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Re: [InetBib] Eichstaett - Diss. et al.



Liebe Liste,

Es ist völlig egal, wieviele Tonnen und Dissertationen es
sind - das
Management von Bibliotheksbeständen setzt eine
differenzierte
Auseinandersetzung damit voraus, was genau in welcher
Weise zu welchem
Zweck angeschafft, erhalten und abgestoßen werden sollte
und was nicht.

auch wenn das nicht unbedingt im gegenwärtigen mainstream liegt: ich halte 
Aussonderung aus wissenschaftlichen Bibliotheken für prinzipiell problematisch. 

Natürlich gibt es Literatur, die für die aktuelle wissenschaftliche Diskussion 
nicht mehr relevant ist und daher lange Zeit als toter Ballast in den Regalen 
steht. Mit gewissem zeitlichen Abstand aber wird dieser Ballast plötzlich 
wieder interessant. Nicht seines wissenschaftlichen Wertes wegen, sondern als 
Quelle. Dieser Punkt wird leider viel zu wenig gesehen. 

Ein gutes Beispiel ist die HIS-Studie von Bernd Vogel und Silke Cordes, 
Bibliotheken an Universitäten und Fachhochschulen. Organisation und 
Ressourcenplanung, Hannover: HIS GmbH 2005. Darin wird als Bestandstiefe für 
eine Universitätsbibliothek ohne Archivierungsfunktion in Kulturwissenschaften 
ein Zeitraum von 40 Jahren angegeben. Die Konsequenzen sind abenteuerlich. So 
werden im nächsten Jahr etwa die 68'er makuliert. :))

Es wird niemand in Abrede stellen, daß viele literarische Produkte, 
Hochschulschriften zumal, der 68'er-Zeit heute als wissenschaftliche Literatur 
ohne Bedeutung sind. Aber für die langsam einsetzende 68'er Forschung wird die 
alte Sekundärliteratur plötzlich zur Primärquelle. 

Und dann gibt es noch den Dornröschen-Effekt als sicheren Weg zur 
Forschungsbibliothek: Man verschone einen Bestand nur lange genug von 
Managementmethoden, Evaluation und Aussonderung und lasse ihn am besten 
vollkommen in Ruhe. In 80 Jahren kann man dann ein fettes DFG-Projekt landen. 
Interessante Vorstellung: Man versiegle eine x-beliebige FH-Bibliothek. 2100 
wird dann ein hübsches Projekt: "Literaturversorgung an den Hochschulen zur 
Jahrtausendwende" Furore machen. Selbst die Stempel in den abgegriffenen 
Lehrbuchsammlungstiteln werden liebevoll gezählt, Anmerkungen akribisch 
dokumentiert. Ich kann mir schon lebhaft entsprechende Kolloquien vorstellen: 
"Lernen und Exzerprieren in der frühen Wissensgesellschaft" oder  "Lehrbücher 
mit CD-ROM-Beilage als 'Inkunabeln' webbasierter Lernplattformen" usw. usw. 
usw. 

.. nihil sub sole novum. Si de quadam re dicitur: ? Ecce hoc novum est ?, iam 
enim praecessit in saeculis, quae fuerunt ante nos. Non est priorum memoria, 
sed nec eorum quidem, qui postea futuri sunt, erit recordatio apud eos, qui 
futuri sunt in novissimo. Eccl. 1, 10 sq. Naja, da seien die Bibliotheken vor, 
oder?

Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de



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