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Re: [InetBib] Studie "Wissen wir tatsächlich mehr? - Aussagewert - Artikel BuB



Lieber Herr Umstätter,
Darum müssen wir dringend die Zahl der Non-User von
Bibliotheken schon im Kindesalter abbauen. <<<
Nach allen meinen Erfahrungen in der Arbeit in einer Stadtbibliothek, in einer 
Universitätsbibliothek, als Dozentin in der universitären Lehre, mit einer von 
Kindern selbst aufgebauten Schulbibliothek in einem Grundschulhort und seit 10 
Jahren in einer Bibliothek, die auf dem Campus eines Berufsschulzentrums 
arbeitet bin ich der Ansicht, dass dies nur sinnvoll geschehen kann, wenn die 
Bibliothek direkt in der Schule und vielleicht auch in der Kindertagesstätte 
ist. Ich sehe die jungen Menschen von einer Bibliothek in die nächstgrößere 
wachsen und würde mir eine Studie zu "Bibliotheksbiografien" wünschen. 
Viele Grüße 

--
Jana HaaseAm Friedrichshain 19 c10407 BerlinTel. 030 441 50 84

----- ursprüngliche Nachricht ---------

Subject: Re: [InetBib] Studie "Wissen wir tatsächlich mehr? - Aussagewert - 
Artikel BuB
Date: Do 25 Apr 2013 18:35:49 CEST
From: h0228kdm<h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>
To: Internet in Bibliotheken&lt;inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx&gt;

Liebe Frau Schleihagen,

was Sie schreiben ist sicher richtig, mir ging es nur darum, dass nach 
den amerikanischen Erfahrungen der Abbau von Non-Usern schon bei den 
Kleinkindern beginnen muss, und dass die hier diskutierte Befragung 
diesen wie mir scheint wichtigen Aspekt methodisch ausgeblendet hat.

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Aus den szientometrischen 
Beobachtungen von de Solla Price heraus wissen wir, dass der Anteil an 
Wissenschaftlern in unserer Bevölkerung seit Jahrhunderten stetig 
wächst, so dass klar absehbar ist, wann die Mehrheit der 
Wissenschaftsgesellschaft aus Wissenschaftlern bestehen wird. Das ist 
aber nur möglich, wenn man den Homo sapiens (der ja sozusagen per 
definitionem zum wissenschaftlich denkenden Wesen geboren ist) auch 
schon von Kind auf dazu befähigt. Die beginnende Industriegesellschaft 
brauchte noch in der Mehrheit Menschen mit geradezu stumpfsinnigen 
Betätigungen, so dass man seit ~1900 in Intelligenztests herauszufinden 
versuchte, bei welcher Minderheit (de Solla Price schätzte sie in 
„Little Science, Big Science“ 1963 auf etwa 7%) sich die Investition 
einer höheren Schulbildung mit Studium überhaupt lohnt. Bei diesem 
Wechsel von der Little Science zur Big Science (~1950) wuchs deutlich 
sichtbar der Bedarf an belesenen oder genauer gesagt an gebildeten 
Menschen. Darum müssen wir dringend die Zahl der Non-User von 
Bibliotheken schon im Kindesalter abbauen. Außerdem müssen wir dieser 
Klientel auch Informationen anbieten, die ihnen weiter helfen und sie 
nicht erst verdummen. Das ist weiterhin die alte Aufgabe Öffentlicher 
Bibliotheken (s. Dewey). Verdummung über Massenmedien gibt es in dieser 
Gesellschaft bekanntlich noch immer genug.

„Gottfried Wilhelm Leibniz wusste noch „was bisweilen ein baar Bücher 
für Schaden gethan!“, und Goethe warnte: „Und dass deine Söhne nur 
lesen, sofern es zum Sinne ihrer Bildung gehört.“
Dagegen ist es heute nicht selten erschreckend, wie wahllos Bücher, 
DVDs, Filme, Videos oder Zeitschriften als Quellen der Bildung und des 
Wissens vermarktet werden, bei denen man mit Fug und Recht sagen kann, 
dass sie schlicht Schund sind. Sie sind aber nur Schund im Vergleich zu 
den viel besseren Angeboten.“ („Zwischen Informationsflut und 
Wissenswachstum“ S. 157; 2009) die eine Bibliothek synoptisch anzubieten 
vermag.

