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Re: [InetBib] Frage zu Hybridpublikationen



Liebe Frau von Loew,

wie gut oder wie schlecht es uns geht kann man ja nie befriedigend  
beantworten. Da kommen die eher präzise beschreibbaren statistischen  
Unschärfen zusammen mit den diffus beschreibbaren Gefühls- und  
Stimmungslagen. Oder anders gesagt: wie schlecht die  Lage ist hängt  
davon ab, ob man das Glas mit der selbst gefälschten Statistik als  
halb voll oder halb leer betrachtet.

Ich verneble hier nicht, wie  Herr Graf sicher wieder meint, sondern  
beschreibe nur den Nebel:

Wir haben im Buchhandel verschiedene Datenquellen: den  
Branchenmonitor vom Börsenverein und den Langendorf Dienst, die   
Umsatzberichte von Buchreport, die GfK Zahlen und Mediacontrol.
Es ist dabei ein Expertensport, der inzwischen alle langweilt, dass  
Langendorff und Buchreport, Branchenmonitor und Mediacontrol und die  
GfK überhaupt allen anderen laufend widerspricht. Es gibt also nahezu  
kein Quartal, in dem alle Infodienste gleiche Angaben machen. Und  
wenn ich dann das Gefühl habe, dass es  ein wirklich schwaches  
Frühjahr war, und befrage die Kollegen, dann schauen mich neun von  
zehn strahlend an und meinen: so gut wars noch nie... und vier von  
denen haben dabei rote Ohren.

Präzise sind nur  die Zahlen von Mediacontrol. Die erfassen aber  
nicht alle Verkaufsstellen. Und es sind die Handelszahlen, also der  
Abverkauf der Buchhandlungen.
Für  Verlage spürbar dagegen ist der Einverkauf in die  
Buchhandlungen, der eben in gewissem Sinn antizyklisch zum Abverkauf  
erfolgt.  So jubeln Verleger über tolle Frühjahrszahlen und  
gleichzeitig  schauen die Sortimenter grau und traurig aus ihren  
Fenstern. Drei Monate später sitzen die Verleger deprimiert auf der  
remittierten Ware und die Sortimenter können sich des Kundenansturms  
derweil nicht erwehren.

Die meisten Infodienste erfassen nicht wie Mediacontrol am  
Warenwirtschaftssystem des Einzelhandels, sondern erfragen die   
Stimmung in repräsentativen Buchhandlungen. Das ist natürlich extrem  
ungenau. Und es kommt dazu, dass die  Stimmung der Buchhändler   
aktuell sehr stark durch die Non-Books  geprägt ist, Postkarten,  
Gartenzwerge, Kaleidoskope usw.

Andere wie GfK befragen die Buchkäufer selbst. Aber da wird aus  
vielleicht 15.000 Haushalten auf die gesamte Republik hochgerechnet.  
Und das ergibt zwar für das generelle Kaufverhalten ganz gute Werte,  
nicht aber wenn Sie wissen wollen, wie im Frühjahr die  
Umsatzentwicklung bei juristischen Lehrbüchern war.

Aber selbst Mediacontrol hat Schwachstellen. Dort wird im Prinzip nur  
der Barumsatz erfasst, nicht aber das Rechnungsgeschäft. Das  
bedeutet, dass sämtliche Firmenkunden und Behörden und eben auch die  
Bibliotheken in die Zahlen gar nicht eingehen. Deshalb sind die Werte  
von Mediacontrol sehr verlässlich beim Kinderbuch oder der  
Belletristik, beim Fachbuch werden sie schwächer und bei der  
Wissenschaft versagen sie doch ziemlich.

Und noch eine weitere Nebelbank: man muss genau aufpassen, worüber  
man spricht:  Sie zitieren meine Aussage zu den Verkaufszahlen der  
Verlage in diesem Frühjahr und meinen einen Widerspruch zu erkennen  
zu der von Ihnen zitierten Passage, die aber den Handelsumsatz in  
2008  beschreibt. Also: unterschiedliche Umsätze und gleichzeitig  
unterschiedliche Betrachtungszeiträume.

