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[InetBib] Spitzenstücke aus der Schweinfurter Bibliothek Otto Schäfer...



Die Verbringung dieses Bestandes nach Bayern ändert nichts am Umstand seiner 
absoluten Schutzwürdigkeit. Ich habe dazu Anfang Dezember auf Wunsch des 
Hamburger Staatsarchivs folgendermaßen Stellung genommen:

"... wie gewünscht möchte ich zu der Frage Stellung nehmen, in welchen Fällen 
die Abwanderung der in der Liste aufgeführten Stücke einen wesentlichen Verlust 
für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde, wobei ich mich 
zuständigkeitshalber nur auf die Nummern 2-69 der Liste (Inkunabeln) beziehe 
(1.-3.). Darüber hinaus ein Hinweis und eine Empfehlung (4., 5.).

1.) Die große Mehrzahl der aufgeführten Inkunabeln läßt sich ohne Weiteres als 
besonders bedeutsam erkennen, z.T. ist den Stücken ein herausragender 
wissenschaftlich-kultureller Rang zuzumessen. Dies gilt aufgrund des Alters für 
die Nummern 2 und 3 (Gutenberg-Bibel/Schöfferdruck von 1457, auch wenn jeweils 
nur Fragmente), aufgrund ihres Unikatcharakters für Nr 51 und 66, aufgrund der 
historischen Textzusammenstellungen für Sammelbände wie Nr 22, 49 und 50. Die 
Nr 22 beispielsweise ist eine Symbiose von z.T. extrem seltenen, 
deutschsprachigen, illustrierten Erzähltexten, wie es sie in dieser Form kein 
zweites Mal geben dürfte. Auch die überwiegende Mehrheit der anderen 
aufgeführten Stücke ist aufgrund ihrer Illustrationen und ihres Charakters als 
volks- und vor allem deutschsprachige Erzeugnisse des frühesten Buchdrucks als 
schützenswert einzustufen.

2.) Auch wenn es sich bei den aufgeführten Stücken letztlich nicht um eine 
„historisch“ gewachsene Sammlung im eigentlichen Sinne handelt – obwohl sie 
bibliophile Sammlungstendenzen im Nachkriegsdeutschland in exemplarischer Form 
abbildet, was ihr einen Quellenwert ganz eigener Art verleiht – und die 
Bibliothek Schäfer bereits seit langem den Ausverkauf der von ihrem Gründer mit 
großer Sorgfalt gesammelten und durch wissenschaftliche Publikationen 
erschlossenen Inkunabelzimelien betrieben hat, muß dieser „Restbestand“, der 
selbst als solcher einen kulturellen Wert von unschätzbarer Dimension hat, als 
einzigartiges Ensemble betrachtet werden, dessen geschlossene Bewahrung und 
Erhaltung in Deutschland aus meiner Sicht dringend erforderlich ist.

3.) Die Zerschlagung der Sammlung würde für die verschiedenen an ihr 
interessierten Wissenschaftszweige (Buchwissenschaft [mit Inkunabel- und 
Einbandkunde], Germanistik, Kunstgeschichte u.a.) einen erheblichen 
Informations- und Quellenverlust bedeuten. Ein Beispiel: Der Gesamtkatalog der 
Wiegendrucke, der sich in seiner gedruckten Form und in seiner Online-Datenbank 
immer wieder auf in der Liste aufgeführte Exponate bezieht (recherchierbar: 
www.gesamtkatalogderwiegendrucke.de, Allgemeine Recherche mit Suchwort 
„BSchäfer“ in dieser Schreibweise), sähe sich zu umfangreichen Änderungen im 
Detail und zu komplizierten Verbleibsrecherchen gezwungen, wenn die Sammlung 
außer Landes gebracht und zerstreut werden würde, was mit großer Sicherheit zum 
Verschwinden vor allem der bedeutendsten Stücke in privaten Sammlungen führt. 

4.) Es ist darauf hinzuweisen, daß über zwei Dutzend Inkunabeldrucke der 
Bibliothek Schäfer (und zahlreiche andere Spitzenstücke), darunter etwa der 
bemerkenswerte Sammelband Nr 50, auf Kosten der öffentlichen Hand digitalisiert 
wurden. Die Digitalisate werden ebenfalls vom Münchener Digitalisierungszentrum 
vorgehalten (siehe 
http://www.digitale-sammlungen.de/index.html?c=sammlungen&kategorie_sammlung=2&l=de).

5.) Ich empfehle dringend eine zeitnahe Veröffentlichung der gesamten Liste in 
der uns vorliegenden Form im Internet und bin gerne bereit, weitere 
Informationen (z.B. fehlende GW-Nummern) vorab beizusteuern.

