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Re: Zeit fuer Elite-Bbliotheken?



Genau das ist das zentrale Problem.
Anstatt dass man in Deutschland in den Universitäten Infrastrukturen schafft,
so dass Studierende und Wissenschaftler sich international darum reißen, hier arbeiten zu dürfen,
plant man immer mehr Geld dafür zu bezahlen, dass man Spitzenleute für Spitzengelder hier her locken kann.
Vor hundert Jahren, in der Zeit der Little Science, war das sinnvoll. Wir leben in der Ära der Big Science, da gilt vieles von dem, was Th. Kuhn gefunden hat nicht mehr.


Studierende und Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt gehen in die USA (teilweise zahlen sie dafür
in diese Universitäten kommen zu dürfen) weil die Infrastruktur (und hier sind noch immer die besten Bibliotheken der Welt zuhause) besser ist.


In Deutschland verschleudert man dagegen immer mehr Geld für "Spitzenwissenschaftler", als würde man die bekanntesten Entertainer, Fußballer oder Schauspieler einkaufen. Information, Wissen und Wissenschaft unterliegt aber einer erheblich anderen Voraussetzung als die bisherige Marktwirtschaft. Wer das nicht sieht, hat die Folgen der Informationstheorie noch nicht verstanden. Darum hatte Harnack recht, als er die Bibliothekswissenschaft als eine Nationalökonomie des Geistes und als eigene Geistes-wirtschaft bezeichnete. Das beginnt schon beim Monopol des Urheberrechts.

Wissenschaftler sind Idealisten. Ihre Berufungsverhandlungen (bei solchen Verhandlungen mit den Professoren sieht man das am deutlichsten) werden für den Geldgeber immer teurer je schlechter die Arbeitsbedingungen sind. Allein am Institut für Bibliothekswissenschaft in Berlin haben seit dem Neubeginn 1994 meines Wissens 3 Professoren aus dem Ausland darum abgesagt. Deutsche können und sollten für Deutschland noch Lokalpatriotismus entfalten, aber kann das für Ausländer gelten?

Ich gebe zu, dass es lange gedauert hat, bis ich begriffen habe, dass wir unsere Statistiken international dadurch verbessern werden, in dem wir den größten Teil unserer bisherigen Studienabbrecher, also die die nicht bis zum Diplom oder Magister kamen, mit einem Bachelor verabschieden, und sagen sie hätten auch einen Studienabschluss. Wenn man grob geschätzt annimmt, dass die Hälfte der Studierenden an den Universitäten von diesem Abschluss gerettet werden, dann können wir nach 2010 (Bologna lässt grüßen) mit einer verdoppelten Zahl an Absolventen in massiv verkürzter Studienzeit rechnen. Das ist ein weites Feld.

Deutschland wurde, und wird im Ausland z.T. noch immer, darum beneidet, einen vergleichsweise gleichmäßigen Ausbildungsstandard zu haben. Man musste nicht, wie in den USA oder auch in vielen anderen Ländern, bei jedem Abschluss dazu sagen, ob man ihn in Harvard oder sonstwo erhielt. Die Aussage, in Deutschland studiert, reichte meist. Jetzt, zu einer Zeit, in der man sich in immer mehr Bereichen um Qualitätsmanagement bemüht, arbeitet man darauf hin, diese Stärke auch noch zu verlieren. Auch das ist ein weites Feld.

Die Frage, die Eversberg implizit aufwirft, warum in den "US-Universitaeten im Schnitt die Bibliotheken nur noch ca. 3% des Hochschul-Budgets bekommen, vor 25 Jahren waren es noch 6%." muss man wohl unter vier Gesichtspunkten sehen.
1. ging hier wie dort ein Teil der Bibliotheksbudgets an die Wissenschaftler verloren, wenn u.a. beispielsweise eine Fernleihe von diesen bezahlt wird, und wenn damit immer mehr Information über das Internet aus anderen Bibliotheken stammt. Wir müssen eben immer mehr unterscheiden, zwischen einer Bibliotheksverwaltung im engeren (bzw. alten) Sinne und einer Bibliotheksverwatung im erweiterten Sinne (Ewert/Umstätter). Das hat auch Auswirkungen auf die Budgets.
2. es ist gerade der Vorteil einer Bibliothek, dass sie immer kostensparender wird, je mehr Nutzer sie hat. Das heißt, bei einer wachsenden Zahl an Studierenden muss man nicht im gleichen Maße den Bibliotheksetat steigern. Es gibt eben keinen Zusammenhang zwischen der Zahl an Studierenden und den Erwerbungsetats in deutschen Universitätsbibliotheken.
3. Studierende können bei immer mehr Bibliotheken in der Welt auch immer mehr Bibliotheken benutzen. Als man vor Jahren in den USA die erste Universität gründete, ohne vorher eine UB aufzubauen, griff man auch auf die benachbarte Universität zurück.
4. bei exponetiell ansteigenden Kosten für die Big Science sind 3% noch immer weit aus mehr, als 6% bei einer Little Science.


