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Re: [InetBib] PokemonGo-freie Zone in Nordenham



Lieber Herr Spliess,
 
nichts gegen Schnitzeljagden, aber PokemonGo ist nun einmal eine kommerzielle 
Sache 
http://www.stern.de/wirtschaft/news/pok%C3%A9mon-go-restaurant-profit-6950976.html
Vielleicht hilft hier die heutige Kolumne von Margarete Stokowski in Spiegel 
Online weiter 
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/pokemon-go-da-habt-ihr-eure-revolution-kolumne-a-1103637.html
 , die offenbar den Eindruck gewonnen hat, dass hier Jugendliche verscheißert 
werden.
 
Eine solche kommerzielle Sache widerspricht eigentlich der Idee eines sog. 
"Dritten Ortes", die ja durchaus gesellschaftliche Ansprüche formuliert:
" In his influential book The Great Good Place, Ray Oldenburg (1989, 1991) 
argues that third places are important for civil society, democracy, civic 
engagement, and establishing feelings of a sense of place" ( 
https://en.wikipedia.org/wiki/Third_place ) 
 
Wenn man diese Thesen Ernst nimmt, reicht Begegnung allein wohl nicht. Und 
Bibliothek sollte ja auch mehr sein als nur ein beliebiger Aufenthaltsort zum 
Kaffeetrinken oder Pokemons gucken.
 
Sie schreiben:
" Der 3. Ort ermöglicht auch ein informelles Zusammenkommen - und informelles 
Lernen findet übrigens auch in Spielen statt."
Mit PokemonGo? - Ich finde, dass ist zu wenig für den Anspruch, den 
Bibliotheken erfüllen sollten.
 
Die Idee des Dritten Ortes bedeutet für mich, dass unsere Gesellschaft 
rückhaltlos offene Institutionen braucht, die frei und allen zugänglich sind, 
dabei aber einen hohen Anspruch erfüllen, z. B. für die  allgemeine Bildung. 
Ein Beispiel dafür zeigt dieser französische Film, der mir sehr gefallen hat. 
Der Film hat jetzt nichts mit Bibliotheken zu tun, er kann aber beim Nachdenken 
darüber hilfreich sein, auch wenn der politische Aspekt selbstverständlich zu 
hinterfragen ist. Es geht hier um ein Experiment mit einer Universität in 
Frankreich.
 
"Vincennes" ist noch bis Ende Juli in der Mediathek von Arte abrufbar 
http://www.arte.tv/guide/de/059529-000-A/vincennes-die-revolutionaere-uni
 
Noch etwa zum Schluss: Nichts für ungut, aber das Wichtigste an einer 
Bibliothek sind selbstverständlich die Medien, sonst ist es keine Bibliothek. 
Das Publikum will das so, wie repräsentative Umfragen z. B. in Hamburg und 
Berlin nachgewiesen haben.
 
Schöne Grüße
Peter Delin
 
Peter Delin
Ringstraße 100
12203 Berlin

Tel.: 030/81305675
Mobil: 015787311689
Mail: peter.delin@xxxxxx
https://dvdbiblog.wordpress.com/[https://dvdbiblog.wordpress.com/]
 
 

Gesendet: Dienstag, 19. Juli 2016 um 12:40 Uhr
Von: "Christian Spliess" <christian.spliess@xxxxxxxxx>
An: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Betreff: [InetBib] PokemonGo-freie Zone in Nordenham
Guten Tag,

auf Facebook stieß ich über das Verbot von PokeomGo in der Stadtbibliothek
Nordenham. Begründet wird das mit der Furcht vor der Kommerzialisierung des
3. Ortes Bibliothek. Da die Bibliothek das gerne diskutiert hätte - meine
Gedanken dazu.

Bibliotheken wandeln sich von einem Ort, an dem Medien zum Wissenserwerb
gelagert sind immer mehr hin zu einem Ort, an dem man sich begegnet. Ich
nutze gerne das offene WLAN meiner Bibliothek vor Ort, kopiere dort, habe
aber keinen Ausweis. Ich bin dort, weil ich dort konzentriert arbeiten kann
- die Ausleihe von Medien steht für mich an letzter Stelle meiner
Bedürfnisbefriedigung.

Wenn wir jetzt uns anschauen, was in der BUB zum Thema 3. Ort steht -
online hier: 
http://b-u-b.de/die-bibliothek-als-dritter-ort/[http://b-u-b.de/die-bibliothek-als-dritter-ort/]
 - dann gibt es
einige Kriterien für diesen 3. Ort, der vor der Kommerzialisierung
geschützt werden soll. Dazu gehört unter anderem:

Ein neutraler Ort, wo man kommen und gehen kann. Niemand spielt Gastgeber,
alle fühlen sich zu Hause und wohl.
• Der Ort ist leicht zugänglich und einladend. Man
geht auch gerne allein hin.
• Er wirkt von außen einladend und hat ein niedriges (Zugangs-)Profil.
• Er ermöglicht ein informelles Zusammenkommen.

Das aber konterkariert genau das, was die Stadtbibliothek Nordenham zur
Zeit macht. Ein 3. Ort ist neutral - die Betreiber fällen keine Urteile
über das, was die Besucher machen. Die Bibliothek ist ein Ort, der ein
niedriges Zugangs-Profil hat - und das erreicht man nicht, in dem man
Verbotsschilder aufstellt. Der 3. Ort ermöglicht auch ein informelles
Zusammenkommen - und informelles Lernen findet übrigens auch in Spielen
statt.

Wenn die Bibliothek auch ein Lernort ist, so ist sie doch auch ein Ort an
dem der FUN - das Wort, das so verhasst zu sein scheint - stattfindet. Und
gleichzeitig ein Ort, an dem Spaß und Lernen gemeinsam stattfinden können.
Wenn Bibliotheken auch den Auftrag haben sich kritisch mit bestimmten
Dingen auseinanderzusetzen - dann sollten sie das natürlich tun. Sie
könnten anhand des Beispiels von PokemonGo - sofern sie das Spiel getestet
und ausprobiert haben - bei Jugendlichen das Interesse für Datenschutz, für
die Frage nach der Kommerzialisierung durchaus wecken.

Das aber wird schwierig, wenn die Zielgruppe, die man medienpädagogisch
begleitet, erstmal mit einem STOP-Schild ausgesperrt wird. Und es
entspricht auch nicht den Kriterien eines dritten Ortes. Jedenfalls meiner
Ansicht nach.

Ich würde mich freuen, wenn die Kollegen dezidiert und sachlich Stellung
nehmen könnten - zwar sehe ich ein, dass man nicht alle Facebook-Kommentare
lesen kann, aber bisher sehe auch auch hier leider keine richtige fundierte
Auseinandersetzung mit den Kritikern.

Grüße aus dem heißem Duisburg,

Christian Spließ


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