Fazit: Die Abwanderung der Sammlung würde einen wesentlichen Verlust für den 
deutschen Kulturbesitz bedeuten. Die Sammlung ist aus meiner Sicht als 
schutzwürdig einzustufen und sollte als Ensemble in Deutschland erhalten 
bleiben."

Dr. Falk Eisermann
Referatsleiter
Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Gesamtkatalog der Wiegendrucke / Inkunabelsammlung 
Unter den Linden 8 
D-10117 Berlin (Mitte) 
Tel. +49 (0)30 266 435 150
Fax +49 (0)30 266 335 155
 
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Klaus 
Graf
Gesendet: Mittwoch, 7. Januar 2015 16:24
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: [InetBib] Spitzenstücke aus der Schweinfurter Bibliothek Otto Schäfer 
verscherbelt

Im Portal Kulturgutschutz Deutschland ist seit November 2014 ein merkwürdiger 
Eintrag "Kolorierte und illustrierte Handschriften und Drucke" einsehbar, der 
die vorläufige Eintragung eines Konvoluts von 194 Einheiten in das Hamburger 
Länderverzeichnis des national wertvollen Kulturguts betrifft: "Handschriften 
und Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts mit z.T. kolorierten Holzschnitten und 
Kupferstichen illustriert, verschiedentlich reich in Holz oder Leder gebunden; 
Drucker u.a. Gutenberg aus Mainz, Sorg aus Augsburg, Reger aus Ulm, Grüninger 
aus Straßburg, Lotter aus Wittenberg und Feyerabend aus Frankfurt". Bis auf 
eine kurze Notiz in Archivalia blieb dieser durchaus brisante 
Verwaltungsvorgang in der Öffentlichkeit unbemerkt. Die detaillierte Liste der 
Objekte mit 199 Positionen sei in den Akten der Freien und Hansestadt Hamburg, 
Kulturbehörde – Staatsarchiv (Az. ST6341/01) einzusehen. Der zuständige 
Sachbearbeiter Thomas Schmekel im Staatsarchiv Hamburg hat mir noch im November 
bestätigt, dass die Liste öffentlich sei und mit einer Publikation wohl im 
Hamburger Transparenzportal zu rechnen. Diese Veröffentlichung ist aber nie 
erfolgt, und nun war zu erfahren, dass die Bände nach Bayern transportiert 
wurden und München daher zuständig sei.

Welche Schätze der an eine Hamburger Spedition und den bekannten 
Handschriftenantiquar Jörn Günther gerichtete Bescheid vom 18. November 2014 
betrifft, zeigt der Download
(PDF) der Liste. Jedem Kenner ist klar, dass die Annahme der Hamburger Behörde, 
es handle sich um Stücke aus dem Museum Otto Schäfer in Schweinfurt, 
offenkundig zutreffend ist. Es geht um die Zimelien der einzigartigen Sammlung, 
wobei das umfangreiche Fragment der Gutenberg-Bibel nur die bedeutendste der 
knapp 70 Inkunabeln ist. Die meisten der in einem Bericht über den Besuch der 
Pirckheimer-Gesellschaft in Schweinfurt erwähnten Spitzenstücke sind vertreten. 
Nr. 1 ist etwa eine niederösterreichische Sammelhandschrift aus dem Katalog 
Drucke, Manuskripte und Einbände des 15. Jahrhunderts. Bearbeitet von Manfred 
von Arnim (1984), Nr. 372. Nr. 146 ist das bekannte Beutelbuch der Katharina 
Röder aus Kloster Frauenalb von 1540. Nr. 119 ist eine der Forschung 
anscheinend unbekannte Handschrift "Ebran v. Wildenberg: Chronik der Herzöge 
Andreas v. Regensburg: Chroniken der Fürsten aus Bayern" (in einem 
Ottheinrich-Einband).

Man darf durchaus von einem "Ausverkauf" der Sammlung Otto Schäfer sprechen, 
die bereits durch erhebliche Verkäufe 1994/95 dezimiert worden war (siehe 
Fabian-Handbuch). Auch bei den exemplarisch im Fabian-Handbuch der historischen 
Buchbestände erwähnten bedeutenden Buchtiteln zeigt sich eine große 
Übereinstimmung mit der Hamburger Liste. Das angehaltene Konvolut sei "eine 
wirklich aufregende, mit größter Kennerschaft zusammengetragene Sammlung, die 
im Land und zusammen bleiben muß", meinte ein Experte mir gegenüber.

