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Re: [InetBib] Ulmer-Brief: Verfassungsbruch?



Sehr geehrter Herr Steinhauer,

vielen Dank für die ausführliche und ergiebige Antwort. Ich hatte schon befürchtet, niemand will mir dazu antworten.

Eine kleine (aber wichtige) Korrektur vorneweg: ich habe nie behauptet, die Forderung nach OA sei ein Verfassungsbruch. Der ZWANG zu OA ist es.

Und: die Entscheidung, wo publiziert wird, SOLL nicht Sache des Wissenschaftlers sein, sie IST Sache des Wissenschaftlers.

Natürlich kann man ein Zweitveröffentlichungsrecht als Recht und nicht als Pflicht bezeichnen. Aber das wäre wohl in der Realität eine zynische Aussage, wenn die Mittelvergabe für Forschungsvorhaben bzw. die Mittelvergabe für ein Institut an eine bestimmte Publikationsform gebunden wird. Dann wird die Wahrnehmung des "Rechts" zur Pflicht und Ihr "Mehr an Freiheit" hat was vom klassischen Sklavereibeispiel: "Auch der Sklave hat einen freien Willen, er muss ja nicht in Sklaverei gehen, er kann auch den Freitod wählen".

Aber das ist natürlich wieder eine subjektive Bewertung, die man aus Sicht der Bibliothekare (so viel habe ich ja jetzt gelernt!) gerade umgekehrt sieht.

Für den Verleger, da gebe ich Entwarnung, sehe ich keinen Eingriff in mein Eigentum. Ich bin ja frei in meiner Entscheidung, welche Werke ich verlegen will. Wenn die Rechteübertragung mir keine wirtschaftliche Vermarktung ermöglicht, dann mache ich keinen Vertrag. Da hat zumindest der Verleger immer noch seine freie Entscheidung.

Auch die Berufsfreiheit sehe ich nicht als Problem. Vielleicht bin ich geborener Verleger. Aber dann wohl nicht geborener Wissenschaftsverleger. Meine Aufgabe ist es nicht Wissenschaft zu verlegen, sondern die Existenzgrundlage der Mitarbeiter und des Unternehmens zu sichern. Wenn das in der Wissenschaft nicht mehr möglich ist, dann gibt es zahllose andere Verlagsbereiche, auf die ich mich freue.

Die Passage über Verknappung und überhöhte Renditen ist der eher unsachliche Teil der Mail, darauf muss ich nicht eingehen.

Den Vorwurf, den Zugang zu Inhalten ohne Not zu erschweren nehme ich wieder ernster. Ich wiederhole - wo immer ich bin - dass ich die Preispolitik der handvoll Wissenschaftsverlage skandalös finde. Sie bereichern sich auch auf meine Kosten. Aber dass ich den Zugang verknappe oder erschwere? Der Zugang war noch nie so gut und so umfassend wie heute. Dass er technisch noch toller sein könnte und das aus Sicht mancher eben alles viel zu langsam geht, kann man als "ohne Not erschweren" karikieren. Vor neutralem Auge finde ich das nicht stichhaltig.

Der Satz mit der Sichtbarkeit als Währung ist viel wiederholt, viel aussagen tut er nicht. Viel Sichtbarkeit und wenig Wahrheit ist nicht wertvoller als viel Wahrheit und wenig Sichtbarkeit. Und dass man mit Sichtbarkeit Autoren gewinnt, das sagen Sie. Wie viele Sie schon gewonnen haben, das weiß ich nicht. Aber vom Autoren gewinnen verstehen wir Verleger auch was. Und so wie Sie das hier schreiben, so gehts nicht.

Absolut Zustimmen möchte ich dann wieder Ihrem Satz:
"Die Rendite dieser Verlage wird aber nicht mehr durch die Beherrschung von content, sondern durch die Leistung von Mehrwert erwirtschaftet." Der könnte gerade so aus einem meiner zahlreichen Vorträge zum Thema stammen. Wer keinen Mehrwert bietet, der macht sich überflüssig. Und von hier kommen wir auch wieder zur Sichtbarkeit: Sichtbarkeit wird aus zwei Dingen bestehen: aus der Verfügbarkeit und aus der Aufmerksamkeit. Und der Akzent wird auf der Aufmerksamkeit liegen, wenn die Welt durch unendlich viele unedierte digitalisierte Schriften und Arbeiten von Selbstverlegern und Uniservern in einem informationellen Trommelfeuer ertaubt, dann wird (wie schon in der Vergangenheit) die Verlagsmarke und die Qualität der Textaufarbeitung und Texterschließung erst die Sichtbarkeit ausmachen, nicht der plumpe Server, der nebenher vom Institutssekretariat betrieben wird.

Aber auf diesen Wettbewerb freue ich mich sehr gelassen. Solange er als Wettbewerb sportlich angenommen wird und nicht durch Gesetze von Vornherein unterbunden.