MfG

Walther Umstätter

Am 2013-04-25 17:19, schrieb Barbara Schleihagen:
Lieber Herr Umstätter,

Zu Ihrer Frage: Die Altersuntergrenze „14 Jahre“ bei der Studie zur
Nichtnutzung von Bibliotheken hat mehrere Gründe:

1. Bei bevölkerungsrepräsentativen Befragungen werden in der Regel
Personen ab 14 Jahre befragt, da ab diesem Alter juristisch formuliert
die „Einsichtsfähigkeit“ vorausgesetzt werden kann. Das bedeutet für
die Befragung: die Einwilligung der Eltern für die Teilnahme an einer
solchen Befragung ist nicht mehr erforderlich. Das bedeutet generell:
Kinder werden offiziell zu Jugendlichen – und sind in diesem Alter
auch fähig, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese zu äußern.
Das zeigt sich ja auch daran, dass diese Altersgrenze in vielen
Bereichen gilt: ab 14 ist man strafmündig, ab 14 ist man
religionsmündig etc.

2. Dass diese Abgrenzung für die Befragung gewählt wurde, hat aber
zugleich auch seinen inhaltlichen Grund in der Forschungsfrage: es
ging in der Untersuchung ja vorrangig um die Nichtnutzer, um die
Frage, warum (Welche Gründe? Welche Erfahrungen? Welche Motivationen?)
entscheidet man sich gegen die Nutzung von Bibliotheken., wenn es
einem frei steht, sie zu nutzen. Kinder unter 14 Jahren entscheiden
dies meist nicht selbst, sondern sie werden zur Nutzung von
Bibliotheken angehalten (oder unter Umständen auch vom Elternhaus
davon abgehalten).

3. Ein dritter Grund sprach auch für diese Grenze: der gewünschte
Vergleich mit anderen Studien, zum Beispiel auch „Lesen 2008“, die in
aller Regel das Verhalten von Erwachsenen und Jugendlichen, ab 14
Jahre also, messen.

4. Und schließlich: die begrenzten Mittel, die vom Bundesbeauftragten
für Kultur und Medien beantragt werden konnten.

Mit besten Grüßen,
Barbara Schleihagen
 

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von 
h0228kdm
Gesendet: Donnerstag, 25. April 2013 13:56
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Studie "Wissen wir tatsächlich mehr? -
Aussagewert - Artikel BuB

Dass lange Zeit nur etwa zehn Prozent der Gesellschaft
Bibliotheksbenutzer von ÖBs waren ist seit langem bekannt. Das hat man
durch den Kauf attraktiver, nicht immer hochwertiger Bücher (z.B.
Angelique) zu überwinden versucht (nicht nur in Deutschland, sondern
noch stärker in den Niederlanden oder England). Dabei sollte man
allerdings auch die Dynamik der Gesellschaft nicht übersehen. So
benutzen viele Kinder und Jugendliche eine Zeit lang ÖBs, um sich dann
in ihren Interessen (insbesondere in einem Studium) immer weiter zu
spezialisieren. Wenn es nun also 37% Bibliotheksbenutzer in der
deutschen Bevölkerung sein sollten, so wäre das eher erfreulich. Dass
dabei das Elternhaus von entscheidender Bedeutung ist, ist ebenso
bekannt, weshalb man in den USA eine Kampagne betrieb, bei der
Bibliothekare in die Entbindungsstationen gingen, um jungen Müttern
mit einem Leseausweis ihren Kindern den Gang in die Bibliothek nahe zu
legen. Hier erwächst also die Frage, warum man in der vorliegenden
Befragung erst bei 14 Jährigen die „standardisierte CATI Studie“
eingesetzt hat. Ist dieses, als „in der Umfrageforschung seit vielen
Jahren gängiges Verfahren“ bezeichnete Befragungsinstrument, bei
Kindern mit einer altersbedingten Bias behaftet?