Das Vorgehen des Eigentümers Otto G. Schäfer (Sohn des namengebenden Sammlers), 
der die Spitzenstücke seiner öffentlich zugänglichen Sammlung klammheimlich 
Jörn Günther verkaufte, darf man durchaus skandalös nennen. Dazu passt, dass 
Schäfer mich am Telefon angelogen hat, als ich mich als betroffener 
Wissenschaftler nach einem der auf der Liste stehenden Bände erkundigte, 
nämlich nach der Nr. 4 mit Richenbach-Einband, der dem Schwäbisch Gmünder 
Kleriker Jörg Ruch gehörte, über den ich im Internet 2002 einen kleinen Artikel 
publiziert hatte. Auch als ich vorgab, ein Verkaufsgerücht gehört zu haben, tat 
Schäfer so, als befände sich der Band nach wie vor im Gewahrsam der Bibliothek.

Wir brauchen dringend eine öffentliche Diskussion über die Liste national 
wertvollen Kulturguts, die ich als virtuelle Kunst- und Wunderkammer der 
Bundesrepublik Deutschland bezeichnet habe, über die man sich nur wundern kann. 
Man muss den Mut anerkennen, mit dem das Hamburger Staatsarchiv erstmals ein 
solches Transportgut bei der Ausfuhr aus der EU (Günther hat sein Antiquariat 
ja in die Schweiz verlegt) mit einer vorläufigen Eintragung angehalten hat. 
Grundlage war der nach der EG-Verordnung über die Ausfuhr von Kulturgütern 
gestellte Antrag. Die vorläufige Eintragung soll der Prüfung dienen, ob es sich 
um national wertvolles Kulturgut handelt. Hamburg war überzeugt, dass 
mindestens einige Stücke definitiv national wertvolles Kulturgut darstellen und 
hat daher die vorläufige Unterschutzstellung veranlasst. Da Bayern nicht für 
seinen Mut gegenüber dem Kunsthandel bekannt ist, bewegliche Kulturgüter dreist 
vernachlässigt und die Bayerische Staatsbibliothek als maßgebliche Fachbehörde 
nach meinen Erfahrungen ebenfalls keinerlei Interesse an Kulturgutschutz hat, 
wird man die Rückverlagerung nach Bayern als "schmutzigen Trick" werten dürfen. 
Kulturgüter sind einmal mehr Opfer des deutschen Föderalismus!

Zum Interesse der Wissenschaft an Kulturgütern in privater Hand habe ich mich 
in meinem Beitrag "Nachruf auf die Bibliothèque Internationale de Gastronomie 
in Lugano" ausführlicher geäußert. Dass es sich bei der Schweinfurter 
Bibliothek Otto Schäfer um eine unikale Kollektion handelt, die ebenso wie eine 
weltweit einzigartige Käfersammlung unbedingt auf der bayerischen Liste des 
national wertvollen Kulturguts stehen müsste, erscheint mir sicher. Auf den 
Schutz solcher wirklich hochrangiger Gesamtheiten aber pfeift der Freistaat: 
Hat er doch im März 2014 aus der berühmten Pommersfeldener Bibliothek nur eine 
willkürlich anmutende Auswahl von Handschriften vorläufig auf die Liste gesetzt.

Im Interesse der Wissenschaft müsste ein möglichst vollständiger Ankauf der 
jetzt angehaltenen Schweinfurter Stücke (bzw. weiterer Bestände der Bibliothek 
Schäfer) für eine öffentliche Sammlung etwa durch die Kulturstiftung der Länder 
finanziert werden.

Die vor allem mit Stiftungsgeldern ins Werk gesetzte Digitalisierung 
ausgewählter Bücher der Bibliothek Schäfer durch das Münchner 
Digitalisierungszentrum betraf nicht wenige der Werke des verkauften Konvoluts. 
Aber eben nicht alle. Der beträchtliche Schaden für die Wissenschaft wäre 
geringer, wenn die verscherbelten Pretiosen komplett digitalisiert vorliegen 
würden.

Die Schweinfurter Bibliothek geriert sich als ehrenwerte und seriöse 
Institution, getragen von einem als "Stiftung" bezeichneten eingetragenen 
Verein, der aber vermutlich nur das abnickt, was der Vereinsvorsitzende Otto G. 
Schäfer will. Öffentliche und kirchliche Schweinfurter Büchersammlungen 
befinden sich inzwischen als Leihgaben in der Bibliothek. Dass man in 
intransparenter Weise und offenkundig ohne Information der bayerischen Behörden 
die herausragenden Zimelien verkauft hat, zeigt, wie wenig ehrenwert und seriös 
das Museum Otto Schäfer in Wirklichkeit agiert. 

Klaus Graf

Version mit Links:
http://kulturgut.hypotheses.org/413

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