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Re: [InetBib] TUM Department Mathematik bestellt Elsevier ab



Sehr geehrter Herr Heler,

es ist niemandem zu verdenken, unter bestimmten juristischen Gegebenheiten
so zu handeln, wie es die Rechtslage erzwingt. Wenn also Verlage oder
Vereine im Rahmen der heutigen Copyrights versuchen finanziell über die
Runden zu kommen, so ist das ihr Recht, zum Teil sogar ihre Pflicht. Das
waren noch Zeiten, als der Vorgänger der IWP, die NFD, im SCI erfasst
wurde ;-)

Das Problem liegt aber wo anders:

Jahrhunderte lang war das Kopieren von Information aufwendig und teuer, so
dass es auch noch in der Gutenbergära einer erheblichen Investition
bedurfte, ein Manuskript zu vervielfältigen. Aus dieser Zeit stammen
unsere Copyrights, die eine erhebliche Ungerechtigkeit in das Urheberrecht
brachten, denn die Auflagenzahl als Richtschnur für die Leistung eines
Autors zu wählen, in dem man dem Urheber eines Werkes beispielsweise zehn
Prozent vom Verkaufswert seines Buches zusagt, hat mit Gerechtigkeit
nichts zu tun. Es war lediglich ein Gewohnheitsrecht, an das wir uns
gewöhnt haben, weil die Papierproduktion, die Druckaufbereitung, der
Papiertransport und nicht zuletzt die Reklame für bestimmte Bücher das
Verlagswesen (und auch Bibliotheken) hervorbrachten. Einigen wenigen
Großverlagen ist es mit diesen veralteten Copyrights gelungen ein
Machtpotential aufzubauen, dass sie selbstverständlich um so mehr nutzen,
je weiter sie sich von den veränderten Bedingungen bedroht fühlen. (Es war
Elsevier, die vor vierzig Jahren fast pleite gegangen wären, weil die
Bibliotheken ihre Excerpta Medica reihenweise abbestellten und auf die
Online-Recherche umstiegen. Sie haben damals die Rechtslage stark zu ihren
Gunsten beeinflusst.)

Denn eines steht außer jedem Zweifel, die digitale Kopie eines Werks ist
in den letzten Jahrzehnten um so viel Zehnerpotenzen preiswerter geworden,
dass es keinen vernünftigen Grund mehr gibt, den Erfolg eines Autors an
die Auflagenzahl (Kopien) seiner Werke zu binden.

Damit gibt es auch keinen Grund dafür, eine Kinderbuchautorin, die ein
Buch in einer Woche erzählerisch heruntergeschrieben hat, zu einer
Millionärin zu machen, während eine Wissenschaftlerin, die nach
Jahrzehnten harter Arbeit, ihre Erkenntnisse zu „Papier“ bringt und dieses
Wissen kostenlos ins Internet stellt, verlegerisch gering zu schätzen,
weil ihre Theorie zunächst ohnehin nur von einer geringen Zahl an Lesern
verstanden wird.

Da können Verlage noch so viel von Gerechtigkeit für ihre Autoren
schwärmen, dieses veraltete System war und ist ungerecht, und funktioniert
nur, weil die meisten Wissenschaftler ihre Arbeit von anderen Geldgebern
bezahlt bekommen.

Es geht hier im Moment zwar nicht darum, dass der Verlag Axel Springer
seit Jahrzehnten mit Sensationsproduktion, Niveauverlust und schlichtem
Schund seine Auflagenverluste bei den Printmedien zu kompensieren
versucht, dass er in seinen Zeitungen schon rein formal immer mehr Text
durch immer mehr Bilder ersetzt und dass er sein Monopol ausbaut, sondern
darum, dass solche Trends nun zunehmend die wissenschaftlichen Verlage
mitreißen. Während ihre Preise und ihr Monopol steigen, sinkt ihre
Qualität. Elsevier ist ja dafür bekannt genug.

Das Copyright verkommt immer mehr zu einem Kopierverhinderungsgesetz, weil
es immer einfacher und preiswerter wird zu kopieren, wenn man keine
technischen oder juristischen Hindernisse einbaut – und das geschieht nun
seit einigen Jahrzehnten.

Selbstverständlich ist Open Access die richtige Antwort auf diese
Entwicklung, aber im Kern geht es um eine völlig andere
Informationswissenschaftliche Erkenntnis: Information und Wissen kann
heute fast beliebig hoch, schnell und billig zu (a posteriori) Redundanz
(also zu Kopien) umgewandelt werden, und dafür unverschämt (ich finde im
Moment kein treffenderes Wort dafür) hohe Preise zu verlangen, muss die
Rechtssprechung möglichst bald verbieten. Es ist schlichter
Etikettenschwindel Redundanz als Information zu verkaufen.

Es wird einerseits immer unausweichlicher, dass Bibliotheken die
Produktion von Elesevier boykottieren, dass aber die Juristen die Schuld
an dieser Misere tragen, weil sie nicht ausreichend genau zwischen
Information, Redundanz und Wissen unterscheiden, darauf müssen aber in
erster Linie die Informationswissenschaftler hinweisen.

Ihre Kritik an der eigenen Informationswissenschaft ist also leider nicht
unbegründet. Die IWP muss aus der Informationswissenschaft heraus bezahlt
werden und nicht aus der Zahl der Abbonennten bzw. der Kopien.

Gute Wissenschaft ist nur möglich, wenn alle die daran mitarbeiten, auch
auf das, was wir schon wissen zurückgreifen können. Anderenfalls werden
ununterbrochen die Räder neu erfunden.

MfG

W. Umstätter

P.S. Zum Unterschied von a priori und a posteriori Redundanz s. Umstätter,
W.: Zwischen Informationsflut und Wissenswachstum. S. 82


To whom it may concern
"Elsevier-Zeitschriften, 2.5.2012

Aufgrund unzumutbarer Kosten und Bezugsbedingungen hat das Direktorium des
Zentrums Mathematik beschlossen, alle abonnierten Elsevier-Zeitschriften
ab 2013 abzubestellen.
Because of unsustainable subscription prices and conditions, the board of
directors of the mathematics department has voted to cancel all of its
subscriptions to Elsevier journals by 2013."
(http://www.ma.tum.de/Mathematik/BibliothekElsevier)
Entdeckt durch einen Tweet von Heinz Pampel.
Kommentar von Tim Gowers:
http://gowers.wordpress.com/2012/05/04/the-mathematics-department-at-tu-munich-cancels-its-subscriptions-to-elsevier-journals/
Einige weitere erste Kommentare bei Google+:
https://plus.google.com/app/plus/mp/908/#~loop:view=activity&aid=z12icnsjityki3j5a04chvywcofjhhzhwbk

Ceterum censeo: Cost of Knowledge, Academic Spring, Appell der Harvard
Library, FWF schließt sich dem an... Was machen eigentlich
InformationswissenschaftlerInnen hier so? Ach ja, deren Verband DGI hat
vor ein paar Monaten sein Journal INFORMATION. Wissenschaft und Praxis
relauncht, ohne Open Access. Das sind die Informationsspezialisten, in
Deutschland. Hallo? Jemand zuhause?

Von einem Mobilgerät gesendet.
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