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Re: [InetBib] Stellungnahme des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv) zur Europeana; Einbringen von eigenen Daten über EuropeanaLocal



Es geht bei der Europeana nicht ausschließlich um Wissenschaft. Es  
geht um das gesamte Angebot von Bibliotheken und das, was ihre Nutzer  
lesen wollen. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann sind die  
Nutzer der Europeana Privatpersonen. Institutionen sind nicht gemeint.  
Eine Uni-Bibliothek wird ihren Nutzern Inhalte unter anderen  
Bedingungen anbieten und dafür eigene Konditionen aushandeln, damit  
diese die kostenlos nutzen können. Angenommen, sämtliche  
wissenschaftliche Zeitschriften und Monographien werden OA publiziert,  
dann stellt sich die Frage nach einer Digitalen Bibliothek für die  
übrigen 80% der Publikationen immer noch.

Und ich kann die von Ihnen erwähnte bereits bestehende Digitale  
Bibliothek nicht erkennen. Ein einigermaßen umfangreiches Angebot an  
Belletristik oder Sachbuch für Jedermann gibt es doch noch nicht.

Dass es weiterhin alle bisherigen Bibliotheken mit ihrem gedruckten  
oder digitalen Angebot geben wird, möchte ich gar nicht in Frage  
stellen. Eine zentrale allgemeine öffentliche digitale Bibliothek  
wäre dazu eine Ergänzung.

Gruss
Matthias Ulmer


Am 27.11.2009 um 23:53 schrieb Walther Umstaetter <     
h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx 
:

On Nov 27, 2009, at 3:39 PM, Matthias Ulmer wrote:

Liebe Liste,

die Stellungnahme des DBV zu Europeana führt zu einer interessanten
Frage: Es wird wohl von niemandem angezweifelt, dass es irgend wann
eine digitale Bibliothek geben wird, bei der jeder Werke online lesen
oder Dateien befristet ausleihen kann.

Zunächst bezweifle ich, dass wir „irgend wann“ eine Digitale  
Bibliothek
haben werden. Zumal die Digitalisierung schon seit langem in vollem
Gange ist. Die Digitale Bibliothek ist also längst Realität, auch we 
nn
sie
sich immer weiter verbessert. Die Vorstellung, dass es einmal eine
Bibliothek geben wird, die keine gedruckten Bücher mehr haben wird,
und dass wir erst dann von einer Digitalen Bibliothek sprechen könne 
n,
ist eher abwegig.

Zum zweiten bezweifle ich auch, dass es in diesem Zusammenhang
wirklich diskutabel ist, Dateien nur befristet ausleihen bzw. lesen zu
können. Es war und ist kein Zufall, dass man seit Jahrzehnten, wicht 
ige
Teile eines wissenschaftlichen Buches kopieren und darin  
Randbemerkungen
machen konnte. Vor dieser Zeit hat man exzerpiert – in diese Zeit wi 
eder
zurückkehren zu wollen wäre sicher eine Zumutung.

Diese Bibliothek muss die gemeinfreien Inhalte genau so wie  die
geschützten enthalten. Ansonsten hat sie nur für  einen sehr klei 
nen
Teil der Bevölkerung eine Bedeutung.

Dass die gemeinfreien Werke über öffentliche Institutionen
digitalisiert und eingebracht werden sollten, daran gibt es wohl auch
keine Zweifel.

Bleibt also (sieht man mal bewusst von der Grauzone der verwaisten
Werke ab) die Frage, wer die  geschützten Werke einbringt.  Hier g 
ibt
es nun zwei Modelle:

1. die öffentliche Hand kauft für alle geschützten Werke
Nationallizenzen und bringt die Werke in die DDB ein.

Dieser Vorschlag zeigt, dass die Verlage nun die Hoffnung hegen, aus
Verwertungsrechten, die sie vor der Digitalisierung sicher als  
erledigt
Betrachtet haben, nun noch Kapital zu schlagen. Das wäre völlig legi 
tim,
aber nicht, wenn es die deutsche Wissenschaft gegenüber der
amerikanischen beispielsweise ins Hintertreffen führt. Dass demgegen 
über
eine Entwicklung wie Google Books für die Wissenschaft eine weitaus
größere Attraktivität hat, scheint mir naheliegend zu sein.

