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Re: [InetBib] OT: Darum floppt das E-Book-Portal des Buchhandels



herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Beitrag! Ich habe den
erwähnten Artikel versucht zu lesen, wobei mir vor allem mein Unwissen
auf diesem Gebiet deutlich wurde.

Jetzt sind mir auch einige Diskussionen in der Liste der Open Library
deutlicher, wo es genau um diese Klassifizierungssysteme und deren
wechselseitige Abbildung geht. Angesichts der Möglichkeiten der
Volltextsuche wird sich die Bedeutung solcher Systeme vielleicht bald
sehr stark relativieren. Schon aus Ihrem Beitrag ging ja hervor, daß
sich viele historische Probleme durch die Möglichkeiten der EDV
erledigt haben.

Ihren Hinweis auf die kommerziellen Interessen der Verlage habe ich
aber sehr deutlich und hoffentlich gut verstanden. Kommerzielle
Unternehmen, vor allen Dingen in den USA, haben nur einen Zweck (und
dürfen auch nur diesen haben), nämlich Gewinn zu machen. Das ist
erschreckend und traurig, gerade auch für Bücherfreunde, denen es
ausschließlich um die Inhalte geht.

Der Erfolg von Open Source und Open Content zeigt jedoch, daß sich
durch die neuen technischen Möglichkeiten überraschend Alternativen zu
kommerziellen Strukturen entwickelt haben. Diesen Leuten geht es
ausschließlich um die Inhalte, in den meisten Fällen überhaupt nicht
um kommerzielle Interessen, und wenn, dann lediglich in einer
Größenordnung, die dem eigenen Überleben dient.

Interessanterweise sind diese ohne jegliche öffentliche oder
kommerzielle Förderung entstanden, und zwar durch die Energie der
Leute, die den Anfang gemacht und derer, die sich angesprochen fühlten
- es ist also eine Bewegung von unten, die wirklich etwas auf die
Beine gestellt hat, was nicht aus der Welt zu schaffen ist. Dieses
Phänomen scheint auch nicht kurzlebig zu sein, im Gegenteil.

Im Bereich von Open Source sind dadurch auch Qualitäten entwickelt
worden, die anscheinend im kommerziellen Rahmen nicht gedeihen würden.
So könnte man jedenfalls die Unterstützung kommerzieller Unternehmen,
wie beispielsweise bei Linux, erklären. Auch die Wikipedia hat
Qualitäten produziert, die sehr früh schon zur Unterstützung durch die
Gemeinschaft der Wissenschaftler geführt hat.

Open Source und Open Content wird aber nicht nur nicht institutionell
gefördert, sondern auch innovativ verwaltet. Dabei haben sich
interessante Mischungen aus basisdemokratischen und diktatorischen
Elementen herauskristallisiert, die im wesentlichen ohne
Zwangsmaßnahmen auskommen und ständig dynamisch verändert werden, und
zwar ausschließlich durch die direkt am Projekt Beteiligten, deren
Autorität und Einfluß sich wiederum unmittelbar durch die Qualität
ihrer Arbeit ergibt. Man ist geneigt, an Platons Utopie eines idealen
Staates zu denken. Das Internet erscheint so als gewaltiges
sozialpolitisches Experimentierfeld, dessen makropolitische
Implikationen noch gar nicht zu erkennen sind.

In der Musik sieht das merkwürdigerweise anders aus; es hätte schon
längst auf die Konzerne verzichtet werden können, sie leben aber noch,
selbstherrlich wie immer, und zwar vergleichsweise gut. Die
alternativen Anstrengungen sind hingegen praktisch nicht sichtbar. Das
empfinde ich als die eigentliche Überraschung. Die Kreativen und die
Konsumenten schimpfen auf die unproduktiven und geldgierigen Konzerne,
unterstützen sie aber zugleich pausenlos. Da fehlt noch etwas ganz
Entscheidendes.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Popken



Internet in Bibliotheken schrieb am Samstag, 14. März 2009, 18:34:05:
Sehr geehrter Dr. Popken,

wenn ich die eingangs gestellte Frage, und das Statement: ?Irgendetwas
machen die Europäer ganz grundsätzlich falsch, scheint mir.? richtig
verstanden haben, dann war unklar, warum man hierzulande sich nicht
einfach an ?Open Library? anhängt.