Das Thema mit dem Autor als schwächere Vertragspartei halte ich dann wieder für interessengeleitete Argumentation. Das würde sich wohl jeder meiner rund 5000 Autoren verbitten, wenn ich ihn als schwächere Vertragspartei sozusagen als bedingt geschäftsfähig bezeichne. Und man muss sich auch hüten vor willigen Helfern, die einen erst mit diesem Argument entmündigen, um dann helfend an der Seite zu stehen um ihre eigensten Interessen durchzusetzen. Wohl ist mir nicht, wenn SIe das skizzieren. (Aber der Vergleich mit dem Verbraucherschutz ist bitter richtig: auch hier werden Verbraucher als schutzbedürftig bezeichnet, nur damit man sie dann bevormunden kann um die eigenen Interessen durchzusetzen. Das ist die moderne Form der Diktatur.)

Den ehrlichen Dialog mit den Autoren, da spreche ich Ihnen jetzt kurzerhand mal die Kompetenz ab, den ehrlichen Dialog mit unseren Autoren führen wir täglich. Sie können Behauptungen aufstellen, so viel Sie mögen. Aber an diesem Punkt weiß ich es einfach besser: unsere Autoren haben zu aller erst Sorgen, dass ihnen durch die Digitalisierung ihre Rechte verloren gehen und sie keine Honorare mehr bekommen. Darüber spreche ich mit meinen Autoren vertrauensvoll und werbe darum, dass sie auf das neue Medium optimistisch und sorglos zugehen. Meine Erfahrungen mit den Bibliotheken und die Äußerungen hier im Forum lassen mich daran zweifeln, ob mein Optimismus und meine Sorglosigkeit berechtig sind.

Die Antwort ist etwas zu lange geraten. Aber ich bedanke mich für Ihre Argumente und den sachlichen Dialog.

Herzlichst
Matthias Ulmer


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Am 31.03.2009 um 11:03 schrieb Eric Steinhauer:

Sehr geehrter Herr Ulmer,

Verfassungsbruch ist ein großes Wort, das man mit Bedacht und Verantwortung gebrauchen sollte.

Die Forderung nach Open Access als Verfassungsbruch zu kennzeichnen, liegt nach meinem Verständnis der einschlägigen Grundrechte neben der Sache.

Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit schützt den Wissenschaftler in Forschung und Lehre umfassend. Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass auch die Entscheidung, wo publiziert wird, Sache des Wissenschaftlers sein sollte.

Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit schützt aber auch den Wissenschaftler bei der wissenschaftlichen Literaturrecherche. Zugangsmonopole zu wissenschaftlicher Literatur können hier die freie und ungehinderte Ausübung des Grundrechts empfindlich stören.

Im Bereich der gedruckt vorliegenden Literatur schützt der Erschöpfungsgrundsatz in § 17 Abs. 2 UrhG den Zugang zu Büchern und Zeitschriften vor einem limitierenden Zugriff der Verwerter und sichert so die Recherchefreiheit des Wissenschaftlers, eine notwendige Voraussetzung jeder Publikationsfreiheit.

Im Bereich der vornehmlich digital vorliegenden Werke fehlt eine dem Erschöpfungsgrundsatz entsprechende Regel. Hier setzt das Zweitveröffentlichungsrecht an. Es gibt dem Wissenschaftler die Möglichkeit, seine Werke nach einer gewissen Frist unabhängig von der konkret geschlossenen vertraglichen Vereinbarung, erneut und für jedermann frei zugänglich zu publizieren.

Es ist ein Recht, keine Pflicht. Die Gewährung eines Rechts, also eines Mehr an Freiheit, kann für den Wissenschaftler keine Einschränkung seiner Publikationsfreiheit bedeuten.

Für die Verleger freilich stellt es sich als Eingriff in ihr Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG und möglicherweise auch in ihre Berufsfreiheit aus Art. 12 GG dar. Dieser Eingriff ist aber verhältnismäßig.

Die Verwertung wissenschaftlicher Literatur ist etwas anderes als die Verwertung etwa von Star Wars oder Harry Potter. Es gibt keine Freiheit der Unterhaltung, die notwendigerweise den Zugang zu einschlägiger Literatur voraussetzt, wohl aber eine Freiheit der Wissenschaft, die ohne zugängliche Quellen nicht leben und atmen kann.

Es ist Sache des Gesetzgebers, hier angemessene Bedingungen zu garantieren. Dazu gehört ein schonender Ausgleich aller beteiligten Rechtspositionen. Durch eine Embargofrist wird die Investition des Verlages geschützt, durch das bloße Veröffentlichungsrecht die Freiheit des Wissenschaftlers, selbst über das Ausmaß seiner Sichtbarkeit zu entscheiden. Eben das ist Publikationsfreiheit.

Das Zweitveröffentlichungsrecht ist von der Überzeugung getragen, dass es Sache der Wissenschaft selbst sein muß, über die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit ihrer Publikationen zu entscheiden. Das genau ist die im Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit letztlich gewährleistete Selbstorganisation der Wissenschaft, die der Gesetzgeber ermöglichen, aber eben nicht selbst in die Hand zu nehmen hat.

