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Encarta



Liebe Liste,

die technischen Probleme, die encarta machen kann, sind sicher zu würdigen.
Aus Sicht einer guten Informationsversorgung stellt dieses Produkt aber noch
ganz andere Probleme dar. Die Rede ist von der inhaltlichen Qualität der
Beiträge. Ich habe mir vor einiger Zeit eine ältere Version (von 2000 glaube ich)
näher angesehen. Dafür habe ich Lemmata ausgewählt, bei denen ich mir eine
gewisse Fachkompetenz zuschreibe (es ging um liturgiewissenschaftliche
Fragestellungen). Das Ergebnis war verheerend! Es sind nicht so sehr falsche
Informationen (die gab es auch), sondern Verkürzungen und mißverständliche
Formulierungen, die das Ziel einer guten und soliden Information gefährden. Die
Autoren der encarta waren bei den ausgewählten Artikeln mehr dem journalistischen,
denn dem wissenschaftlichen Bereich zuzuordnen. Gegenüber dem
Brockhaus-Produkt, hinter dem die recht solide Kompetenz der Printausgabe steht, ist encarta
damals eindeutig abgefallen. 

Was soll man nun bibliothekarisch aus einem solchen Befund machen? Soll man
den besserwissenden Oberlehrer spielen, ausgestattet mit pädagogischem und
volksaufklärerischem Eros? Das kommt nicht gut an. Aber hinweisen, wenn man
denn von den Lesern gefragt wird, sollte man doch auf den Umstand, daß die
Einarbeitung in ein neues Gebiet sicher nicht gut mit Nachschlagewerken (seien sie
elektronisch oder gedruckt) erfolgt, sondern einen systematisch verfaßten
Lehrtext erfordert. Erst wenn der verstanden ist, kann die knappe Information
eines Nachschlagewerkes richtig gewürdigt, verstanden, verwendet werden. Auch
das gehört zur Informationskompetenz und nicht bloß die modern anmutende
Fähigkeit, Programme per Mausklick aufzurufen und ihnen einige Wissensbrocken zu
entlocken oder gar einen Aufsatzgenerator zu bedienen, der aus mehreren
Artikeln ein Referat zusammenschreibt.

Das angesprochene Problem findet sich in vielen Kontexten wieder. Das habe
ich als Fachreferent für Recht erlebt:
Wenn, weil es modern ist, FH-Professoren der Sozialarbeit ihre Studenten auf
die JURIS-Datenbank verweisen, um eine Hausarbeit über Betreuungsrecht zu
schreiben und die Studenten, wenn sie dann beim Fachreferenten landen,
verwundert zur Kenntnis nehmen, daß ein möglichst dicker, weil ausholend erklärender
Großkommentar für ihre Zwecke der bessere Einstieg ist, erntet man nur
ungläubiges Staunen. Diejenigen, die den vermeintlich altmodischen Weg gegangen
sind, sind am Ende aber besser ans Ziel gekommen und konnten dann auch JURIS und
andere elektronische Ressourcen mit Gewinn nutzen. Die Welt liegt einem eben
doch nicht per Mausklick gleich zu Füßen, man muß heute und wird auch in
Zukunft immer noch "an den buochen" lesen. ;-)

Grüße aus Thüringen
Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de

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