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AW: AW: Berufsbezeichnung_weiblich_männlich



dies die jochum'sche rechtfertigungs-suada, von der ich dir erzählt habe!

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: owner-inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:owner-inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Uwe Jochum
Gesendet: Donnerstag, 21. Oktober 2004 16:12
An: INETBIB@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: Re: AW: Berufsbezeichnung_weiblich_männlich

Liebe Ariadne-Frauen,

obwohl der Listenadministrator zur Beendigung der Debatte drängt, scheinen
mir einige Erläuterungen und Zurechtrückungen doch am Platz.

1. Ich habe den Wikipedia-Artikel sehr wohl gelesen, und anders als
   Sie unterstellen, habe ich ihn ganz gelesen. Die Pointe meines
   Satzes, von dem Sie schreiben, er sei männlich kurz, was im
   Gegensatz dann zu der Vermutung führt, Ihre Antwort sei weiblich
   lang, die Pointe also meines Satzes ist diese: Schon der
   Wikipedia-Artikel zeigt, ganz gelesen, daß es mit dem male bias
   nicht so einfach ist. Sie haben uns nämlich den Schlußsatz des
   Artikels vorenthalten: "Für den deutschsprachigen Raum können
   Folgerungen über mögliche Ursachen und Wirkungen des bei Verwendung
   des generischen Maskulins auftretenden male bias erst dann
   getroffen werden, wenn vergleichbare Untersuchungen über einen
   längeren Zeitraum durchgeführt werden."

2. Da Sie mir nun also sicherlich eine gewisse weibliche Länge in der
   Antwort konzedieren werden, darf ich meine Pointe noch ausweiten:
   Hätten Sie sich die Mühe gemacht, in einer aktuellen Grammatik
   nachzulesen, wie ich das männlich kurz empfohlen hatte, hätten Sie
   festgestellt, daß es dort noch in erhöhter Komplexität
   weitergeht. Stichworte sind "strukturelle Bedingtheit des
   grammatischen Geschlechts" (und eben NICHT semantische Bedingtheit
   desselben) und "Neutralisation". Das kann und muß aber jeder selber
   nachlesen, und es sei hinzugefügt, daß dieses "jeder" auch alle
   nichtmännlichen Themainteressenten meint.

3. Was bleibt, ist, auch in dem von Ihnen zitierten Wikipedia-Artikel,
   der bei einigen Frauen sich regende Unmut, in generischen Kontexten
   grammatisch mit der männlichen Form miterfaßt zu werden, wo man
   lieber als Frau mitgemeint wäre. Das ist dann aber ein Problem der
   Rezeption, keines der Produktion solcher Sätze wie "alle
   Bibliothekare verdienen entschieden zu wenig". Die Unterstellung
   nämlich, in diesem Satz seien nur die männlichen Bibliothekare
   gemeint, ist genau dies: eine Unterstellung. Daß Sie in solchen
   Kontexten die grammatisch neutralisierte männliche Form semantisch
   mißverstehen, ist ein verständliches grammatisches Mißverständnis,
   dessen Anlaß sicherlich darin liegt, daß Sie sich über Ihnen
   mißliebige gesellschaftliche Verhältnisse ärgern. Dieser Ärger
   sollte aber nicht blind dafür machen, daß an keiner Zeile des
   Threads, auf den Sie sich beziehen, auch nur die leiseste Spur
   einer sprachlichen Unterdrückung der Frau zu erkennen ist.

4. Die Strategie Ihrer Intervention ist eine moralistische: Sie haben
   von der Sachebene auf die Formalebene und dort auf die
   möglicherweise nachzuweisende Voreingenommenheit der Diskutanten
   abgehoben. Zur Unterstellung einer solchen Voreingenommenheit
   aufgrund grammatischer Phänomene siehe oben 3.; zur Frage, was
   damit sachlich im ursprünglich gegebenen Kontext gewonnen sei, die
   einfache Antwort: nichts.

5. So wenig wie mit der in politisch korrekter Absicht geschehenen
   Begriffsverschiebung von "Neger" zu "Schwarzer" zu "Afroamerikaner"
   in den USA die reale Lage dieses Personenkreises verbessert wurde,
   so wenig wird Ihre Intervention die Rolle der Frau im allgemeinen
   und speziell im Bibliothekswesen verbessern. Solche Verbesserungen
   sind nicht durch Manipulationen an der Grammatik zu erzielen,
   sondern durch politische Veränderungen. Sie werden darauf
   antworten, es sei Ihnen nur auf eine Bewußtmachung des male bias
   angekommen. Dazu wäre dann wieder oben unter 2. und
   3. einzusetzen.

6. Solange diese Präzisierungsschleifen laufen, lassen Sie uns doch
   einfach in aller Sachlichkeit festhalten, daß wir gerne, wie alle
   Menschen guten Willens, dafür sorgen wollen, Diskriminierungen
   abzubauen. Lassen Sie mich aber hinzufügen, daß ich 1. die Sprache
   für ein ungeeignetes Mittel zum Diskriminierungsabbau halte und
   2. nach etwa 20jähriger Arbeit im Bibliothekswesen nicht sehe, wo
   ausgerechnet in diesem Berufsfeld die krassen
   Frauendiskriminierungsfälle zu finden sein sollen. In Deutschland
   jedenfalls nicht. Zu Österreich kann ich nichts sagen.

Ich darf Ihnen daher ein freundliches "Habe die Ehre" sagen,

Uwe Jochum


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