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[InetBib] Wochenendlektüre zum Urheberrecht!



Liebe Liste, 

in der Zeitschrift GRUR Int. 55 (2006), H. 3, S. 179-190 ist ein interessanter 
Aufsatz von Reto M. Hilty zum Thema ?Das Urheberrecht und der Wissenschaftler? 
erschienen.

Hilty stellt eindrucksvoll die Schwächen des geltenden Urheberrechts heraus, 
das weniger dem Schutz der Urheber, als vielmehr dem der Verlage, die lediglich 
abgeleitete Rechtsinhaber sind, dient.

Durch den im europäischen Recht normierten und damit für den nationalen 
Gesetzgeber verbindlichen Schutz technischer Schutzmaßnahmen auch gegenüber 
gesetzlichen Schrankenbestimmungen im online-Bereich wird die Trennung von 
Inhalt (schutzfrei) und Form (geschützt) im Urheberrecht weitgehend obsolet.

In Wissenschaften, die zunehmend auf online verfügbare Inhalt angewiesen sind, 
wird diese Entwicklung zu einer tiefgreifenden Informationskrise führen:

?Mit anderen Worten verfügt derjenige, welchem der Rechtsschutz an einer 
technischen Schutzmaßnahme zusteht [also der Verlag, Anm. ES]... in letzter 
Konsequenz über die volle Herrschaft an der Information.?

Hilty zeichnet weiterhin kenntnisreich die Entwicklungen im wissenschaftlichen 
Publikationswesen nach und erörtert Chancen und Probleme (v.a. Kosten) von open 
access.

Sehr plastisch wird er, wenn er den Konflikt zwischen Elsevier (?bemerkenswerte 
Arroganz?) und der Max-Planck-Gesellschaft beschreibt: Preiserhöhungen von 260 
%!

Nüchtern ist auch seine Analyse, wo denn der Mehrwert von Verlagsleistungen im 
online-Bereich liegt: Artikel durch den Autor (kostenlos), peer reviewing 
(kostenlos), also allenfalls Bereitstellung von Informationsinfrastruktur [Anm. 
ES: haben die Bibliotheken schon...].

Abschließend zeigt Hilty dringend nötige Veränderungen im europäischen Recht 
auf, damit sich das neue Urheberrecht nicht als ein ?Schlag ins Gesicht der 
vielbeschworenen Informationsgesellschaft? erweist.

Der Aufsatz ist sehr lesenswert, auch wegen einiger prägnanter Formulierungen:

?Das Urheberrecht verfolgte von seinem Ursprung her niemals das Ziel, Inhalte 
einer ausschließlichen Rechtsposition zu unterwerfen. Vielmehr sind genau sie 
es ..., deren freie Verfügbarkeit seit jeher mit besonderer Sorgfalt bedacht 
wurde? 
...
?Entsprechend kann das Interesse (derivativer ) Rechteinhaber an allumfassenden 
Verbotsrechten ... keinen Schutz genießen, denn er ginge über das hinaus, was 
das Urheberrecht schützen will.? (S. 189)

?Denn bringt das gewährte Schutzrecht demjenigen, welcher zu kreativer Arbeit 
motiviert werden soll, letztlich kaum wirtschaftliche Vorteile, sondern werden 
die aus dem Recht fließenden Befugnisse von Verwertern wahrgenommen, so 
verfehlen die Ausschließlichkeitsrechte nüchtern betrachtet ihr Ziel.? (S. 185)

Der Aufsatz kann jedem, der kompetent über aktuelle Entwicklungen im 
wissenschaftlichen Publizieren mitreden will, nur wärmstens empfohlen werden. 

Eine kleine Schwäche hat er dennoch: die Bibliotheken kommen praktisch nicht 
vor, von der zutreffenden Bemerkung freilich abgesehen, daß die Wissenschaftler 
wegen der Bezahlung aus zentralen öffentlichen Mitteln (Bibliotheken!) die 
überzogene Preisentwicklung in ihrem Fach kaum mitbekommen.

Hier möchte man fragen: Sind Bibliotheken im online-Bereich ohne Bedeutung? Ich 
denke, hier übersieht Hilty, daß die von Verlagen als wohl einziger Mehrwert 
vorgehaltenen Informationsinfrastrukturen von den öffentlich unterhaltenen 
wissenschaftlichen Bibliotheken gut ersetzt werden können. 

Man kann sogar noch weiter gehen. Die Informationsinfrastrukturen der Verlage 
werden letztlich schon jetzt durch die Bibliotheken mit dem Leser verbunden. 
Überteuerte Information wird nicht nur durch öffentliche Gelder erzeugt und 
zurückgekauft, sondern zu einem guten Teil auch noch zu Gunsten der Verlage 
vertrieben und in die Informationsinfrastruktur der Universitäten eingebettet. 
Man sollte diesen Mehrwert den Verlagen vielleicht einmal in Rechnung stellen 
(Personalkosten in der Zeitschriftenstelle, Pflege von Zugängen, 
Leistungekosten, Schulungskosten für Studenten und wissenschaftliches Personal).
Das könnte die Bezugspreise unter dem Strich sicher sehr entspannen. :-) 

Zum Meditieren möchte ich abschließend § 28 I S. 3 Landeshochschulgesetz 
Baden-Württemberg zitieren: "Das Informationszentrum [dazu  gehören auch die 
Bibliotheken, Anm. ES] kann seine Dienstleistungen anderen Hochschulen gegen 
marktübliche Entgelte anbieten; bei Dritten müssen (!!!) entsprechende Entgelte 
erhoben werden." Na dann :-))

Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de



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