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Re: [InetBib] Inetbib Nachrichtensammlung, Band 504, Eintrag 1



Liebe Liste
Es ist ja vielleicht schon etwas spät, da die lehrreichen grundsätzlichen
Überlegungen zu google und BSB inzwischen abgeebbt sind. Trotzdem. Wenn
ich es richtig sehe, stellt sich die Situation doch für eine solche
Bibliothek so dar: Es gibt einen verdammt großen Druck, hier aktiv zu
werden (Bestandsschutz, Personaleinsparung bzw. ?umschichtung etc. pp.),
andererseits praktikable Angebote nur in USA. Oder wer würde hier 50 Mio
Euro aufbringen und mehr als 1 Mio Bücher in ein paar Jahren gescannt
bekommen? Was blieb der BSB da anderes übrig? Europa hat mal wieder
geschlafen, ist doch ganz einfach. Und zu viel nachgedacht. Dagegen ist ja
grundsätzlich  nichts zu sagen, aber irgenwann muss man doch mal vom
Denken ins Handeln übergehen, und das klappt hier nicht. Typisch sind
drittmittelfinanzierte Projekte im Bereich Digitalisierung. Da werden zwei
wissenschaftliche Mitarbeiter eingestellt und wenig Hilfskräfte. Dann
fangen die Wissenschaftler an zu konzipieren, da es mehr als einer ist,
kriegen sie sich in die Haare, und gescannt (geschweige denn
massendigitalisiert) wird kaum. Nach zwei Jahren ist das Projekt dann
beendet, ein irres Konzept (vielleicht), aber nichts drin. Das Ergebnis
kann man dann auf irgendwelchen archivierten Festplatten bewundern. Oder
bei einer Unzahl von Tagungen, wo mal wieder ein elektronisches Projekt
präsentiert wird. Übrigens Drittmittelgeber: Die haben ja alle die
Berliner Erklärung zu open access unterschrieben. Nur: Wenn es dann um die
Wurst geht, bliebt es wie immer: Eine große Edition digital? Um Gottes
Willen, wir müssen doch für diesen bedeutenden Schriftsteller des 18.
Jahrhunderts echte Bücher machen und ihn nicht auf den Schrotthaufen
Internet werfen. Dann noch die üblichen Argumente: Ich kann am Bildschirm
nicht lesen (ein wirklich dämliches Argument, aber auch bei
Leibniz-Preisträgern beliebt) und: wie steht es denn um die
Langzeitarchivierung? Und schon ist die elektronische Publikation vom
Tisch!
Die Wissenschaftler denken das neue Medium immer wieder vom alten her.
Anstatt ?quick and dirty? und der (wie ich finde begründete) Glaube
darein, dass ?intelligente? Software auch schon einiges auf die Reihe
bekommt (oder dann in einem zweiten Durchgang nachgelegt werden kann),
wird immer erst wahnsinnig überlegt, als ob man damit die später
entstehenden Daten irgendwie bändigen könnte. Eine perfide Begründung ist,
dass wir den wissenschaftlichen Nachwuchs bedenken müssen. Das ist ähnlich
verkehrt herum gedacht wie beim Publikationswesen: Wir dürfen unsere
Verlage nicht beschädigen, indem wir elektronische Publikationen
betreiben. Das ist Subventionsmentalität, die nicht von der Sache ausgeht
(also: wir müssen möglichst preiswert gelesen werden können), um dann von
der Sache aus auch den Verlagen (neue) Aufgaben zuzuweisen. Und so ist es
auch mit den jungen Wissenschaftlern: Für die müssten wir dann eben mehr
echte Forschungsprojekte an Land ziehen, was allerdings einen höheren
Reflexionsaufwand bedingt. (Hier ist er ja berechtigt)
An dieser Stelle sehe ich übrigens eine Aufgabe für die Bibliothekare, die
ja ? wie sich aus der Diskussion in den letzten Tagen ergibt ? offenbar in
Zukunft um ihre Beschäftigung fürchten. An den Universitäten ist auch
unter den Professoren nach meiner Erfahrung kaum bekannt, was es im
Bereich der elektronischen Medien an Möglichkeiten und Angeboten gibt. 
Vor kurzem musste ich einem erstaunten Kollegen berichten, dass er einen
Aufsatz nicht per Fernleihe bestellen muss, sondern das jstor-Angebot der
BSB nützen kann. Also der Appell an die Bibliothekare: warten Sie nicht,
bis die Wissenschaftler auf Sie zukommen, drehen Sie den Spieß um. Wie das
im einzelnen zu organisieren ist, dürfte von der örtlichen Situation
abhängen. Auf jeden Fall haben Sie da größere Multiplikator-Effekte in
Richtung Studierende, als wenn Sie sich direkt an diese wenden (was Sie
natürlich auch sollen)
Schöne Grüße

Hubertus Kohle
Institut für Kunstgeschichte der LMU München




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