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Re: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche Bibliothek



Lieber Herr Deeg,

ich kann von der Buchmesse aus nur eingeschränkt antworten. Aber das Thema 
Lending ist hier vorherrschend und die Konzepte sind in der Umsetzung. Wenn ich 
von Geschäftsmodell spreche kann es sein, dass die Umsetzung misslingt. Aber 
für unser Thema hier ist das doch irrelevant: entscheidend ist, dass Lending 
als Geschäftsmodell kommt und ob das nun der Verband, Bertelsmann, Amazon oder 
wer anders macht, das spielt doch keine Rolle. Meine Aussage war, dass es kommt 
und für uns kommerziell wichtig wird.

Ihre Beschreibung der Situation der Bibliotheken ist sehr klar und zeigt die 
anstehenden Aufgaben. Damit unterstreichen Sie ja meine Vermutung, dass wir auf 
einen Konflikt zusteuern. 
Vielleicht war mein Versuch einer Lösung naiv. Noch will ich aber nicht die 
Lösung von Herrn Müller akzeptieren, der das gerichtlich ausfechten will und 
sich die Erlösung ausgerechnet vom EuGH erhofft. Sehr viel wichtiger finde ich 
Ihren Hinweis auf ein Dreieck Amazon etc., Bibliotheken und Verlage als 
Angebotsspektrum für die Kunden. Ich würde das etwas variieren: Zentrale 
Plattformen (Amazon etc. aber auch die skizzierte Lending-Plattform und die DDB 
bzw Europeana), Bibliotheken und  Buchhändler (statt Verlagen). Und das würde 
ich noch um Bildungseinrichtungen wie Schulen und VHS als vierte Ecke ergänzen.

Wie viele Ecken auch immer, über die Abgrenzungen der Schnittstellen und unsere 
Modalitäten wird man sich einigen müssen. Diese Einigung sollte die Interessen 
der Autoren und der Leser genau so im Auge haben wie die ökonomischen und 
sozialen Anforderungen an ein nachhaltiges Angebot.

Herzliche Grüße
Matthias Ulmer

Am 13.10.2012 um 11:38 schrieb Christoph Deeg <christoph.deeg@xxxxxxxxxxxxxx>:

Sehr geehrte Listenmitglieder,

ich finde diese Diskussion sehr spannend und erlaube mir, mich auch dazu zu
äußern. Ich beziehe mich dabei auf öffentliche Bibliotheken:

Interessant ist, dass Sie Herr Ulmer von einem Geschäftsmodell der Verlage
sprechen. Welches Geschäftsmodell soll das sein? Bis jetzt kommt von den
Verlagen nicht ein einziges kundenorientiertes Angebot im Bereich eBooks.
Im Gegenteil, bis jetzt wurde erfolgreich versucht das Thema zu bekämpfen.
Nicht die Verlage sondern Unternehmen wie Amazon, Google und Apple haben
hier interessante Services geschaffen. Und wenn diese Unternehmen nun
direkt mit den Autoren Verträge eingehen, können Kunden davon nur
profitieren.

Das wir eine Bewegung weg vom Eigentum und hin zum Zugang haben ist kein
neuer Trend. Schon Jeremy Rifkin wies vor vielen Jahren in seinem Buch
"Access" darauf hin:


http://www.amazon.de/Access-Verschwinden-Eigentums-besitzen-ausgeben/dp/3593365413


und er beschrieb darin keine Zukunftsvision sondern eine vorhandene
Situation. Anstatt nun also Bibliotheken als Konkurrenz zu sehen
wäre es hilfreicher, wenn Sie sich überlegen würden, wie man als Verlag
wirklich kundenfreundliche Angebote schafft.

Öffentliche Bibliotheken sind keine Almosensysteme. Sie haben zwar auch
einen sozialen Auftrag aber eben nicht nur. Sie sind kultureller
Ort, sozialer Ort, Lernort und sie werden in Zukunft den digitalen Bereich
unserer Gesellschaft mitgestalten. Wir müssen dafür sorgen,
dass öffentliche Bibliotheken für alle Einkommensklassen bzw.
Lebensrealitäten ein Angebot vorhalten können. Für mich als Kunden
geht es z.B. nicht um einen kostenlosen Zugang zu Inhalten sondern um einen
professionellen Umgang mit Inhalten.