Die Verfassung gibt vor diesem Hintergrund keine Freiheit, mit wissenschaftlicher Literatur durch künstliche Verknappung überhohe Renditen zu erzielen. Verleger mögen diese Aussage vielleicht anstößig finden, sie folgt aber aus der durch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit verstärkten Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG.

War es wegen des Erschöpfungsgrundsatzes zum Zeitpunkt der lediglich gedruckt vorliegenden Literatur nicht notwendig, hier gesetzgeberisch regulierend einzugreifen und das Urheberrecht im Sinne der Wissenschaftsfreiheit auszugestalten, so stellt sich im digitalen Zeitalter diese Notwendigkeit mit Dringlichkeit.

Ich sehe keinen Grund, warum wissenschaftliche Verlage sich hier verweigern sollten. Es kann nicht angehen, einerseits von der Wertschätzung der Wissenschaft zu leben, Zeitschriftentitel und Schriftenreihen haben daher und zwar nur daher ihren Wert, andererseits der Wissenschaft insbesondere im digitalen Bereich die Zugänglichkeit ohne Not zu erschweren.

Ich stimme mit Ihnen überein, dass ein Zweitveröffentlichungsrecht nicht an der Tatsache der öffentlichen Finanzierung von Forschung hängen kann. Es sollte für JEDEN wissenschaftlich arbeitenden Autor gelten. Privatgelehrte sind im Vergleich zu Hochschullehrern nicht Grundrechtsträger zweiter Klasse. Es gibt nur ein Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit. Und das ist ein Jedermann-Recht.

Ob der Gesetzgeber den wissenschaftlichen Autoren tatsächlich ein Zweitveröffentlichungsrecht zubilligen wird, vermag ich nicht zu sagen. Es kann gut sein, dass die Überzeugungsarbeit interessierter Kreise dieses zu verhindern weiß. Damit werden gewisse Entwicklungen aber vielleicht eher beschleunigt. Entwicklungen, die manchen wissenschaftlichen Verlagen vielleicht nicht lieb sind.

Sichtbarkeit ist die Währung der Wissenschaft. Wer sie gewährt, gewinnt Autoren, wer sie nimmt, wird verschwinden. Wenn nicht der Gesetzgeber es richten wird, der Markt wird es ganz sicher tun.

Damit hier kein Mißverständnis auftritt. Die Wissenschaft braucht Unternehmen, die den Publikationsprozess professionell besorgen. In diesem Sinne wird es Verlage immer geben. Die Rendite dieser Verlage wird aber nicht mehr durch die Beherrschung von content, sondern durch die Leistung von Mehrwert erwirtschaftet. Im Zeitalter des Internet und der umfassenden Vernetzung wird die Wissenschaft die Beherrschung des content durch kommerzielle Verwerter auf Dauer nicht mehr akzeptieren. Der Mehrwert, den ich meine, kann auch das gedruckte Buch sein, das an ein Wert an sich ist und durch eine pdf-Datei in keiner Weise substitutiert wird.

Ein Letztes noch: Sie sagen, Autoren müssen einen Vertrag nicht unterschreiben. Das stimmt. Aber wenn Verlage bestimmte Zeitschriften, deren Wert sich, wie ich oben schon geschrieben habe, allein von der Wissenschaft herleitet, wenn also Verlage den Zugang zu diesen wichtigen Zeitschriften von Bedingungen abhängig machen, die Autoren nicht verhandeln können, dann ist die Vertragsfreiheit gestört, sofern der Autor aus wissenschaftsimmanenten Gründen auf eine Publikationen in eben dieser Zeitschrift nicht verzichten kann. Er wird zur schwächeren Vertragspartei. Wenn hier der Gesetzgeber durch die Gewährung eines Zweitveröffentlichungsrechts helfend zur Seite steht, ist das in Ordnung. Im Bereich des Verbraucherschutzsrechts finden sich vergleichbare Regelungen.

Langer Reder kurzer Sinn: Die wissenschaftlichen Verlage tun gut daran, einen ehrlichen Dialog mit den Autoren zu beginnen und ihnen eine angemessene Sichtbarkeit ihrer Texte zu ermöglichen. Dazu gehört heute auch Open Access. Nebelkerzen und die unangemessene Rede von Verfassungsbrüchen sind hier nicht zielführend. Seien Sie sicher, wissenschaftliche Autoren denken bezeiten nach und sind fähig, sich des eigenen Verstandes ohne Hilfe anderer zu bedienen. Es wäre in der Tat ein herber Kulturverlust, in der künftigen Welt des wissenschaftlichen Publizierens auf die Erfahrungen der Vergangenheit verzichten zu müssen. Ich bin überzeugt, dass der Verlag mit Tradtion auch eine Zukunft hat. Aber die hat er nur mit und nicht gegen seine Autoren.

Freundliche Grüße

Eric Steinhauer






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