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Sehr geehrter Herr Zehnder,

Sie schreiben: “Ich sehe eher die wissenschaftlichen Verlage langfristig in Not,” Hier muss man sicher unterscheiden zwischen den Giganten und der Unzahl kleiner und Kleinstverlage. Am wenigsten sehe ich im Moment Google oder Amazon “in Not” ;-) Aber Sie haben insofern Recht, weil es auch den großen Verlagen gelungen ist, diese "Not" auch für sich in Anspruch zu nehmen, obwohl sie selbst auf Kosten der kleinen Verlage immer mächtiger wurden, so dass ihnen die Juristen immer mehr Rechte, bis zur Enteignung der Bibliotheken im Bereich der digitalen Medien eingeräumt haben.

Interessanterweise begann es damit, dass die wissenschaftlichen Verlage schon vor Jahrzehnten behaupteten, es gäbe ein Zeitschriftensterben, obwohl statistisch auf zwei neue Zeitschriften nur eine zugrunde ging. Das heißt, wir hatten ein ungebrochenes Wachstum - insbesondere bei digitalen Zeitschriften. Dummerweise haben dieses Lied des Zeitschriftensterbens auch die meisten Bibliothekare kritiklos mitgesungen, anstatt als kompetente Informationsspezialisten den Betrug aufzudecken.

Was die Open Access Bewegung betrifft, so ist es den Verlagen längst gelungen, auch diese an sich zu ziehen, in dem sie dreist behaupten durch ihr Peer-Reviewing-System diejenigen zu sein, die als einzige die Qualität der Wissenschaft sichern, und in dem sie sich das Geld nun immer öfter von den Autoren holen. So lange sich die Universitätsbibliotheken gezwungen sehen, den Forderungen der Verlage nachzukommen (s. Diskussion über geheime Verhandlungen mit Elsevier) holen sie sich dort noch einmal so viel Geld wie möglich.

Bezüglich des bibliometrisch messbaren beruflichen Erfolgs, ist zu sagen, dass wir zu viele Laien in der Szientometrie haben, die mit veralteten und auch falschen Vorstellungen mit diskutieren. Natürlich könnte sich das Blatt für die Bibliotheken rasch auch wieder wenden, aber dazu bedarf es einer fundierten Argumentation den Juristen gegenüber. Dagegen habe ich bisher den Eindruck, dass viele Bibliothekare noch gar nicht begriffen haben, in wie hohem Maße die Digitale Bibliothek bereits enteignet worden ist. Die meisten Informationsspezialisten sind bibliometrisch und informationstheoretisch unzureichend ausgebildet, weshalb wir dringend zeitgemäße Lehrbücher und entsprechende Studienabschlüsse brauchen, um Zukunftsfähig zu sein.

MfG

Walther Umstätter


Sehr geehrter Herr Professor Umstätter,

vielen Dank für Ihre faktenreiche Antwortmail. Sie sprechen eine
Zukunftsgefahr an, weil Privatverlage den Bibliotheken Aufgaben wegnehmen.

Ich sehe eher die wissenschaftlichen Verlage langfristig in Not,

nicht nur wegen der dort stattfindenden Konzentration, was irgendwann
aus wettbewerblichen Gründen meines Erachtens eine binnenpluralistische
"demokratische" Struktur der entsprechenden Verlage verlangt oder einen
gesetzlich geregelten Zugang zu Verlagsangeboten und Verlagsleistungen,
wobei diese Regelungen international möglicherweise auch durch Verträge
zustande kommen könnte,

sondern vor allem wegen der Open Access-Bewegung und dem Aufkommen von
Eigenverlagen der wissenschaftlichen Bibliotheken, welche sicherlich bei dem angestrebten Erfolg eine langfristige Konkurrenz für die etablierten
wissenschaftlich publizierenden Verlage sein werden. Die
Max-Planck-Gesellschaft will bekanntermaßen möglichst sämtliche
wissenschaftliche Publikationen in die open access- Wege leiten, was
bedeutet, dass die kommerziellen privaten Verlage wissenschaftliches
Publizieren irgendwann "abschreiben" können.

Wenn es also zwischen den Privatverlagen und den wissenschaftlichen
Bibliotheken eine Konkurrenz gibt, dann braucht man nicht sehr
pessimistisch zu sein als Bibliothekar. Entscheidend sind hier natürlich
nicht nur die Kräfte des freien Marktes, sondern auch die
Positionierungen der öffentlichen Hand.  Open Access geht bisher nur,
wenn öffentliches Geld dafür fließt. Und die Publikationsmodelle sind
bisher nicht kommerziell, was aber auch meines Erachtens durchaus noch
für manche Publikationsbereiche irgendwann kommen könnte.

Es geht um Marktanteile, denn je größer die Marktanteile sind, umso mehr
sind Wissenschaftler geneigt, ihre Publikationen entsprechend zu
investieren, denn bei wissenschaftlichen Publikationen handelt es sich
um eine Investition in mannigfacher Hinsicht. Nicht zuletzt was das
Renommee eines Wissenschaftlers angeht. Je größer der
Verbreitungsbereich seiner Publikationen, und umso bedeutsamer zugleich
das Publikationsorgan im wissenschaftlichen Diskurs, umso bedeutender
sein bibliometrisch meßbarer beruflicher Erfolg.

Ich wollte dies nur mal in die Waagschale werfen, wenn man Privatverlage
am "Gewinnen" und Bibliotheken "auf dem Rückzug" sieht. Je breiter
angelegt die open access- Bewegung ist, umso zukunftsfähiger ist dieser
"Markt" für Bibliotheken. Denn open access-Publikationen laufen über die
Bibliotheken.

Jedoch kann einem schon einmal "Fracksaußen" passieren, als
Bibliothekar, wenn bei manchen internationalen im Wissenschaftsbereich
tätigen Verlagen gestandene ehemalige renommierte Generale und
Verteidigungsminister die Chefs der Anteilseigner sind. Sie wissen
sicher, welche Firma ich dabei meine ;-).


Viele Grüsse

Klaus Zehnder


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.