Mit anderen Worten, Bibliotheken sind heute mehr denn je die wichtigste Rationalisierungsmaßnahme von Bildung, Forschung und Wissenschaft in diesem unseren Lande.

Wenn das Bibliothekswesen in Deutschland nicht sofort gefördert, rationalisiert und verbessert wird, haben wir in Bildung, Forschung und Wissenschaft immer höhere Unkosten - im wahrsten Sinne des Wortes ;-).

MfG

Umstätter


Bernhard Eversberg wrote:


Die ZEIT hat sich am 8.1., unvermeidlich, in die juengst aufgeflammte
Diskussion um die "Elite-Hochschule" eingemischt. Die Frage wird gestellt,
nachdem eine Reihe von Unterschieden zwischen deutschen Standard-
und US-Edel-Hochschulen herausgestellt wurden, "Was muesste sich an deutschen Unis aendern?" und das Fazit lautet: "Alles".


Auch die Bibliotheken? Oder allgemeiner, denn es geht ja heute nicht nur um Buechersammlungen, die Informations-Infrastruktur?
Man liest den Beitrag schon in der Erwartung, mal wieder kein Wort ueber
diese Dinge zu finden. Die Erwartung wird nicht enttaeuscht.
Heisst das, wir koennen uns auf die Schultern klopfen, alles im gruenen Bereich? Dann wuerde das ZEIT-Fazit nicht stimmen, und das kann nicht sein. Es kann nur heissen: Bibliotheken sind quantité negligeable, einer Erwaehnung nicht wert, in Chefsachen wie der Hochschul-Bildungspolitik. Es *gibt* sie noch, aber Worte muss man da nicht mehr verlieren. Ob man "drueben" auf dem Gebiet irgendwas anders macht oder nur mehr Geld ausgibt, ist egal. Schon in den Top-Level-Aeusserungen ueber "Pisa" waren Bibliotheken und war Informationsversorgung und -kompetenz nie zu finden.


Auf dem Kongress in Leipzig, im Schwerpunkt "Bildung und Information"
am 25.3., wird Gelegenheit sein, das Thema zu ventilieren. Dort sind
Politiker dabei, die ZEIT auch? In die Diskussion werfen koennte man
die Fragen: "Brauchen wir Elite-Bibliotheken? Braucht eine Elite Bibliotheken?".
Wird Informationsinfrastruktur noch als tragender Pfeiler wahrgenommen,
Zugang zum Wissen der Welt als Lebensnerv fuer Forschung und Lehre,
Bibliotheken als Basis fuer Bildung - oder ist das alles im
Bewusstsein der Politik, der Wissenschaft, und der Medien, also auch in der Wirklichkeit, Elite oder nicht Elite, marginal?
Richtig ist aber auch, dass an US-Universitaeten im Schnitt die
Bibliotheken nur noch ca. 3% des Hochschul-Budgets bekommen, vor
25 Jahren waren es noch 6%. Also an der Grenze der Marginalitaet,
da muessen wir uns nicht wundern, dass sie unter der ZEIT-Lupe nicht mehr erkennbar waren.


Die Aufregung wird sich ansonsten wohl legen. Auch bei diesem Thema war
wieder mal der Schall schneller als das Licht. Selbst Elitephysiker
raetseln, wie die das schaffen, die Politiker.


Bernhard Eversberg
Universitaetsbibliothek, Postf. 3329, D-38023 Braunschweig, Germany
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