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Re: [InetBib] Theorie und Praxis der Stellenbesetzung



Liebe Frau Ecks,

eine Stellenbesetzung ist leider keine mathematische Gleichung, die zu einem guten Ergebnis führt, wenn man ordentlich rechnet. Es gibt immer einen "Lotto-Faktor", auch und gerade für den Arbeitgeber. Ihre WG-Erfahrungen kann man da gut übertragen.

Der Nasenfaktor, ob also jemand "reinpasst", ist natürlich immer da; es wäre unredlich, das zu leugnen. Die Frage ist nur, welchen Stellenwert man diesem Faktor einräumt. Im Grunde kann man jeden fachlich geeigneten Bewerber und jede geeignete Bewerberin in ein Team integrieren. Neue Charaktere sind da sogar eine Bereicherung. Aber man muss aufpassen, dass man ungewöhnliche Leute auch zum Zuge kommen lässt. Dazu gehört zum einen, dass man sich selbst und seine eigenen Bewertungen kritisch beobachtet. Dazu gehört zum anderen, dass man immer mit mehreren Personen eine Auswahl vornimmt. Hier ist es gut, dass der Personalrat eine externe Rolle spielt und ganz bewusst einen "Nasenfaktor" relativiert und hinterfragt.

Vielleicht noch ein paar Worte dazu, was man ja oft hört, dass die "bösen Leute mich nicht genommen haben": Aus Sicht von Bewerbenden sollte ein Bewerbungsverfahren durchaus "sportlich" gesehen werden. Richtig bewerben und sich richtig präsentieren muss man lernen. Es ist völlig normal, wenn man hier mehrere Absagen kassiert, soweit man bereit ist, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, wenn man auch den Mut hat, Feedback einzufordern (das ist nicht leicht!). Ich bin immer wieder erstaunt, wie schlecht vorbereitet manche Bewerber in ein Gespräch gehen. Wie wenig sie sich gedanklich auf die neue Stelle eingelassen haben. Im Nachgang gab es in einigen Fällen teilweise gute Feedback-Gespräche; und es war schön, zu sehen, dass nach einiger Zeit auch diese Leute gut untergekommen sind.

Am Ende kann man eine Auswahlentscheidung immer kritisieren. Was machen Sie etwa, wenn sich auf eine Beförderungsstelle ein bewährter und motivierter Kollege bewirbt und sich im Auswahlverfahren auch eine fachlich vielleicht sogar ein wenig besser geeignete externe Bewerberin, die Sie aber nicht kennen und deren Arbeitsqualität Sie nicht einschätzen können, befindet?

Egal, wie Sie sich entscheiden werden, Sie werden immer kritisiert:

Wenn der Kollege nicht genommen wird, wird er sagen: Typisch, Frauen werden vorgezogen. Und Sie haben einen enttäuschten Mitarbeiter im Haus, der der neuen Kollegin sicher nicht freundlich und aufgeschlossen begegnen wird.

Wenn Sie den Kollegen nehmen, wird die Bewerberin sagen: Typisch, ich wurde diskriminiert, die nehmen sowieso nur ihre eigenen Leute.

Wenn Sie jetzt sagen, dass man "natürlich" die Frau nehmen müsse, weil die eben besser sei, kann man das so sehen. Wenn ich aber den Kollegen befördere, belohne ich einen guten Mitarbeiter UND habe eine neue Stelle frei, auf der eine Berufsanfängerin vielleicht eine Chance bekommt.

Sie sehen, die Dinge liegen oft recht komplex. Damit man zu fairen und vertretbaren Lösungen kommt hilft im Grunde nur ein transparentes Verfahren und eine Beteiligung mehrerer, voneinander unabhängiger Personen bei der Auswahl.

Viele Grüße
Eric Steinhauer

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