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Re: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?




Lieber Herr Delin,

vielen Dank noch einmal für die Ausführungen. Der FAZ-Satz 

"Weltweit fallen die Ausleihzahlen, Stellen werden gestrichen, Öffnungszeiten 
reduziert und Etats gekürzt." müsste demnach umgedreht werden "Weltweit werden 
Etats gekürzt, Öffnungszeiten reduziert, Stellen gestrichen und fallen die 
Ausleihzahlen".
Das ist natürlich ein wichtiger ein Aspekt des komplexen Problems.
ich sehe die Bibliothek aber auch als Ort - als Ort des Aufbewahrens von 
Informationsträgern, als Ort des Findens von Informationen, als Ort des 
Austauschs und der Kommunikation zwischen Menschen und Menschen sowie Menschen 
und Informationsträgern, als Ort des Aufenthalts, als Ort des Lernens und als 
geschützten Ort.
In unserem Kulturraum scheint gerade bei jungen Menschen letzteres an Bedeutung 
zu gewinnen. Die virtuelle Welt ist in Zeiten, da eine Verteidigungsministerin 
von Cyber War und ein Justizminister von Strafverfolgung bei Facebook spricht 
keine Option mehr für das Bedürfnis nach Lesen und Lernen und Kommunikation in 
geschützten Räumen. Ich sehe, wie meine Benutzer und Benutzerinnen sehr genau 
auswählen, was sie digitalisieren und auf die notwendigen virtuellen 
Plattformen bringen. Da wir im Rahmen unserer Einrichtung und ihrer Bibliothek 
nur sehr begrenzt Publikationen sammeln und bewahren können, würde ich mir 
wünschen, die einschlägigen Bibliotheken der Stadt würden dies tun. Wir sind 
als Bibliothek in der Ausbildungseinrichtung wirklich eher Arbeitsort und 
Vermittlerin zu den Angeboten der weiteren Bibliotheken.
Und zur Frage, was bleibt, wenn die Originale vernichtet werden, fällt mir nur 
eines ein: die Kopien und die Verzeichnisse. 

Viele Grüße aus Berlin




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Jana HaaseAm Friedrichshain 19 c10407 BerlinTel. 030 441 50 84

----- ursprüngliche Nachricht ---------

Subject: Aw: Re: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?
Date: Mo 05 Okt 2015 22:41:25 CEST
From: Peter Delin<peter.delin@xxxxxx>
To: Haase Jana<haase.jana@xxxxxxxxx>

Liebe Frau Haase,

 

Sie schreiben:

"Weltweit fallen die Ausleihzahlen, Stellen werden gestrichen, Öffnungszeiten 
reduziert und Etats gekürzt.". So ist es und es ist doch längst an der Zeit 
dieser Realität ins Auge zu sehen.

 

Stimmt das denn wirklich? Ich glaube, der Autor des FAZ-Artikels irrt sich da. 
In der Zentral- und Landesbibliothek Berlin zum Beispiel ist das Gegenteil der 
Fall, und zwar wegen der guten Kulturpolitik des Berliner Senats (wohingegen 
die Personalpolitik eine Katastrophe ist). Der Etat wurde nicht gekürzt, die 
Stellenzahl wurde nicht reduziert, die Öffnungszeiten wurden erweitert und das 
Publikum ist begeistert vom vielfältigen Medienangebot. Deshalb sind die 
Ausleihzahlen weiterhin hoch, obwohl die neue Leitung den Freihandbereich um 
ein Drittel verkleinert hat, sehr zum Ärger des Publikums.

 

Wenn man das Richtige tut, sind Bibliotheken erfolgreich. Sie werden gebraucht 
und sind beliebt, wenn das Angebot stimmt. Das sieht man auch in den Berliner 
Bezirksbibliotheken. Die Bezirksbibliothek Steglitz-Zehlendorf hat im letzten 
Jahr über 2 Mio. Ausleihen erreicht und ist damit der Spitzenreiter in Berlin, 
nicht die beiden BIX-Bibliotheken Mitte und Spandau.

 

Entscheidend ist, dass man den Wünschen des Publikums folgt, und da spricht die 
NuMob-Umfrage in Berlin eine deutliche Sprache. Die Leute wollen in den 
öffentlichen Bibliotheken vor allem Medien ausleihen. Ausleihzahlen allein 
sagen selbstverständlich nichts aus. Die kann man auch mit Lesefutter und 
populären Nonbooks erzielen. Es kommt auf die Qualität des Angebots an. Wenn 
die hoch ist und die Ausleihzahlen ebenso, ist das ein Erfolg für eine mit 
Steuermitteln finanzierte Bibliothek. Dann hat sie zur Vermittlung von Kultur 
und Wissenschaft eine großen Beitrag geleistet.

 

Aarhus ist keine gute Bibliothek. Das neue Konzept dort hat, was wenig bekannt 
ist, auch seinen Grund darin, dass der Etat  seit den Achtziger Jahren nicht 
erhöht worden ist und Personalkürzungen hingenommen werden mussten. Heute kann 
man den größten Teil der Bücher in Aarhus nur noch digital bekommen, was ja 
billiger ist und viel Personal spart. In Deutschland wünscht sich das aber nur 
eine Minderheit der LeserInnen, wie der Buchmarkt zeigt (2014 
Ebook-Umsatzanteil 4,3% (!) am Publikumsbuchmarkt, privater Bedarf, ohne Schul- 
und Fachbücher).

