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Re: [InetBib] Hashtag Erschließung: 2 Anmerkungen



Am 2015-03-05 17:30, schrieb Margarete Payer:
Lieber Herr Umstätter,

 2 Anmerkungen zu Ihrem ersten Absatz bezüglich der Formalerschließung:

 was meinen Sie mit der Aussage, dass die moderne formale Erschließung
eine Frage der semantischen Erfassung des verlagsrelevanten Copyrights
ist?

Und sprechen Sie vom 19. Jahrhundert, wenn Sie von der Erfassung früherer
Zeit reden und eigentlich von Inventarlisten sprechen? (Beleg, welche
Dokumente, für wie viel Geld, wann erworben wurde). Auf traditionellen
Katalogisaten findet man keine Erwerbungsdaten und lange Zeit war es gemäß
dem deutschen Regelwerk nicht üblich die Kosten anzugeben.
Formalerschließer bieten schon seit langem für die Nutzer hilfreiche
Informationen, die über das hinausgehen, was in den Ressourcen selbst
angeboten werden. Ein Blick in die Normdateien sollte überzeugen.

Schöne Grüße
Margarete Payer


Liebe Frau Payer,

Ihre Frage ist natürlich berechtigt, nachdem das Wort Semantik im Internet bei vielen Autoren die merkwürdigsten Assoziationen auslöst, und der Zusammenhang mit der Semiotik nur fragmentarisch bekannt ist (Zwischen Informationsflut und Wissenswachstum S. 167). Was ich hier meine, nur in Kürze und möglichst einfach erklärt.

Wenn jemand in Google Margarete Payer eingibt, findet man diese Zeichenkette in allen möglichen Zusammenhängen. Würde eine Formale Erfassung dagegen Payer, Margarete <Urherber> Grundlagen der Formalerschließung <Titel> … genormt sein, könnte ein entsprechendes Computerprogramm auf die Frage: Was hat Margarete Payer publiziert, problemlos mit „Grundlagen der Formalerschließung“ ... antworten. Im Prinzip macht Google das ja entsprechend bei der Frage „100 Schweizer Franken in Euro?“ und das ist ja auch schon seit Jahren das Ziel des Semantic Web und nun auch von Knowledge Vault.

Bei der Frage: Wer ist Walther Umstätter?, fühlte ich mich bei Google sehr geehrt, als ich sah, wer da unter „Wird auch oft gesucht“ angeboten wird ;-) Aber so kann man nun immer mehr direkt suchen, und bekommt brauchbare Antworten.

Aber das zeigt auch, dass diese Art von Semantik voranschreitet, und es kein grundsätzliches Problem gibt, zu jedem Werk alle verbindlichen Rechte zuzuordnen, und genau dazu braucht man genormte Dateien, damit die Computer sie richtig interpretieren können. Die Alternative ist natürlich, dass intelligente Programme sich ihre eigenen Normdateien dazu selbst aufbauen.

Mein Rückblick bezüglich der formalen Erfassung bezog sich ein wenig auf den Hinweis Göderts, dass es durchaus wichtig sein kann, sich auch auf die Wurzeln der eigenen Disziplin zu besinnen. Natürlich hat es in dieser Entwicklung nicht erst jetzt eine Evolution gegeben. Herr Gödert hatte ja auch schon einiges angedeutet. So erinnere ich mich ja auch noch gut an die Revolution bei den COM-Katalogen und die damit verbundenen Katalogisierungsanpassungen - obwohl ich sie damals für weitgehend obsolet hielt, weil die fortschreitende Digitalisierung 1991 deutlich erkennbar war (www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/pub64.html). Aber Sie haben völlig Recht. Schon beim Beginn der Online-Revolution wurde rasch deutlich, dass jede Formalerfassung auch wichtige Elemente für die inhaltliche Recherche hat. Wenn ich heute Garfield und Uncitedness suche, habe ich in Google längst eine Art Citation Index.

MfG

Walther Umstätter



Lebe Listenteilnehmer/innen,

W. Goedert hat berechtigt einen neuen Anstoß zu einer Diskussion
gegeben, die im Prinzip schon seit Jahrzehnten läuft, seitdem sich die
Digitale Bibliothek Bahn brach
(www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/BAK14b_Vortrag.pdf). Sicher richtig
ist dabei die Präzisierung auf die zentrale Frage der Erschließung,
wobei ich weiterhin der Meinung bin, dass sich viele Bibliothekare nicht
bewusst machen, dass die moderne formale Erschließung weit mehr eine
Frage der semantischen Erfassung der verlagsrelevanten Copyrights ist,
als die Erfassung von Bibliotheksbeständen früherer Zeit, als es darum
ging, belegen zu können, welche Dokumente, für wie viel Geld, wann
erworben wurden. Juristisch ein großes Problem, seit dem Verlage, ihre
Produkte zunehmend nur noch verleihen und nicht verkaufen. Dass damit
die Bibliotheken über weite Strecken juristisch enteignet wurden, ist
eine echte Bedrohung ihrer Existenz. Die Zielvorstellung dürfte sein,
dass die Verlage ihre Verwertungsrechte für jedes Buch, jeden
Interpreten, etc. im Internet automatisch erfassen und einfordern
wollen.

