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[InetBib] :Artikel aus F.A.Z. Kiosk zum UrhWissG und anderen gesetzlichen Neuregelungen



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

den nachfolgenden, äußerst fragwürdigen Text möchte ich Ihnen nicht 
vorenthalten.

Mit freundlichen Grüßen 
Oliver Hinte


von unterwegs gesendet

Oliver Hinte







DIENSTAG, 12. SEPTEMBER 2017

MEDIEN

Digitale Demokratie, digitaler Rechtsstaat

Das neue Gesetz gegen Hass im Netz hat seine Berechtigung. Missglückt ist 
bislang die rechtliche Absicherung von Urhebern. Da ist noch einiges zu tun. 
Von Günter Krings und Ansgar Heveling

Ohne Frage ist das Internet das beherrschende Medium unserer vernetzten 
Welt. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Demokratie und 
Staatlichkeit? Viele preisen das Internet als basisdemokratisches Medium. 
Jedermann kann Informationen ebenso schnell wie unkompliziert beschaffen und 
überprüfen. Über Facebook, Twitter und Co. können User Meinungen kundtun und 
Gleichgesinnte finden, Kampagnen und Demonstrationen organisieren. Das 
Internet hat fraglos Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung und 
den demokratischen Prozess. Das ist weder per se schlecht noch falsch. 
Dieses digitale gesellschaftliche Leben braucht aber eine rechtsstaatliche 
Einhegung und Ordnung.

Für die Kommunikation in digitalen Netzen gelten prinzipiell die gleichen 
Regeln, die sich in der analogen Welt bewährt haben. Wir müssen sie nicht 
neu erfinden. Digitale Systeme setzen sie schon gar nicht außer Kraft. Gute 
Digitalgesetzgebung bewahrt das „gute alte Recht“ durch neue Instrumente und 
schützt so die Rechte der Bürgerinnen und Bürger.

Der Deutsche Bundestag hat in der 18. Wahlperiode zahlreiche Gesetze mit 
digitalem Bezug verabschiedet. In der letzten Sitzungswoche verabschiedete 
er das 3. Telemedien-Änderungsgesetz (W-Lan-Gesetz), das 
Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz (UrhWissG) und das 
Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).

Erklärter Anlass für die Änderung des Telemediengesetzes ist nach Auffassung 
der Bundesregierung die EuGH-Entscheidung aus 2016 in der Rechtssache 
McFadden (Az. C-383/14). Der EuGH hat entschieden, dass gewerbliche 
W-Lan-Netze verschlüsselt werden müssen, wenn über diese Netze zuvor schon 
Urheberrechtsverletzungen begangen worden sind. Die Entwurfsverfasser 
befürchteten daraufhin den Rückgang öffentlicher W-Lan-Angebote in 
Deutschland. So hat das SPD-geführte Wirtschaftsministerium eine neuerliche 
Änderung des TMG vorangetrieben. Das Gesetz stellt nun klar, dass 
W-Lan-Angebote „frei“ sein dürfen, das heißt kostenfrei und zugleich „frei 
von Einschränkungen“ wie Passwortsicherung oder anderen 
Identifizierungsmaßnahmen. Die Betreiber von W-Lan-Hotspots haften nicht 
mehr für Rechtsverletzungen, die aus ihrem Netz begangen werden. Das neue 
W-Lan-Gesetz setzt damit tragende Rechtsprinzipien außer Kraft und stellt 
schutzbedürftige Gruppen im Ergebnis rechtlos.

Aus technischen Gründen können Urheber und Kreative ihre Rechtsverletzer 
nicht direkt in Anspruch nehmen. Denn jeder Nutzer eines W-Lan-Netzes tritt 
im Internet mit derselben IP-Adresse auf, nämlich der des W-Lan-Betreibers. 
Die interne IP-Adresse, die vom W-Lan-Router vergeben wird, kann der 
W-Lan-Betreiber dem Täter nicht zuordnen. Sie dient nur der Kommunikation 
zwischen Router und Endgerät. Täter sind in der Folge nicht identifizierbar 
und damit faktisch nicht haftbar. Die Rechteinhaber sind deshalb auf die 
Haftung desjenigen angewiesen, der durch die Bereitstellung eines anonymen 
W-Lan-Netzes zur Gefahr beigetragen hat. Die CDU/CSU hat immerhin erreicht, 
dass Sicherungsmaßnahmen auf freiwilliger Basis erlaubt und jedem 
W-Lan-Betreiber selbst überlassen sind.

