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Meldestelle auf www.52a.de



Liebe Liste,

während Vertreter des Deutschen Bibliotheksverbandes und des
Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sich nur wenige Wochen nach dem
Inkrafttreten des umstrittenen Paragraf 52a Urheberrechtsgesetz auf eine
"gemeinsame Charta" zur Auslegung der Norm verständigt haben, vgl. die

Charta zum gemeinsamen Verständnis von § 52a UrhG
(Frankfurt am Main, 2. Oktober 2003), veröffentlicht in: 
Bibliotheksdienst 37. Jg. (2003), H. 12, S. 1541 - 1542

[ seit heute auch online zugänglich unter: 
http://www.bibliotheksverband.de/dbv/rechtsgrundlagen/Charta-UrhG.pdf ]

führt der Börsenverein seine Kampagne gegen § 52a und jetzt auch die 
Regelung in § 53 zum digitalen Dokumentenversand durch Bibliotheken
weiter 
(vgl. a. Börsenverein zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft,
http://www.boersenverein.de/sixcms/detail.php?id=64600). 

Zur Erinnerung: Die Wissenschaftsverlage und der Börsenverein des
deutschen Buchhandels liefen Sturm gegen die Nutzung digitaler Werke zu
Unterrichts- und Forschungszwecken. Der Verleger Georg Siebeck als
Sprecher der Initiative "Verlage und Wissenschaftler für ein faires
Urheberrecht" behauptete ?Letztlich brauchen alle deutschen Bibliotheken
dann zusammen nur noch jeweils ein Exemplar eines Lehrbuches oder einer
Fachzeitschrift?. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wies diese
Darstellung zwar umgehend als falsch zurück: von Bibliotheken sei in der
Regelung überhaupt nicht die Rede, trotzdem inserierte die Initiative
unverdrossen weiter: ?Universitäten und Schulen müssen sparen. Darum
dürfen sie in Zukunft Bücher und Zeitschriften klauen.? Eben dies werden
die in den Paragraphen 95 a-d geregelten DRM-Systeme wirksam
unterbinden. Dass der § 52a dazu nur ein Gegengewicht bildet, damit die
Ausübung der erweiterten Kontroll- und Verfügungsmöglichkeiten über
digitale Medien nicht durch Einzellizenzierungsverpflichtungen hinter
bestehende Regelungen für Printmedien zurückfällt, ging in dem Geholze
unter - von DRM-Systemen ist auf der Webseite www.52a.de der Initiative
keine Rede, schreiben Richard Sietmann und Stefan Krempl in einem
c't-Artikel zum Thema Urheberrecht ("Zaghaft nach Digitalien", Das neue
Urheberrecht auf Probe, c't 9/2003, S. 18)

Auf der Webseite www.52a.de, einem Pamphlet, von dem es im April 2003 
seitens des DBV noch hieß, "Die Forderung des DBV ist nach wie vor:
Die Website muss vom Netz!" (DBV-Newsletter Ausgabe 33,
http://www.bibliotheksverband.de/newsletter/nl170403.html), wurde
inzwischen eine "Meldestelle" (meldestelle _at__ 52a.de) eingerichtet, auf der
Studenten, Doktoranden, Professoren und andere Mitarbeiter von
Forschungseinrichtungen dazu aufgefordert werden, zu melden, 

"welche veröffentlichten Werke (z.B. Artikel aus Fachzeitschriften,
wissenschaftliche Monographien oder Teile von Lehrbüchern) im Netzwerk
Ihrer Bildungs- bzw. Forschungseinrichtung zugänglich sind."

Es heißt dort weiter:
"Falls Sie nicht sicher sind, ob die Inhalte des Netzwerks Ihrer
Einrichtung direkt beim Verlag lizenziert sind, können Sie uns diese mit
einem entsprechenden Hinweis melden. Wir prüfen dann, welche Nutzungsart
hier vorliegt."

Gemeldet werden sollen

1. Name, Adresse und nähere Angaben zum Netzwerk und dessen Betreiber
(z.B. "Theologisches Seminar der Universität X, Y-Straße 5, 00555 X",
Netzwerk des Lehrstuhls für Kirchengeschichte mit 10
zugriffsberechtigten PC-Arbeitsplätzen) 
2. Netzwerkinhalte, d.h. Zeitschriftenbeiträge oder in Verlagen
erschienene Werke bzw. Werkteile (Auflistung oder Screenshot) 
3. Ihr Name und Ihre Adresse 

