbindet sich eng mit dem ebenfalls neuen Konzept des "Archival
> Record Key" (ARK), der auf ein dauerhaftes Identifizieren von 
> Dokumenten abzielt, und dazu gehoert ein knappes und praezises
> Zitat des Dokuments - eben das soll ERC leisten.
>    Zu ARK:  http://ark.nlm.nih.gov
> "ARK is a convention for the persistent naming and 
> retrieval of digital objects"
> 
> Es ist nicht so, dass von den 15 DC-Elementen nun 11 abgeschafft 
> werden, sondern sie werden anders angeordnet und vor allem viel
> einfacher und effizienter dargestellt als in allen existierenden 
> DC-Implementierungen. (Man muss immer daran denken, dass der
> DC-Standard NICHTS darueber sagt, wie die 15 Elemente dargestellt
> werden sollen! DC befasst sich nur mit der Semantik, es ist kein 
> Kategorienschema oder Datenformat, die bekannten HTML-Tags 
> gehoeren nicht zum Standard, sondern man kann und darf es
> ganz anders machen.)
> 
> In der Beschreibung, die Kunze gibt, wird ein Vorteil nach dem anderen
> vorgefuehrt, nebenbei wird auch XML fuer Metadaten-Anwendungen 
> disqualifiziert. Diese Vorteile, so heisst es am Schluss, "legen es
> nahe, dass auf dem Gebiet der einfachen Metadaten solche Strategien,
> die sich der Komplexitaet verschreiben - vom Reichtum der
> XML/RDF-Modelle zur Vielfalt der neuen Namensraeume, Profile,
> Schemata usw. - eine Ergaenzung gut vertragen koennen durch parallele
> Strategien (wie ERC), die jede Komplexitaet energisch vermeiden."
> Wer am Ende die Wahl hat (und auf's Geld schaut), was wird der wohl 
> dann machen? Denn DC selber war ja eigentlich angetreten, die Dinge 
> ganz einfach zu machen.
> 
> DC steht nicht auf der Kippe, das muss man wohl betonen. Angegriffen
> wird die ausufernde Komplexitaet der *Realisierung* von DC-Metadaten-
> Systemen, bei der gleichwohl wichtige Dinge uebersehen oder ignoriert
> wurden. Kleines Beispiel: DC sagt bis heute nichts darueber, ob und 
> wie man die Sortierfaehigkeit von Datenelementen sichern kann:
> man findet Beispiele fuer "Nachname, Vorname" und "Vorname Nachname".
> Als nur semantischer Standard muss DC dazu auch nichts sagen! Aber
> man darf dabei nicht stehenbleiben, man braucht eine Datenstruktur,
> und die muss solche Dinge regeln.
> ERC bietet eine ganz einfache Methode, die noch dazu auch fuer die 
> Behandlung von Artikeln am Titelanfang taugt.
> 
> Wenn Metadaten ueberhaupt eine Zukunft haben, dann sind dafuer jetzt
> die Karten neu gemischt. Auch Kunze gibt aber zu, dass angesichts
> der unvorhergesehenen Google-Erfolge die in Metadaten gesetzten 
> Erwartungen zur Verbesserung der Auffindbarkeit von Netzobjekten
> einen schweren Stand haben.
> 
> MfG B.E.
> 
> 
> Bernhard Eversberg
> Universitaetsbibliothek, Postf. 3329, 
> D-38023 Braunschweig, Germany
> Tel.  +49 531 391-5026 , -5011 , FAX  -5836
> e-mail  B.Eversberg _at__ tu-bs.de  
> 


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