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Re: [InetBib] EU-PSI-Richtlinie zur Nutzung von Daten aus öffentlichen Einrichtungen



Liebe Liste,

dies ist der - zugegebenermaßen etwas polemische - Versuch, meine 
Sprachlosigkeit über die DBV-Stellungnahme zu überwinden. Da sich hier 
mittlerweile einige Leute dazu zu Wort gemeldet habe, schließe ich mich mit 
copy&paste aus einem ursprünglich bei Google+ geposteten Beitrag an (dort 
würden ihn nämlich wieder nur die üblichen Verdächtigen lesen).

Beste Grüße
Louise Rumpf


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https://plus.google.com/u/0/112106557394814935278/posts/PToVFMuewMh

Ich habe eben mit zunehmendem Gruseln die Stellungnahme des dbv zur 
PSI-Richtlinie gelesen. Die scheinen in einer ganz anderen Welt zu leben als 
ich - und die, in der ich lebe, gefällt mir deutlich besser. Ein paar Punkte 
(es ist letztendlich doch länger geworden, als ich ursprünglich geplant hatte):

- War da nicht mal was mit dem DBV und der Berliner Erklärung? Ich kann mich 
nicht entsinnen, dass da nur von Metadaten die Rede war.

- Katalogdaten als "kulturneutrale Informationen" ist WIE gemeint?

- "Wir sehen eine ernsthafte Gefahr, dass Kulturgüter sonst in Zusammenhängen 
nachgenutzt würden, die ihrem ideellen Wert nicht entsprechen würden. Man muss 
sich beispielsweise den Gebrauch von theologischen Schriften zu irgendwelchen 
Dekorationszwecken vorstellen oder den möglichen Missbrauch von 
nationalsozialistischem Schriftgut zu gewerblichen Zwecken, um die Auswirkungen 
der geplanten Änderung abzuschätzen."
Die lila Trennwände der (privat betriebenen) Stabi-Cafeteria in München 
zieren...genau, dunkellila Abbildungen von Handschriften. Ohne 
wissenschaftlichen Kontext, ausschließlich zu Dekozwecken. Praktisch und 
abwischbar. Aber der Untergang des Abendlandes findet ja vermutlich außerhalb 
der Bibliotheks-, Museums- und Archivgebäude statt. Zum Beispiel bei den 
Engelchen auf meiner Teedose. Wer mir diese geschenkt hat, hat damit die Arbeit 
der Gemäldegalerie Alter Meister aber sowas von mit Füßen getreten, das ist 
kaum auszuhalten. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es wäre, wenn 
theologische Texte von vor über tausend Jahren auf Stoffe gedruckt würden und 
Leute daraus Tragetaschen nähten.
Warum denn nicht Leibniz auf der Kekspackung? (Mal ganz abgesehen davon, dass 
die Keksfirma das ja vielleicht gar nicht so toll findet, weil sich mit 
Handschriften relativ wenige Süßigkeitenesser hinter dem Ofen hervorholen 
lassen)
Ganz grundlegend gefragt: Wer soll denn bestimmen, was "legitim" ist? Mit 
welchem Recht maßen sich das BibliothekarInnen an?
Und der Markt für Nazi-Publikationen, auf den Bibliotheken dann quasi gezwungen 
würden? Sorry, das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist außerdem eine andere 
Baustelle, die imho weniger mit Digitalisierung als mit strafrechtlichen 
Regelungen zu tun hat (bin aber keine Juristin).

- Die UNESCO ist ja auch nicht ganz dumm. Als ob sie nicht um diese Richtlinie 
wüsste...

- Letztendlich geht es doch um das kulturelle Erbe und nicht um den Ruf der es 
verwahrenden Institutionen, oder?

- Ein ganz merkwürdiger Umgang mit dem Phänomen "Markt", bei dem es in erster 
Linie um Exklusivität zu gehen scheint. Wie geht denn der Auftrag, kulturelles 
Erbe für die Menschheit zur Verfügung zu stellen, mit "das darf aber 
ausschließlich der kommerzielle Partner X zu unseren Bedingungen, die je nach 
Institution komplett unterschiedlich sein können" zusammen? Aus gutem Grund 
werden die in Kooperationsprojekten (z.B. BSB-Google) digitalisierten Werke 
eben nicht nur einem kleinen Nutzerkreis zugänglich gemacht. Zudem: Solange 
Bibliotheken (und Archive und Museen) selbst große Digitalisierungsprojekte 
finanziell nicht stemmen können, ist das Argument "Es darf nicht jeder dürfen, 
der es gerne will und uns dafür bezahlt" geradezu zynisch. Weil ja in zehn, 
zwanzig, hundert Jahren jemand kommen könnte, dem man dann Exklusivrechte 
anbieten könnte? Da überschätzen Bibliotheken ihre "Verhandlungsposition" aber 
ganz gewaltig - aber das gibt es ja auch immer wieder, etwa die Idee, 
Katalogdaten verkaufen zu können...