Auch der Verweis, beispielsweise auf Ranganathan, ist aus meiner Sicht
insofern besonders bemerkenswert, weil gerade bei ihm deutlich wurde,
dass es in der bibliothekarischen Knowledge Oranization schon damals um
den Wechsel von der Erschließung selbstständiger Dokumente bis hin zu
Wissenselementen (In meiner Diktion: Information mit ihrer Begründung)
geht. Im Prinzip waren Bibliothekare, insbesondere in der sachlichen
Erschließung, seit der Alexandrinischen Bibliothek Wissensorganisatoren.
Nun geht es darum, in der digitalen Welt, dies auch zu realisieren.

Wenn Goedert darauf hinweist: „In vielen Suchumgebungen wird man als
suchender Nutzer mit Verfahren des automatischen Indexierens
konfrontiert, ohne ein Chance zu besitzen, hinter die Kulissen schauen
zu können. Prominentestes Beispiel ist natürlich Google.“ spricht er
auch insofern das zentrale Problem an, weil es einerseits sehr schwierig
ist ein geheim gehaltenes System, dass sich permanent ändert, um dem
Missbrauch soweit wie möglich zu entgehen, zu analysieren. Andererseits wächst die Gefahr, dass auch Informationsspezialisten auf diesem Gebiet
so weit von der heutigen search front (Knowledge Vault) entfernt sind,
dass viele gar nicht mehr merken, wie Laienhaft ihre Kritik an Google
oft ist
(www.newscientist.com/article/mg22329832.700-googles-factchecking-bots-build-vast-knowledge-bank.html#.VPdIsvmG-ho).
Das zeigen auch etliche usability Befragungen.

Wenn ich lese: „Das wäre dann wirklich das Ende…“ (Berger) oder „Der
Letzte macht das Licht aus!“ (Goedert), dann teile ich diese Sorge
ebenso, und meine, die Aus- und Fortbildung von heute entscheidet über
die Zukunft der Informationsspezialisten!

Ich teile auch die Zweifel, dass die hier angestoßene Diskussion,
inhaltliche Fortschritte bringt. Trotzdem wird sie immer dringlicher.
1. Weil die bisherige langjährigen Erfahrungen auf diesem Gebiet bislang
noch wenig Hoffnung gaben.
2. Weil in solchen Situationen oft hundert Expert/innen zweihundert
divergente Vorschläge zur Lösung anbieten.
3. Weil die Kollegin E. Poetzsch in einem Interview (in PASSWORD 6/2013,
S. 6) richtig anmerkte: „Es mangelt an Visionen … und vor allem an
Menschen mit Charisma“. Wobei ich nur ergänzen kann, die deutschen
Information Professionals brauchen aber auch die Fähigkeit, ein solches
Charisma bei den richtigen Visionären zu erkennen.
Es mag sein, dass so manchem Bibliothekar, diese Diskussion schon auf
die Nerven geht, und dass sie nicht nur G. Stumpf in o-bib als endlose
„Berufsbild-Debatte“ empfindet. Ich befürchte aber, dass uns hier eine
Analyse des ist-Zustandes mit „anforderungsgerechten Tätigkeiten“ nicht
mehr weiter hilft (www.o-bib.de/article/view/2014H1S314-318).

Nein, es ist richtig, es ist nicht die Zeit die „eigene Überflüssigkeit unter Beweis zu stellen“, und das betrifft nicht nur die Bibliothekare,
sondern auch das was man im letzten Jahrhundert IuD (Information und
Dokumentation) nannte, wobei die sogenannte Dokumentation bekannterweise
schon weitgehend abgewickelt worden ist, obwohl gerade sie für die
modernisierte inhaltliche Erschließung bekannt wurde.

MfG

Walther Umstätter



Am 2015-02-27 09:32, schrieb Winfried Gödert:
Liebe Inetbib-Listenleser,

die Beobachtung der aktuellen Entwicklung im Bereich
Formalerschließung hat den Anstoß gegeben, eine Reflexion über die
Einstellung der bibliothekarischen Profession zum Themenfeld
Erschließung anzustellen. Den Inhalt des resultierenden Artikels mit
dem Titel „Hashtag Erschließung“ fand eine deutsche Zeitschrift zwar
interessant, den Manuskriptumfang von 16 Seiten für einen Abdruck aber
zu groß. Um möglichen Interessenten einen Zugang zum Text und ggf.
eine Diskussion der Argumente zu ermöglichen, habe ich den Beitrag im
E-LIS Repository eingestellt. Die Adresse lautet:

http://eprints.rclis.org/24643/

Viele Grüße

Winfried Gödert


--
Prof. Winfried Gödert
Fachhochschule Köln
Institut für Informationswissenschaft
Claudiusstr. 1
D-50678  Köln
Postanschrift:
Gustav-Heinemann-Ufer 54
50968 Köln
Tel.: +49 221 8275 3388 (-3376)
Fax: +49 221 82753351
Email: winfried.goedert@xxxxxxxxxxx
Privat: Wasser 3a, D-51491 Overath, Tel.: 02206 858195

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