Dass die Person Brewster Kahle sehr dafür spricht, dies zu tun, ist  
sicher richtig.

Es gibt aber in Europa bekanntlich auch die Befürchtung, mit solchen
Mitarbeiten, sich immer stärker in die Abhängigkeit zu den USA zu  
begeben.
Bei Google ist unsere Abhängigkeit bekannt, und in diesem Forum schon
öfter verbalisiert worden, und bei Open Library wäre das auf längere  
Sicht ähnlich.

Die Vielzahl an Projekten in Europa orientieren sich aus meiner Sicht
(bewusst oder unbewusst) sehr viel mehr an den Interessen der Verlage,  
und
daran eine oder mehrere Wissensbanken zu entwickeln, die vollautomatisch
erkennen, bei welcher Publikation, an wen, wie viel Geld überwiesen  
werden
muss. Das wird auch für e-books gelten, die wir ja im Prinzip schon  
längst
viel besser (als in der Palmgröße) auf unseren Notbooks nutzen.

Ich habe das Problem schon mal versucht deutlich zu machen.
http://archiv.tu-chemnitz.de/pub/2008/0153/data/umstaetter.pdf

Sobald das funktioniert, ist es für die meisten Verlage keine großes
Schwierigkeit, in kürzester Zeit ihre Produkte im Internet verfügbar zu
machen. Einen Vorgeschmack dessen haben wir ja schon bei elektronischen
Zeitschriften mit pay per view etc.

Dass der ?Schachzug des OCLC der Anfang vom Ende? sei, scheint mir die
Erfahrungen und die Macht von OCLC und auch die der großen Verlage  
dieser
Welt sehr zu unterschätzen. Das wissen zumindest die Bibliothekare, die
die Entwicklung von OCLC seit fast einem halben Jahrhundert verfolgt  
haben.

Der Schein trügt, wenn viele glauben, dass Google in Zukunft große  
Mengen
an Büchern im Internet kostenlos zugänglich machen wird. Bisher gab es
keinen wirklichen Zweifel daran, dass man dort das bisherige Vorgehen  
noch
in die Kategorie fair use einstufte, und dass Schluss mit lustig ist,  
wenn
es wirklich um größere Mengen an Geld der Verlage geht.

Die Open Access Bewegung ist zweifellos notwendig und in meinen Augen  
eine
schlichte Konsequenz der bisherigen Copyrights. Aber zu glauben, dass
damit die Verlage von der Bildfläche verschwinden, ist unrealistisch.
Bisher haben sie an Macht gewonnen, und das eigentliche Problem, ist
sogar, dass sie in den letzten Jahrzehnten, nach dem Elsevier fast  
pleite
gegangen wäre, und A. Gore bzw. B. Clinton ~1995 die Bedeutung des
Internets für den Publikationsmarkt politisch vorbereiten half. Damit
erhielten die großen Verlage zu viel Macht.

Hier die richtige Balance für große und kleine Verlage, Bibliotheken und
Leser zu finden, ist das eigentliche Problem, und dazu ist es notwendig,
dass die Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und auch die Juristen
endlich den Unterschied zwischen Information und Redundanz begreifen.  
Nach
althergebrachter Erfahrung der Marktwirtschaft, Wissen zu verknappen,
damit es eine gewinnbringende Ware wird, ist auf die Dauer nicht  
haltbar,
und provoziert schon heute die größten Spannungen in der Welt.

Mit freundlichen Grüßen

W. Umstätter


On Mar 14, 2009, at 3:02 PM, Dr. Werner Popken wrote:

Hallo!

Eine schöne Glosse zum Thema Digitalbuch und Online-Vertrieb:

http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,druck-613158,00.html

Könnte man sich noch besser blamieren? Ich finde, der Autor hat sich
noch sehr zurückgehalten; man hätte viel schärfere Worte finden
können. Wo und wann leben diese Leute eigentlich?

Ebenfalls interessant die dort genannten Links. Tausende Bücher in
einem elektronischen Lesegerät, das zu benutzen Spaß macht? (Dafür ist
es noch zu früh, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis es soweit
ist.) Welche Rolle spielen dann noch die Bibliotheken?

Ich habe dazu ein bißchen phantasiert, aber ich weiß nicht, ob das
hierher gehört und jemanden interessiert.

Herzliche Grüße
Werner Popken




Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.