- "Wenn etwa der wissenschaftliche Leiter eines Hochschularchivs im Rahmen 
seiner Diensttätigkeit einen Aufsatz über eines „seiner“ Sammlungsobjekte 
verfasst, hätte er künftig kaum noch eine Möglichkeit, diesen Aufsatz in einem 
Fachjournal zu veröffentlichen. Nahezu alle wissenschaftlichen Verlage 
verlangen die Einräumung von Exklusivrechten bis zum Erlöschen der 
Urheberrechte."
Gab es da nicht mal so eine...moment...wie hieß die noch... sogenannte 
"Open-Access-Bewegung"? War da nicht irgendwas mit alternativen 
Publikationsmodellen? Waren es nicht auch Bibliothekar*, die aufgrund 
steigender Zeitschriftenpreise von genau diesem konventionellen Verlagsmodell 
wegwollten? Das ist in der DBV-Welt anscheinend nicht vorgesehen, was man auch 
ganz deutlich an den nächsten Sätzen sieht:

- "Die sehr weite Formulierung in Art. 3 Nr. 2 verkennt zudem, dass viele 
Kultureinrichtungen im Sinne einer sparsamen Haushaltsführung gehalten sind, 
einen Teil ihres Budgets durch eigene Einnahmen zu decken. Beispielsweise 
betreiben einige Universitätsbibliotheken kommerzielle Hochschulverlage, in 
denen auch eigene Inhalte verlegt werden. Ohne exklusive Urheberrechte wären 
diese steuersparenden Aktivitäten gefährdet."
Sparsame Haushaltsführung, eigene Einnahmen. So weit, so gut. Wenn ich das 
richtig überblicke, sind die zwei "großen" Einnahmequellen für Bibliotheken 
Mahngebühren (vor allem bei ÖBs) und Dokumentlieferung (fast nur bei zentralen 
Fachbibliotheken für kommerzielle Nutzer). Es ist nicht die Aufgabe von 
Bibliotheken, sich vollständig selbst zu finanzieren, und die Finanzierung 
durch Hochschulverlage stand, soweit ich weiß, auch noch nie im Raum. Die 
allermeisten Hochschulverlage wurden gegründet, um die Publikationen der 
Wissenschaftler* der Institution zu verbreiten und nicht, um ihnen möglichst 
viel Geld aus der Tasche zu ziehen (was die logische Konsequenz in dieser 
Parallelwelt wäre). Gerade Hochschulverlage sind bei diesem... wie hieß es noch 
mal gleich... "Open Access" sehr engagiert und mir ist kein Fall bekannt, in 
dem ein Urheber all seine abgebbaren Rechte auf Lebenszeit und darüber hinaus 
an einen Hochschulverlag transferieren musste. Die haben nämlich kapiert, dass 
es um Verbreitung von Wissen geht und nicht um möglicherweise ziemlich 
marginale Einnahmequellen.

- Die Forderung zu Gebührenpflichten finde ich in Anbetracht der aktuellen 
Praxis [etwas schizophren] schwer nachvollziehbar. Im Moment kann man 
digitalisieren, weil die Nachfrage gering ist und  deswegen nicht 
kostendeckende Preise "gerade noch ok" sind - wenn "zu viele" Leute was 
digitalisiert haben wollten und man das nicht kostendeckend machen kann, müsste 
man a) mehr Geld bekommen oder b) rechtfertigen (was dann ja im Gegensatz zur 
aktuellen Benevolenter-Besitzer-Situation auch ginge!), dass es hier einen 
Marktpreis gibt, der bei X liegt und bezahlt werden muss. Na und? Ist doch 
allemal besser als (zumindest für Außenstehende) willkürliche und von 
Institution zu Institution unterschiedliche Preise. (Und nicht vergessen: Es 
darf nicht jeder daherkommen und etwas digitalisiert haben wollen!). Damit bin 
ich auch schon beim betriebswirtschaftlichen Part und beim nächsten Punkt, der

- Offenlegung von Kalkulationen: Wäre doch kein Beinbruch, wenn man elementare 
Kostenrechnung beherrscht, was ja doch meistens irgendjemand tut. Schließlich 
haben Bibliotheken im Vergleich zu vielen Unternehmen, die das auch hinkriege, 
eine ziemlich einfache Kostenstruktur. Gerade bei Digitalisierungsvorhaben kann 
man - aber natürlich nur, wenn man möchte - die Kosten pro wasauchimmer 
eigentlich ganz gut festmachen (und wenn jemand anders besser digitalisiert: so 
what?!). Ein Markt, auf dem die Preise nicht bekannt sind, kann nämlich, wenn 
ich mich an mein erstes Semester erinnere, auch nicht wirklich funktionieren - 
aber das sieht der DBV anscheinend anders, der meint, mit einer Offenlegung von 
Kalkulationen und einer marktwirtschaftlichen Konkurrenz bei der 
Digitalisierung käme es zu einem "Außerkraftsetzen kaufmännischer Grundregeln 
für die Einrichtungen".

- Welche "kulturellen, religiösen, wissenschaftlichen oder historischen 
Auswirkungen" berücksichtigt die EU-Kommission denn im Gegensatz zum DBV nicht?

- Sprache. Begriffe so verwenden, wie es üblich ist. Die allermeisten Metadaten 
entstehen z.B. nicht "im öffentlichen Raum".

Ich weiß wirklich nicht, was ich damit anfangen soll. Kann mir jemand auf die 
Sprünge helfen?

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Louise Rumpf
Bibliotheksreferendarin UB Bamberg /BSB München
@darisan

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