Als Belohnung für die Einsender winkt monatlich ein Gewinnspiel in Form
einer Verlosung von drei Buchpaketen mit deutschsprachigen Fach- oder
Lehrbüchern im Warenwert von 200 Euro. (Bibliotheken, die bekanntlich
unter 52a nicht selbst als Anbieter auftreten, sondern nur die Vorlagen
zur Digitalisierung oder die Digitalisate selbst bereitstellen können, 
sind hier offensichtlich nicht als Informanten angesprochen, sonst 
müsste der Börsenverein schon angemessenere Anreize bieten, z.B. die 
monatliche Verlosung von 3 Abos im nominellen Werte eines Kleinwagens. 
Aber die Bibliotheken haben sich ja ohnehin schon im Rahmen der Charta 
die Selbstverpflichtung auferlegt, alle von ihnen für eine Nutzung nach 
§ 52a zur Verfügung gestellten Werke in geeigneter Weise zu 
registrieren, sodaß eine "angemessene Vergütung" der Rechteinhaber 
möglich wird.

Die Aktion läuft offenbar bereits seit Oktober 2003. 

In diesem Zusammenhang interessiert mich, 
- ob der Börsenverein der Meinung ist, daß die Einrichtung der 
Meldestelle in dieser Form dem Geist der "Gemeinsamen Charta" 
entspricht, mit der Bibliotheken und Verlage "wieder an ihre 
traditionell gute Zusammenarbeit anzuknüpfen" wollten?
- warum der Börsenverein auf seinen Seiten und auf 52a.de nicht 
ebenfalls die "Gemeinsame Charta" veröffentlicht und damit den 
Weg der Konfrontation verläßt?

Wenn der Börsenverein Autoren und andere Mitarbeiter von
Forschungseinrichtungen in dieser Weise anspricht und zu Meldungen
auffordert, deren Konsequenzen gerade angesichts der bestehenden
weitverbreiteten Rechtsunsicherheit und Rechtsunkenntnis* gar nicht 
absehbar sind (und vermutlich geschieht dies nicht nur über 52a.de, 
sondern wieder auch parallel in Briefen an Verlagsautoren), ist es 
wohl dringend geboten, daß wir in den Bibliotheken aktiv werden 
und Handreichungen zur Auslegung und Anwendung der Norm unseren 
Nutzern zugänglich machen und nahebringen. 

Wer das tut, sollte allerdings gleichzeitig darauf hinwirken, daß 
den Wissenschaftlern und Entscheidungsträgern in der Universität 
bewußt wird, daß sie es weitgehend selbst in der Hand haben, ob 
die Ergebnisse der eigenen Forschung (und hier sind referierte,  
in Zeitschriften veröffentlichte Originalarbeiten gemeint, nicht 
Monographien und Lehrbücher) an der eigenen und an anderen 
Universitäten frei zugänglich sind und damit maximalen "Impact" 
entfalten können. Insofern lenkt das gebetsmühlenartig wiederholte 
Gejammere, die Universitäten müssten sich Ihre eigenen Forschungs-
ergebnisse von den Verlagen teuer zurückkaufen, bloß von der 
eigenen Verantwortung ab. Daß Bibliotheken in der Propagierung 
des Open access Gedankens (Veröffentlichung in Open Access 
Zeitschriften *und* Selbstarchivierung der bei anderen Zeitschr.  
eingereichten Arbeiten durch die Wissenschaftler, d.h. parallele 
Verfolgung von BOAI-Strategie 1 und 2) trotz Einrichtung von 
Volltextservern auf breiter Basis noch große Defizite haben, kann 
nicht geleugnet werden (das gilt auch für meine eigene Bibliothek). 

*) Kostprobe aus den 'Ansichten eines Profs: Uni-Schmarotzer, Teil 4: 
Der Schwund übernimmt die Bibliotheken / Axel Brennicke': "... Damit 
werden auch die viel billigeren persönlichen Abos möglich, die jetzt 
nach der Novellierung des Copyright-Gesetzes für ganze Arbeitsgruppen 
und Institute legal zur Verfügung stehen." (Aus: Laborjournal 12/2003, 
24-25.)

Mit freundlichen Grüßen,
Bernd-Christoph Kämper, UB Stuttgart (ich spreche als Bibliothekar und
Listenmitglied nur für mich selbst, nicht als Vertreter meiner
Einrichtung)

--
Bernd-Christoph Kaemper, Dipl.-Physiker, Bibl.-Rat 
Fachreferent für Physik und Koordination elektronischer Ressourcen 
Universitätsbibliothek Stuttgart, Postfach 104941, 70043 Stuttgart 
Tel +49 711 685-4780, Fax +49 711 685-3502, kaemper _at__ ub.uni-stuttgart.de


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