Was also kann man sagen?

Ich sage ganz subjektiv, dass wir in diesem Frühjahr ein sehr  
verändertes Einkaufsverhalten der Buchhandlungen haben, das für  
Belletristik und Sachbuch gravierende Auswirkungen hat, indem sich  
die Umsätze auf wenige Titel mit großen Wachstumsraten konzentrieren  
und die Breite der Programme gleichzeitig einbricht.
Im Bereich Jugendbuch gibt es Biss. Das ist eine Ausnahmekonjunktur.
Die Warengruppe Reise leidet stark unterm Internet.
Die Ratgeber sind durchwachsen, aber eher leicht  rückläufig.
Das Lehrbuch hat erhebliche Einbrüche, ebenso wie das Schulbuch.
Zur Warengruppe Wissenschaft fällt mir nichts ein. Ein Wunder, dass  
es die noch gibt.

Der Nebel lichtet sich so zwar nicht, aber wenigstens können Sie ihn  
deutlicher sehen.

Ein Nachsatz noch: es passiert immer wieder, dass man mal die  
Geschäftszahlen eines direkten Konkurrenten in die Hände bekommt,  
weil man in Kaufverhandlungen steht, weil sie publiziert werden  
müssen oder weil man sie zufällig in die Hände bekommt. Das sind die   
Situationen, in denen der Nebel plötzlich auf einen Schlag weg ist.  
Da fliegt man dann ganz aufgeregt über die Zahlen nur um nach ein  
paar Minuten das Zahlenwerk wegzulegen. Man lernt eben aus den Zahlen  
der anderen nur, warum sich deren Zahlen mit den eigenen nicht  
vergleichen lassen. Insoweit hat der Nebel dann erheblich mehr  
Charme, weil man immer hofft, dahinter würde sich Geheimnisvolles  
verbergen.


Herzliche Grüße
Matthias Ulmer



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Geschäftsführer: Matthias Ulmer




Am 19.08.2009 um 15:42 schrieb Von Loew Luise:

"Die Verkaufszahlen in diesem Fruehjahr waren schlecht". Wie  
schlecht - fragt sich die Leserin, die kuerzlich von einem leicht  
erhoehten Umsatz der Buchbranche gelesen hat???!

Hier die Antwort (mal schnell "gegoogelt"):

15.01.2009
Umsätze auf Achterbahnfahrt
2008 steckte voller Überraschungen: Nun endet das Jahr für den  
Buchhandel doch mit einem Plus. Gut gelaufen ist es vor allem für  
die Belletristik – und für Sachbücher.
Wer hätte das gedacht: Dank eines guten Weihnachtsgeschäfts steht  
nun doch ein Umsatzplus in der Jahresbilanz. Laut Branchen-Monitor  
Buch, der im Auftrag des Börsenvereins von Media Control GfK  
International erstellt wird, schlossen die Vertriebswege  
Sortimentsbuchhandel, E-Commerce und Warenhäuser den Dezember mit  
einem Umsatzzuwachs von 5,3 Prozent ab; im Dezember 2007 verbuchten  
sie ein Minus von 1,6 Prozent. Im Sortimentsbuchhandel stieg der  
Umsatz im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,5 Prozent – allerdings  
war die Ausgangslage niedrig (Dezember 2007: minus 3,5 Prozent).  
Dass der Weihnachts monat diesmal einen Verkaufstag mehr hatte,  
dürfte zu der positiven Entwicklung beigetragen haben, aber kaum  
der einzige Grund gewesen sein.
(Boersenblatt.net 15.1.2009)

--- On Wed, 8/5/09, Matthias Ulmer <mulmer@xxxxxxxx> wrote:


From: Matthias Ulmer <mulmer@xxxxxxxx>
Subject: Re: [InetBib] Frage zu Hybridpublikationen
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Date: Wednesday, August 5, 2009, 7:58 AM