 

Die Bibliothekskonzepte von Aarhus und auch von Amsterdam (banaler Bestand von 
Biblion, der niederländischen EKZ) sind eine Katastrophe, weil sie der 
nichtakademischen Bevölkerung die Ressourcen entziehen und nur noch ein 
verflachtes Einheitsangebot  vorhalten.  Man muss sich m. E. hüten, immer den 
neuesten Trends hinterherzulaufen, die von Gurus ausgerufen werden. Oberste 
Richtschnur müssen die Interessen der Leser sein und sie müssen bei allen 
Planungen beteiligt werden. Das ist in Berlin bei der ZLB im Gegensatz zu 
Aarhus leider nicht der Fall, was den Neubau und was die geplante Zerstörung 
des bewährten Bestandsprofils durch Volker Heller und Jörg Arndt betrifft. Und 
der Landesverband Berlin des DBV hat das ja mit Kräften unterstützt.

 

Noch ein Wort zum Filmbereich der ZLB. Im neuesten Gutachten des 
Preusker-Preisträgers Konrad Umlauf zur ZLB ist praktisch die Abwicklung des 
Filmbereichs geplant. Als Zugang pro Jahr sind von ihm nur noch knapp 2.000 
Filme vorgesehen, halb so viel wie bisher- weil man Lektoratsstellen sparen 
will. Damit wird dieses einmalige Angebot ruiniert. Das Publikum der Bibliothek 
wird das nicht akzeptieren, wenn es überhaupt davon erfährt. Es hat also nicht 
einmal die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen. Wir haben hier eine völlig 
undemokratische Planungs- und Leitungskultur, die das Publikum bewusst 
ausschließt und ganz offenkundig gegen seine Interessen handelt. Das kann nicht 
gut gehen.

 

Viele Grüße

Peter Delin

 

 

Peter Delin

Ringstraße 100

12203 Berlin



Tel.: 030/81305675

Mobil: 015787311689

Mail: peter.delin@xxxxxx

https://dvdbiblog.wordpress.com/

 
 

Gesendet: Montag, 05. Oktober 2015 um 20:34 Uhr

Von: "Haase Jana" <haase.jana@xxxxxxxxx>

An: "Peter Delin" <peter.delin@xxxxxx>

Betreff: Re: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?

Liebe Kollegen,



In dem Artikel steht "Weltweit fallen die Ausleihzahlen, Stellen werden 
gestrichen, Öffnungszeiten reduziert und Etats gekürzt.". So ist es und es ist 
doch längst an der Zeit dieser Realität ins Auge zu sehen. Bibliotheken, die 
sich mit der Zeit entwickelt haben, bestehen aber weiter. Es gibt in der Welt 
außerhalb der Bibliotheken ja auch folgende Realität "Weltweit wachsen die 
Großstädte, Mieten steigen, junge Menschen teilen sich zu dritt ein Zimmer, 
mehr Menschen besitzen Riesenbildschirme und Mobiltelefone, immer weniger 
Menschen besitzen einen eigenen PC, es gibt keine kostenfreien Orte für 
Jugendliche zum Aufhalten oder Lernen mehr....". Es gibt genug zu tun für 
Bibliotheken und das hat immer noch viel mit Information und Kultur und Bildung 
zu tun. Es ist an der Zeit, Ausleihzahlen nicht mehr zum Kriterium für die 
Rentabilität einer Bibliothek zu nehmen. Wir brauchen neue Kennziffern, 
multiprofessionelle Teams und mehr Etat für Neugestaltung und Medien.



Andererseits frage ich mich aber auch, warum Bibliotheken keine Schallplatten 
aufgehoben haben - die Menschen würden ihnen heute die Bude einrennen! warum 
Bibliotheken nicht die Bestände der ganzen geschlossenen guten Videotheken 
übernommmen haben - die letzte und einzige ordentliche Videothek in Berlin ist 
die AGB und hoffentlich bleibt sie das auch. Es gibt tatsächlich Leute, die 
sowas suchen und die ich alle dorthin schicke. Zu kurzfristig sollten wir auch 
wieder nicht denken.



Viele Grüße aus Berlin









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Jana HaaseAm Friedrichshain 19 c10407 BerlinTel. 030 441 50 84



----- ursprüngliche Nachricht ---------



Subject: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?

Date: So 04 Okt 2015 22:39:33 CEST

From: Peter Delin<peter.delin@xxxxxx>

To: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx



Der Artikel ist jetzt freigegeben:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/themen/die-zukunft-der-bibliothek-das-dokk1-in-aarhus-13834316.html

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

eine empfehlenswerte Lektüre zum langen Wochenende findet sich in der FAZ von 
heute auf der  Seite 20: Das Blatt berichtet von der neueröffneten Bibliothek 
in Aarhus, über die ja schon viel gesprochen wurde. Der Autor Simon Strauss 
stellt in seinem Artikel "Und wo sind hier die Bücher? " am Beispiel Aarhus 
Fragen, die auch bei uns aktuell sind. Letztlich läuft es für ihn darauf 
hinaus, dass Bibliotheken bei einer Entwicklung wie in Aarhus nur noch für die 
Privilegierten da sind.

 

Der Artikel steht (noch) nicht frei im Netz.

 

Beste Grüße

Peter Delin

 

 

Peter Delin

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12203 Berlin



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