Die Herausforderung für Bibliotheken ist aber weitaus größer. Es geht
längst nicht mehr nur um Bücher bzw. eBooks. Amazon, Apple,
Google und Co. bieten diese Leihmodelle für eine Vielzahl an Medien an. Bei
Lovefilm von Amazon habe ich für 6,99€ eine Flattrate
für das Streamen von Filmen. Spotify und Audible vermarkten Musik und
Hörbücher. Shoutcast bringt mir tausende Radiosender
nach hause. Ganz zu Schweigen von den animierten Kinder-eBooks, die als
Apps. nicht mehr in das Konzept einer Onleihe
integrierbar sind. Im Rahmen meiner "Mobile Internet Roadshow für
Bibliotheken" probieren die Teilnehmer auch diese Plattformen
aus und das Feedback ist immer eindeutig: die Angebote sind
kundenorientiert und machen Spass.

Für Bibliotheken geht es also um viel mehr. Immer mehr Inhalte/Medien
können nicht mehr in der Bibliothek als Teil
des Bestandes verortet werden. Sei es, weil die Distributionsmodelle eine
Integration in die Bibliothek nicht mehr zulassen oder sei es,
weil sie frei zugänglich sind wie z.B. Youtube-Videos oder Blogs. Es geht
also um einen Wandel von der Bestands- zur Serviceorientierung.
Was Amazon seinen Kunden bietet ist ein Service. Die Menschen zahlen für
diesen Service, nicht für den Inhalt. Es geht um die Frage,
wie Bibliotheken mit den Inhalten arbeiten können, die nicht mehr klassisch
Teil des Bestandes sind.

Letztlich wird es auch darum gehen, neue Kooperationsmodelle zu entwickeln.
Verlage gegen Amazon, Google und Co. wird nicht viel
bringen. Dafür fehlt es den Verlagen in der Breite an Innovationskraft.
Verlage gegen Bibliotheken macht noch weniger Sinn, denn Verlage
werden die Bibliotheken brauchen. Wir werden ein Dreieck aus Verlagen,
Bibliotheken und Unternehmen wie Amazon und Google
entwickeln müssen um den Kunden, und nur um die sollte es gehen,
interessante Angebote anbieten zu können.

Beste Grüße

Christoph Deeg




Am Freitag, 12. Oktober 2012 schrieb Matthias Ulmer :

Lieber Herr Mittermaier,

eigentlich zeigt Ihre Substitution doch nur, dass in der Logik daraus
Fehlschlüsse entstehen.
Aber das spielt letztlich auch keine Rolle, wer wann wo Konkurrenz
bekommen hat.

Wir haben eine technische Entwicklung, die das Leser- bzw. besser
Nutzerverhalten verändert.
Und wir haben einen Trend, der weg von Besitz und hin zu Zugriff geht. Für
die Rechteinhaber bedeutet das, dass sie von Print zu Digital und von
Verkauf zu Vermietung wechseln.
Das ist kein Buchtrend, das ist ein allgemein gesellschaftlicher Trend.

Weiter gibt es seit Jahrzehnten eine Veränderung im Verständnis des
Bibliotheksauftrags. Um mal das Extrem zu nehmen: die Unesco formuliert die
Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit Information, Kultur, Medien als
Auftrag der Bibliotheken.

Wer jetzt wann welche Erstgeburtsrechte auf Verleih hat ist irrelevant.
Dass es einen Konflikt gibt, den sich niemand, weder Bibliotheken noch
Rechteinhaber wünschen ist klar.

Dass das kommerzielle Geschäftsmodell der Ausleihe beginnt ist jetzt auch
offensichtlich. Gerade heute hat Amazon die Ausleihe in Deutschland
gestartet, siehe Pressemeldung in Buchreport etc.

Damit Bibliotheken das Angebot an E-Book Ausleihe ausbauen können
benötigen sie Medien. Die bekommen sie entweder von Verlagen, wenn die
beiden Ausleihmodelle nicht zu sehr miteinander konkurrieren. Oder sie
müssen auf die nächste Schranke im nächste Korb hoffen. Ich halte es
angesichts der ökonomischen Bedeutung der Ausleihe für unrealistisch hier
viel zu erwarten, da der Eingriff in die Eigentumsrechte der Rechteinhaber
in diesem Konflikt bei der angedeuteten Marktentwicklung zu massiv wäre.
Realistisch ist vielleicht die Bindung an die Räumlichkeiten der Bibliothek
und an spezielle Lesegeräte. Aber bis das soweit ist vergehen Jahre.

Das finde ich sind ausreichend Gründe gemeinsam nach einer Lösung zu
suchen und nicht historische Feindschaften zu beschwören.