Man sollte wohl auch nicht übersehen, dass jeder der heute Bücher u 
nd
Zeitschriften in großem Umfang digitalisieren will, sich in Konkurre 
nz
zu Google begibt, und dazu sollte man dann auch konkurrenzfähig sein.

2. Die Rechteinhaber bringen die Werke ein, die Nutzung der
geschützten Werke erfolgt - im Gegensatz zu den gemeinfreien Werke 
n -
gegen eine geringe Nutzungsgebühr.

Der Unterschied liegt, wenn ich das richtig sehe, einfach darin, dass
in Punkt 2.
die Verlage ihre alten Produkte digitalisiert für „"eine geringe
Nutzungsgebühr“"
einzeln vermarkten, so wie wir es schon heute bei zahlreichen
Zeitschriftenarchiven beobachten (mit 2 -– 3 oder mehr Euro pro Seit 
e),
oder eben als Nationallizenzen.

Im Vergleich dazu vermarkten die USA ihre publizierte Wissenschaft als
Reklame dafür, wie leistungsfähig sie auf diesem Gebiet sind,
nach einem Jahr kostenlos (s. NLM). Mit diesem Trick ist es ihnen
gelungen heute bei fast jeder Recherche in MEDLINE, CHEMABS
oder SCISEARCH den Eindruck zu vermitteln, dass die USA auch auf
dem jeweils recherchierten Gebiet weltweitführend ist.
Das kostenlos erreichbare Volltexte öfter gelesen, zitiert
und damit bekannt gemacht werden, wurde hier ja schon ausreichend
diskutiert.

Es kommt in der Wissenschaft darauf an, dass wir es in bestimmten
Bereichen besser machen als die USA, nicht darauf, noch mehr Fehler
zu machen, als es bei den IuD- bzw. Fachinformationsprogrammen
schon geschah.

Welche Konsequenzen hätte die Variante 1? Ein für den Nutzer
kostenloses Angebot auch aller lieferbaren Bücher hätte vermutlich
die Folge, dass daneben kein privatwirtschaftliches Geschäftsmodell
mehr denkbar wäre. Die Kosten für die Nationallizenzen müssten s 
ich
also daran ausrichten, welcher Umsatz beziehungsweise welche
Umsatzpotentiale durch eine solche Bibliothek entfallen.
In einer  ungeprüften und grob vereinfachenden Daumenpeilung müsste
man auf folgenden Wert kommen: wenn der Buchmarkt heute mit über 8
Mrd Euro angegeben wird und wir davon ausgehen, dass in zehn Jahren
mindestens zehn Prozent des Umsatzes über neue E-Book-
Geschäftsmodelle laufen, dann müsste  die Nationallizenz entsprech 
end
auch jährlich (!) 800 Millionen Euro betragen und von Jahr zu Jahr
weiter steigen, da der  Anteil der elektronischen Geschäftsmodelle 
 am
Gesamtmarkt  sicher  nicht bei 10% stehen bleiben wird.

Ist es realistisch, dass dieses Geld  zur Verfügung steht? Wenn ne 
in,
ist es realistisch, dass die Rechteinhaber die Lizenzen erheblich
günstiger verkaufen? Wenn auch das verneint werden muss, ist es dann
realistisch, dass eine rechtliche Schranke  geschaffen wird, die
einen so umfassenden Eingriff  in die Märkte rechtfertigen würde, 
 um
die Inhalte billig zu bekommen?

Mir scheint das Modell einer Public-Private-Partnership hier
realistischer, bei der Bibliotheken und Verlage beim Aufbau der DDB
zusammen arbeiten.

Es würde mich interessieren, wie das bei den Lesern der Liste gese 
hen
wird.

Herzliche Grüße
Matthias  Ulmer


MfG

W. Umstaetter
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