Lieber Herr Kohle,

Die Frage, welche Auswirkung Onlinepublikationen auf den Print-Absatz
haben ist eben nicht so leicht zu beantworten.
Zunächst einmal gibt es noch nicht so viele Erfahrungen, dass man
klare Aussagen machen könnte.
Dann fallen die Antworten ganz sicher unterschiedlich aus, je nachdem
ob es sich um einen Roman, einen Reiseführer, ein Schulbuch, eine
Monografie etc handelt.
Und zusätzlich wird das Ergebnis davon abhängen, ob es sich um eine
Neuerscheinung handelt, der Titel ein Jahr alt ist, bereits als
Taschenbuch vorliegt oder zum ominösen Long tail gehört.

Wer in der komplexen Fragestellung mit Aussagen kommt wie: in den USA
gibts einen Verlag, der zeigt, dass es geht und überhaupt habe ich auf
meiner Website 18 Links zu Aussagen, die irgendwas beweisen... der
macht sich die Dinge zu leicht.

Ich nenne Ihnen mal drei Beispiele: UVK veröffentlicht ein Fachbuch
parallel zum kostenlosen Onlinelesen und hofft dadurch auf steigende
Printerlöse. Die ersten Zahlen sind positiv.
Ein Prof stellt sein Lehrbuch an seiner Uni auf den Server und die
Verkaufszahlen in der Stadt gehen auf Null runter. Das Buch ist tot,
eine Neuauflage wird es nicht geben.
Ein Verlag bietet seine Lehrbücher als E-Books an der Bibliothek an
und die Verkaufszahlen brechen ein, das Geschäft kann aber in der
Summe positiv ausgehen.

Also: es wird dauern, bis man allgemeingültige Schlüsse ziehen kann.
Bis dahin ist es die Verantwortung des Verlegers zu entscheiden, wie
er die Pflichten aus dem Verlagsvertrag (Verbreitung, Honorar) optimal
erfüllt. Da es um seine Investitionen geht wird er die Aufgabe
verantwortlicher machen als jemand, der ihm aus der dritten Reihe
wohlfeile Ratschläge gibt.

Noch zwei Punkte aus der wunderbar komplexen Realität: Die
Verkaufszahlen in diesem Frühjahr waren schlecht. Dafür gibt es
folgende Gründe:
- schwache Neuerscheinungen
- Wirtschaftskrise
- Konsumzurückhaltung
- Piraterie
- E-Book Konkurrenz
- Auswirkungen der Schranken im UrhR
- Änderung des Leseverhaltens
Und das sind noch nicht alle. Wie soll man aus einer solchen Gleichung
mit vielen Unbekannten eindeutige Aussagen ziehen?

Und: bei Google Booksearch und Amazons SITB wurde auch immer
behauptet, dass dadurch der Verkauf ansteigt. Auch hier gibt es kein
klares Ergebnis. Bei manchen Titeln sieht es positiv aus, bei anderen
ist der Absatz eingebrochen und beim Rest ist nichts passiert.

Also: es gibt noch keine eindeutigen Aussagen. Aber Sie können sicher
sein, dass das aktuell für alle Verleger eine der wichtigsten Fragen
ist und wor bei jeder Gelegenheit unsere Erfahrungen dazu austauschen.

Herzliche Grüße
Matthias Ulmer



Am 05.08.2009 um 09:18 schrieb "Hubertus Kohle"  
<Hubertus.Kohle@xxxxxxxxxxxxxxxxxxx
:

Liebe Collegae
man hoert oefter einmal, dass online-Publikationen den Verkauf der
gedruckten Version nicht behindern, sondern befoerdern. Das ist eine
faszinierende Perspektive, die doch eigentlich auch die  
Verlagsbranche
brennend interessieren sollte. Leider scheinen mir die Belege eher  
ein
wenig schmalbruestig. Warum nimmt der Boersenverein des deutschen
Buchhandels da eigentlich nicht mal eine fundierte Analyse in  
Angriff,
anstatt immer nur den Teufel an die Wand zu malen?
Schoene Gruesse Hubertus Kohle

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