Bei der Frage der „Non-User“ von Bibliotheken sollte man allerdings 
auch
bedenken: „Hier werden also oft Klischees und Stimmungen, wie die
Bibliothek für gemütliche Mußestunden, für Freizeitvergnügen oder
Musikgenuss bis hin zum fröhlichen Kinderspielplatz mit Rutsche und
Kissen genutzt. Auch wenn eigentlich nichts dagegen einzuwenden wäre,
Bibliotheken auf diesem Wege attraktiv zu machen, so hat diese
Vorstellung bei Laien und Politikern ohne Zweifel schon so manche
Öffentliche Bibliothek die Existenz gekostet. Wenn Kommunen und Städte
sparen müssen, gehört Unterhaltung und Freizeitgestaltung nicht zu
ihrem Kernbereich, zumindest nicht nach Ansicht der Steuerzahler.“
(Lehrbuch des Bibliotheksmanagements S. 150; 2010) Dagegen ist seit
PISA die Leseförderung (insbesodere bei Kindern) gefragt, was den ÖBs
wieder erheblichen Auftrieb brachte.

Dass die Attraktivität von Bibliotheken mit ihrer Bestandsgröße linear
wächst ist bekannt ( S. 212), andererseits gilt: „Schon aus der
Halbwertszeit der Literatur ergibt sich, dass bei einer permanenten
Ausleihe von rund 15% des Bestandes, die sich zu 50% auf die letzten
fünf Jahre beziehen, der sogenannte Satisfaction level bei rund einem
Drittel liegt. Mit anderen Worten, jedes dritte Buch, dass ein
Benutzer in seiner ÖB erwartet, ist für ihn nicht greifbar. Es spricht
viel dafür, das dies etwa der Grenzwert ist, bei dessen Überschreitung
die Leser vom Besuch der Bibliothek Abstand nehmen, weil sich der Weg
dorthin nicht mehr lohnt. Anders gesagt, wenn jedes zweite Buch nicht
greifbar ist, reduziert sich die Zahl der Benutzer, bis die noch
verbleibenden Benutzer immerhin zwei von drei Büchern ausleihen
können.“ (S. 136) Dass die elektronisch verfügbaren Informationen
dabei dem gedruckten Buch in einer ÖB weitgehend ebenbürtig sind ist
inzwischen auch bekannt. Insofern kommen immer mehr
Bibliotheksbestände über das Internet zu uns nachhause.

Wenn Mevill Deweys Aussage: "The time is when a library is a school,
and the librarian is in the highest sense a teacher." (S. 29) noch
immer stimmt, sollten sich ÖBs unter den heutigen Möglichkeiten auch
des Fernstudiums darauf einstellen - vorausgesetzt die Verlage hindern
sie nicht weiter durch Enteignung daran.

MfG
Walther Umstätter


Am 2013-04-25 11:04, schrieb Barbara Schleihagen:
Sehr geehrter Herr Maass, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die Auseinandersetzung um – auch kritische – Punkte bereichern die
Entwicklung von Verfahren. In diesem Sinne freuen wir uns über Impulse
und Kritik von außen. Die Autorinnen des Beitrags im BuB Heft 4/2013
haben allerdings den Dialog mit dem Deutschen Bibliotheksverband e.V.
(dbv) und der Stiftung Lesen nicht gesucht, so dass wir zu einer
Klärung der sachlichen Fragen unmittelbar nicht beitragen konnten.

Daher sollen auch Sie die Möglichkeit erhalten, die methodischen
Details der Untersuchung zu den Ursachen und Gründen für die
Nichtnutzung von Bibliotheken unvoreingenommen beurteilen zu können.
Wir haben die zentralen Punkte der Autorinnen aufgegriffen und  die
relevante Sachinformation in einer Stellungnahme:
http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/projekte/Nichtnutzungsstudie_Stellungnahme_dbv_Stiftung_Lesen_Kritik.pdf
zusammengestellt.

