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[InetBib] Urheberrecht und Stellungnahme des Börsenvereins



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

audiatur et altera pars: Heise online meldet heute um 15:11, dass der Börsenverein heute in Berlin Stellung genommen hat zum Urheberrechtsentwurf. Sie fürchten -- genau wie wir Bibliothekare -- "um die Zukunft [...] des Bildungsstandorts Deutschland". Und natürlich um sich selbst:
<http://www.heise.de/newsticker/meldung/75565>

Hauptkritikpunkt, wieder einmal, dass Bibliotheken u.a.
<Zitat> "künftig beliebig viele elektronische Leseplätze aufstellen und an diesen ohne Genehmigung der Rechteinhaber geschützte Werke zugänglich machen dürfen. Dabei soll es nicht darauf ankommen, ob und in welcher Zahl sich die fraglichen Werke im Bestand der jeweiligen Einrichtung befinden. Dies würde auch für gesetzliche Pflichtexemplare gelten, welche die Verlage den Bibliotheken etwa im Fall von Dissertationen kostenfrei zur Verfügung stellen müssen". </Zitat>

Ui, dazu fällt mir viel ein. Erstmal bin ich neidisch, denn ich habe die von der Prüfungsordnung geforderten "Pflichtexemplare" meiner Diss, zugegeben mit Rabatt, aber doch: selbst bezahlt und in der Bibliothek abgeliefert. Ich wusste gar nicht, dass das der Verlag hätte bezahlen müssen. Oder ist da von was anderem die Rede? Gibt es Pflichtexemplare, die die Verlage "den Bibliotheken kostenfrei zur Verfügung stellen müssen"?

Und das Recht auf die öffentliche Zugänglichmachung von Werken an speziellen Leseplätzen: Lieber Herr Sprang, falls Sie immer noch hier mitlesen: Alle Bibliothekare, mit denen ich gesprochen habe, pfeifen auf dieses Recht. Bibliotheken streben nicht danach, spezielle Leseplätze für Werke einzurichten, und wir werden sicher auch nicht zigtausend Euro für Scanner und Personal ausgeben, um einen Brockhaus zu digitalisieren, den es für viel weniger Geld digital gibt, mit Suchfunktion, und als Lizenz für campusweiten Zugriff. Um nur ein Beispiel zu nennen. Auch Benutzer werden auf dieses Recht pfeifen! Die wollen nicht in Bibliotheken Schlange stehen, um dort die Werke am Bildschirm lesen zu können, die sie viel bequemer ausleihen und zu Hause lesen könnten. Vielleicht ist ja hier auch an die Nutzung in Semesterapparaten gedacht: würde mich mal interessieren, ob die seit zwei Jahren erlaubte Praxis des passwortgeschützten elektronischen Zugangs für einen geschlossenen Leserkreis zu signifikanten Absatzverminderungen für Verlage geführt hat. Sowas muss doch nachweisbar sein. Ich frage mich, warum gerade dieser -- wirklich lächerliche -- Punkt die Hauptangst der Verlage ist. Dass es für die betroffenen Werke "keine nennenswerten Absatzchancen" mehr gebe, wie Herr Sprang sich zitieren lässt, ist für mich bislang bloße Behauptung.


Die Frage, ob dies oder jenes das Geschäft schädigt, ist doch eine empirische Frage. Wo bleiben die Beweise?

Bitte, lieber Börsenverein, die DFG hat im letzten Jahr Millionen ausgegeben für Deutschlandlizenzen elektronischer Volltexte. Das sieht für mich erst einmal so aus, als sei damit Geld zu verdienen -- nicht zu verlieren!

Herzlich gelacht habe ich bei einem weiteren Punkt:
<Zitat>
"Vertreter des Börsenvereins beklagten auch, dass in der Bevölkerung und in der Presse kein Wissen vorhanden sei, wo die Leistung der Verlage für die Kultur und die Bildung in diesem Land liege. Fälschlicherweise würden selbst Politiker diese auf eine reine Maklerfunktion reduzieren. Am Beispiel der Deutschen Zeitschrift für Philosophie führte Sabine Cofalla vom Akademie-Verlag dagegen aus, wie ein Herausgeberkreis Themen selektiert, sie mit Autoren belegt, diese beauftragt und letztlich für die Redaktion und Zusammenstellung der Artikel zu einem Heft sorgt." </Zitat>

Die deutsche Zeitschrift für Philosophie hat einen beeindruckenden wissenschaftliche Beirat, einen ordentlichen Herausgeberkreis, Extra-Herausgeber für die Buchkritik und einen Redakteur (Mischka Dammaschke). Wer arbeitet davon beim Verlag? Herr Dammaschke. Wer macht laut Frau Cofalla die wichtige Arbeit, die in der Öffentlichkeit nicht als Verlagsarbeit wahrgenommen wird? Die Herausgeber: Prof. Honneth (Uni Frankfurt), Prof. Krüger, Prof. Schneider, Prof. Menke (alle Uni Potsdam) und Prof. Thomä (Uni St. Gallen).

Hhm. Selbst da, wo die Äußerungen des Börsenvereins nicht nur die eine Seite der Medaille sind, sondern sozusagen alle Seiten, kommt mir die Argumentation nicht ganz plausibel vor...

Beste Grüße, Joachim Eberhardt (UB Erlangen)




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