Gruss
Matthias Ulmer





Am 12.10.2012 um 08:53 ngschrieb "Mittermaier, Bernhard" <
B.Mittermaier@xxxxxxxxxxxxx <javascript:;>>:

Lieber Herr Ulmer,
wenn man Ihre Argumentation bei den E-Books akzeptiert, dann sehe ich
keinen Grund, sie für den print-Bereich nicht zu akzeptieren. Und so wird
vielleicht deutlich, dass Sie letztlich aussagen, dass die Bibliotheken den
Verlagen das Geschäft kaputt machen (gestern war ich bei einer
Veranstaltung in Frankfurt, bei der viele Verlage *mit* vielen Bibliothek
Geschäfte machen, aber das nur nebenbei).
Ich erläutere Ihnen dies durch die Methode des Substitution: Wenn ich in
dem Zitat aus boersenblatt.net "E-Book" durch "Buch", "zu speichern"
durch "ins Regal zu stellen" und "Onleihe" durch "Ausleihe" ersetze, dann
ergibt sich:

Matthias Ulmer nimmt an, dass künftig mehr *Buch*-Leser dazu übergehen
werden, Titel nicht dauerhaft *ins Regal zu stellen*, sondern nach Bedarf
auf sie zuzugreifen. In diesem Zusammenhang erwachse den Verlagen eine
Konkurrenz aus den *Ausleihe*-Angeboten der öffentlichen Bibliotheken, die
auf Dauer das Geschäftsmodell der Verlage gefährden könnten. Längst
sprächen die Bibliotheken nicht mehr ihre ursprüngliche, eher
einkommensschwache Zielgruppe an, sondern einen wesentlich größeren
Nutzerkreis. Hier steuere man auf einen Konflikt zu.

Vereinfacht gesagt, war das Geschäftsmodell der Verlage bislang die
Publikation und der Verkauf von Büchern; Bibliotheken haben Bücher gekauft
und verliehen. Wer erzeugt denn nun eine Konkurrenzsituation?

Herzlichen Gruß
Bernhard Mittermaier

###########################################
Dr. Bernhard Mittermaier
Forschungszentrum Jülich
Leiter der Zentralbibliothek / Head of the Central Library

Tel  ++49-2461-613013
Fax ++49-2461-616103

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Date: Thu, 11 Oct 2012 19:24:48 +0200
From: Matthias Ulmer <mulmer@xxxxxxxx>
Subject: Re: AW: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche
      Bibliothek
To: Internet in Bibliotheken <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Message-ID: <C1A275F3-EB4B-41F5-A944-7FA335F65B37@xxxxxxxx>
Content-Type: text/plain; charset=utf-8

Lieber Herr Müller,

mit der E-Book Ausleihe bzw. Vermietung hat das nichts zu tun, oder? Nur
sicherheitshalber, damit ich nichts falsch verstehe...

Sie wollen partout eine große ewige Feindschaft zwischen Verlagen und
Bibliotheken. Wenns Spaß macht... Aber dem müssen ja nicht alle folgen.
Wenn die Bibliothekstantieme Ihr Beweis dafür ist, dass die Verlage die
Bibliotheken als Konkurrenz betrachten, kann sein, dass das eine Diskussion
war. Man muss aber tief in den Archiven kramen um das als Beleg heran zu
ziehen.
Wie hoch die Bibliothekstantieme oder unser jährlicher Anteil daran ist?
Keine Ahnung. Dass Verlage und Urheber in den Gremien seit Jahren
problemlos zusammenarbeiten und beide Seiten das Urteil des LG München
absurd finden können Sie gerne ignorieren. Auch die von Ihnen gewünschte
allgemeine Feindschaft zwischen Autoren und Verlagen gibt es nicht.
In Ihren Augen wäre ja jede Geschäftsbeziehung zwischen Bibliothek und
Verlag ein Beweis für Konkurrenzdenken und aus der Welt wäre das erst, wenn
die Verlage den Bibliotheken alles umsonst geben. Sehr eigenwillig.

Das mit den Prozessen: obwohl es sinnlos ist erlaube ich mir den Hinweis
auf die eigenartige Argumentation, nach der man zum Vorwurf bekommt sich
gegen eine Rechtsverletzung zu wehren. Ich weiß von drei Verfahren, eins zu
52b und zwei zu 52a. Ein wirklich unglaublicher Vorgang, dass hier drei
Musterverfahren zu zwei neuen Paragrafen gemacht wurden. Und ob Klagen
berechtigt sind kann man doch auch am rechtsverbindlichen Urteil ablesen.

Und Heidelberg ist doch Kurpfalz und nicht Baden?

Na ja, aber vielleicht haben Sie zum Thema E-Book-Ausleihe doch noch
eine Anmerkung?

Freundliche Grüße
Matthias Ulmer
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