Der überwiegende Teil der Sachinformation war bereits seit April 2012
auf den Webseiten von dbv und Stiftung Lesen zugänglich:
http://www.bibliotheksverband.de/dbv/projekte/nichtnutzungsstudie.html

Wir bedauern, dass die Autorinnen der HTKW gerade zu solchen Fragen
den wissenschaftlichen Diskurs nicht gesucht haben. So kann man sich
beispielsweise auch durchaus gewinnbringend fachlich darüber
auseinandersetzen, ob Tests auf statistische Repräsentativität von
Ergebnissen sinnvoll sind, wenn man mit einer Studie Teilgruppen
vergleichen, nicht aber Aussagen über die Gesamtbevölkerung machen
möchte. Der Deutsche Bibliotheksverband und die Stiftung Lesen stehen
den Autorinnen wie auch allen anderen interessierten Leserinnen und
Lesern für Fragen und einen sachlichen Dialog gern zur Verfügung.

Mit besten Grüßen,
Barbara Schleihagen
 
Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv)
Geschäftsführerin
Tel: 030/644 98 99-12
Fax:030/644 98 99-29
www.bibliotheksverband.de
www.treffpunkt-bibliothek.de


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag
von Philipp Maass
Gesendet: Donnerstag, 25. April 2013 08:10
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Studie "Wissen wir tatsächlich mehr? - Aussagewert
- Artikel BuB

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Kollegen_Innen,

in der aktuellen Forum Bibliothek und Information  (4/2013)

haben Frau Prof. Andrea Nikolaizig (HTWK Leipzig), Frau Prof. Helga
Tecklenburg (HTWK Leipzig) sowie die Studentinnen der HTWK Daniela
Hoffmann und Martina Werder den Artikel

-Wissen wir tatsächlich mehr?
Zum Aussagewert der Studie „Ursachen und Gründe für die Nichtnutzung
von Bibliotheken in Deutschland“-

veröffentlicht. In dem Artikel geht es um die Aussagewer einer vom
Deutschen Bibliotheksverband (DBV) herausgegebenen Studie. Mich hat
der Artikel in Unruhe gebracht, da ich die Argumentation des Verbandes
für Betriebsinterne - und externe Kommunikation nutze. Außerdem war
ich sehr enttäuscht. Es ergeben sich aus meiner Sicht viele Fragen
durch diesen Artikel. Fragen die wir stellen sollten. Deshalb habe ich
Frau Nikolaizig um Erlaubnis gebeten, den Artikel hier (Inetbib,
Forumoeb, ggf. Blogs) veröffentlichen zu dürfen, was Sie auch gerne
getan hat.

Mir geht es nicht darum, den DBV oder seine Arbeit zu diskreditieren.
Es geht mir

1. Um die Information für alle BuB-Nichtleser, dass die Studie nicht
brauchbar ist 2. Darum, zu verhindern dass sowas nocheinmal passiert
3. Um eine sachliche Diskussion

Sie finden den Artikels unter

http://tiny.cc/5j12vw

bzw.

https://docs.google.com/file/d/0B0rxsxQnH0QnQzZ2blM5UUdJTWc/edit?usp=sharing

Sie können den Artikel gerne in einem Blog posten oder weiter
verbreiten, wenn Sie Frau Nikolazig anfragen. -
nikolaiz@xxxxxxxxxxxxxxxxxxx

Mit den besten Grüßen,

Philipp Maass

Philipp Maass B.A.
Hochschule für Kunsttherapie Nürtingen
Staatlich anerkannte Fachhochschule der Stiftung für Kunst und
Kunsttherapie Nürtingen University of Applied Sciences
-Bibliothek-
Sigmaringer Str. 15/2
D-72622 Nürtingen
Telefon +49 / 70 22 / 93 33 6-18
E-Mail: p.maass@xxxxxxxxxxxxxxxxx
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