Jenseits von urheberrechtlichen Fragen ist das neue W-Lan-Gesetz auch 
sicherheitspolitisch bedenklich. Ein Beispiel aus jüngster Zeit, das die 
Sinnhaftigkeit von Identifizierung unterstreicht, war der perfide Anschlag 
auf den BVB-Mannschaftsbus im April. Die IP-Adresse des passwortgeschützten 
Hotel-W-Lans hat die Polizei auf die Spur des Täters geführt.

Wenn eine Leitlinie unseres gesellschaftlichen Miteinanders die offene 
Kommunikation und das „Gesicht-Zeigen“ ist, dann gilt dies für die analoge 
und die digitale Welt. Erwerber von Prepaid-Handys müssen sich ausweisen und 
soziale Netzwerke die Identität anonym agierender Rechtsverletzter 
preisgeben. Nur das W-Lan-Gesetz setzt auf absolute Anonymität und schließt 
effektiven Rechtsschutz faktisch aus. Ob dieses Gesetz im Lichte der 
McFadden-Entscheidung mit dem Europarecht vereinbar ist, steht in Frage. 
Rechtspolitisch folgt aus dieser Gesetzgebung für die nächsten Wahlperioden, 
mehr achtzugeben auf die Einheit der Rechtsordnung bei vergleichbaren 
analogen und digitalen Sachverhalten.

Dass die deutsche Bildungs- und Wissenschaftslandschaft die Chancen der 
Digitalisierung nutzt, ist selbstverständlich. Umstritten ist seit Jahren 
der Umgang mit den geistigen Schöpfungen der Wissenschaft. Das 
Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz (UrhWissG) macht einseitig die 
Interessen von Universitäten und wissenschaftlichen Bibliotheken zum 
Ausgangspunkt des Wissenschafts-Urheberrechts. Universitäten dürfen nun bis 
zu fünfzehn Prozent eines Werkes für Forschung und Lehre erlaubnisfrei 
nutzen und müssen dafür nur eine Pauschale entrichten. Nur die Höhe der 
Pauschale dürfen Universitäten und Verwertungsgesellschaften vertraglich 
vereinbaren.

So stellt das Gesetz den Grundgedanken des Urheberrechts auf den Kopf, dass 
ein Urheber angemessen am wirtschaftlichen Nutzen seines Werkes zu 
beteiligen ist (Paragraph 11 S. 2 UrhG). Bisherige Pauschalen im 
Wissenschaftsbereich machen wenig Hoffnung, dass die Pauschale auch nur 
annähernd objektiv angemessen sein wird. Gerade von einer 
„Wissenschafts“-Gesetzgebung sollte man erwarten können, dass sie sich einer 
rationalen Interessenabwägung verpflichtet sieht.

Stattdessen sollen für die gute Sache der Wissenschaft die grundrechtlichen 
Positionen von Urhebern und Verlegern im Zweifel weichen. Es lohnt daher der 
Kontrollblick auf die Maßstäbe der analogen Welt: Wenn man den Lieferanten 
von Bibliotheks-Computern nicht mit dem Hinweis auf den noblen Zweck der 
Wissenschaft überzeugen kann, seine Produkte umsonst oder unter Preis zu 
liefern, so sollte man das auch nicht von einem Wissenschafts- oder 
Zeitungsverlag verlangen. Für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort 
Deutschland ist eine angemessene und faire Vergütung der geistigen 
Wertschöpfung wichtiger Anreiz und Standortfaktor zugleich. Die Kritik an 
dem ursprünglichen Entwurf des Justizministers hat immerhin dazu geführt, 
dass Presseverlage richtigerweise von der Schrankenregelung ausgenommen 
werden.

Statt einer pauschal vergüteten Basisversorgung der Universitäten mit 
wissenschaftlichen Publikationen brauchen wir eine moderne 
Online-Lizenzierungsplattform. Damit ließen sich die wissenschaftlichen 
Beiträge und Publikationen in einem bequemen one-stop-shop individuell und 
angemessen vergüten. Im Gegensatz zur gleichmacherischen Pauschale wäre 
diese Einzelabrechnung eines: gerecht. Sie würde die tatsächliche 
Werknutzung berücksichtigen. Eine solche Plattform zu entwickeln ist 
vorrangig Aufgabe der Verlage selbst. Der deutsche Gesetzgeber wird ein 
solches Vorhaben aber mit gesetzgeberischen Impulsen unterstützen müssen.

