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McKinsey-Gesellschaft



Etwas außerhalb der Tagesordnung: Kolleginnen und Kollegen, die
sich gelegentlich über Selbstverständnis und Zukunft ihrer
Einrichtung Gedanken machen, empfehle ich

 "Unser effizientes Leben"  des Spiegel-Redakteurs Dirk
Kurbjuweit (Rowohlt 2003).

Als Leseprobe ein kurzes Zitat zur Alt-Kontroverse "Benutzer
versus Kunde":

"Das [die zunehmende Verabschiedung der öffentlichen Hand von den
klassischen Aufgaben der Daseinsvorsorge] ist die Folge der
Umwandlung des Bürgers in einen Kunden. Ein Bürger hat Ansprüche
gegenüber dem Staat, zum Beispiel auf die Möglichkeit zur
Bildung, unabhängig von seinem persönlichen Einkommen. Ein Kunde
hat Anspruch auf das, was er bezahlt. Da niemand für den Entleih
von Büchern einen kostendeckenden Betrag zahlen würde oder
könnte, schließt man die öffentlichen Bibliotheken. Sie sind
nicht marktgerecht...
So führt das McKinsey-Denken in Politik und Verwaltung zu einem
paradoxen und traurigen Ergebnis. Der Bürger wird in einen Kunden
verwandelt, weil man unterstellt, dass ein Kunde besser behandelt
wird als der Bürger. Was viel sagt darüber, wie tief der
Ökonomismus in die Gesellschaft vorgedrungen ist. Das
wirtschaftliche Subjekt wird höher eingestuft als das politische.
Im Grundgesetz war das so nicht vorgesehen, der Kunde kommt dort
nicht vor. Ist der Bürger dann zum Kunden geworden, behandelt man
ihn schlechter als zuvor, weil ein Kunde nicht den gleichen
Schutz genießt wie ein Bürger, zum Beispiel durch das
Grundgesetz.
Viele Aufgaben des Staates sind so grundsätzlich anders als die
von Unternehmen, dass es absurd ist, die selben Maßstäbe
anzuwenden..." (48 f).

Dies ein wenig Wasser auf die Mühle jener Berufsgenossen/innen,
die sich inzwischen in die Rolle einer sozialen Randgruppe
gedrängt sehen, weil sie der Meinung sind, der Benutzer müsse
zwar  m i n d e s t e n s  so gut behandelt werden wie ein Kunde,
aber letztlich doch noch ein wenig besser. Die Quasi-
Monopolstellung der - pardon - Behörde "Bibliothek" und ihr
Gesetzesauftrag, jeden - auch den Querulanten und Betriebsablauf-
"Störer" korrekt und zuvorkommend zu bedienen, erlegt uns ein
höheres Service-Ethos auf, als man das von der Boutique-
Besitzerin erwarten kann, die Geschäftsschädlinge ohne Begründung
vor die Tür setzt.

Im Übrigen werden wir bei Kurbjuweit all jenen organisatorischen
und terminologischen Moden begegnen, die uns aus der New
(Library) Economy wohl bekannt sind. Der lieb-verhuschte, und als
Öffentlicher Dienst stets etwas schuldbewußte Berufsstand
reagiert auf die Verbetriebswirtschaftlichung aller
Lebensbereiche ja wie ein trockener Schwamm. Zwar rangieren wir
in der sozialen Ansehens-Liste abgeschlagen unmittelbar vor
Buchhändlern, Offizieren und Hausmännern, aber mancher wittert
offensichtlich die Chance, dieses Ranking durch die beflissene
Umsetzung angesagter Management-Konzepte zu verbessern.

Klaus Döhmer


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.