Auf bewährte Rechtsprinzipien hat sich der Gesetzgeber dagegen beim 
Netzwerkdurchsetzungsgesetz besonnen. Es verfolgt ein lobenswertes Ziel: die 
bessere Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten in sozialen Netzwerken. 
Hasskriminalität und andere strafbare Äußerungen gefährden unsere freie, 
offene und demokratische Gesellschaft. Das nehmen wir als deutsche 
Gesellschaft nicht hin. Weder online oder offline.

Das Gesetz stellt deshalb drei Pflichten für die Betreiber von sozialen 
Netzwerken auf: Sie müssen ein wirksames Beschwerdemanagement einrichten. 
Das heißt, jeder rechtswidrige Inhalt wird in der Regel innerhalb von sieben 
Tagen nach Eingang der Beschwerde gelöscht. Bei schwierigeren Fällen darf es 
länger dauern, und dem Nutzer kann vorher Gelegenheit zur Stellungnahme 
gegeben werden. Zweitens müssen Betreiber halbjährlich öffentlich über ihren 
Umgang mit Beschwerden berichten. Drittens muss ein soziales Netzwerk einen 
Bevollmächtigten im Inland leicht erkennbar benennen. Von ihm können 
Strafverfolgungsbehörden bei Verdacht bestimmter Straftaten Auskunft zur 
Identität eines Nutzers verlangen. Private brauchen zusätzlich eine 
gerichtliche Anordnung. Die Geldbußen bei ernstlichen Versäumnissen der 
Plattformbetreiber sind empfindlich.

Ziel und Ansatz des Gesetzes sind richtig. Wer einen Verkehr eröffnet, der 
muss im Rahmen des Zumutbaren alles so einrichten, dass von ihm keine Gefahr 
ausgeht. Dass dieses Grundprinzip unserer Rechtsordnung hier hochgehalten 
und es in der W-Lan-Novelle konsequent „ausgeblendet“ wurde, entbehrt nicht 
einer gewissen Ironie, spricht aber gerade für das 
Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Publizisten tragen selbstverständlich die 
Verantwortung dafür, keine strafrechtlich relevanten Inhalte zu verbreiten. 
Sie können sich auch nicht darauf berufen, nur die Meinung eines anderen zu 
veröffentlichen. Es gibt keinen Grund, die Betreiber von Plattformen 
grundsätzlich anders zu behandeln und von der Verantwortung freizustellen. 
Auch soziale Netzwerke müssen ihre Dienste so anbieten, dass sie auf 
(drohende) Rechtsverletzungen effektiv reagieren können.

Die Meinungsfreiheit wird nicht unzulässig beschränkt, wenn das soziale 
Netzwerk den fraglichen Beitrag selbständig löscht und nicht eine staatliche 
Stelle. Denn bislang sind allein die AGB der Plattformbetreiber und ihre 
„Gemeinschaftsstandards“ der Maßstab, nach dem gelöscht wird oder nicht. Vor 
dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz war nicht nur die Rechtsdurchsetzung 
privatisiert, sondern die Rechtsetzung gleich mit. Der Gesetzgeber konnte 
nur darauf hoffen, dass seine Verbotsnormen mit den privaten AGB der 
Plattformbetreiber übereinstimmen. Es ist richtig, dass nun wieder 
staatliche Gesetze den Verbotsmaßstab bilden. Der jetzige Gesetzentwurf mag 
noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein und einer Fortentwicklung 
harren, aber er ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Digitalisierung unserer Demokratie braucht freiheitliche und 
rechtsstaatliche Regeln. Der Gesetzgeber muss dabei die Interessen von 
Einzelnen und ihre Rechte schützen und in einen Ausgleich bringen mit den 
Interessen der Allgemeinheit. Das gelingt beim Telemediengesetz und im 
Urheber-Wissensgesellschaftsgesetz deutlich schlechter als im 
Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Für eine kohärente Regelung des digitalen 
Rechtsstaats braucht es mehr: vor allem das Verständnis, dass die bewährten 
Wertentscheidungen unseres Rechts auch in der digitalen Rechtssphäre ihre 
Geltung behalten. Die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers ist es, diese 
Grundwerte auch dort zur Entfaltung zu bringen.

Günter Krings (CDU) ist Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer 
Staatssekretär im Bundesinnenministerium.

Ansgar Heveling (CDU) ist Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages 
und Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Kulturausschuss.

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