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Re: [InetBib] Solidarität



Liebe Frau Sanders,
die von Ihnen genannten Aspekte sind schon alleine vom biblischen Menschenbild (Gottesebenbildlichkeit u.s.w.) her, also bereits lange schon Kriterien angemessener Kommunikation und sind nicht erst durch das Gender Mainstreaming in die Welt gekommen. Wie schon gesagt, ist durch die klassischen Anstandsregeln ja sogar über Art. 3, Abs. 2 GG hinausgehend den Damen gegenüber ein besonderer Respekt geboten (Vortritt lassen u.s.w.). Das Neue an Gender Mainstreaming ist ja nicht die Unterscheidung der Geschlechter, sondern im Gegenteil die Relativierung biologisch bedingter Prägungen zugunsten variabler sozialer bzw. rollenspezifischer Fremd- oder Selbstzuschreibungen (Geschlecht als soziales Konstrukt). "Gendersensibel" im Sinne von Würdigung persönlicher Leistungen und Würde (und das keineswegs in einer Einengung auf den Bereich der Geschlechtlichkeit) sind die traditionellen Sprach- und Anstandsregelungen auch. Das Problem der hinter dem Gender Mainstreaming stehenden neueren (dekonstruktiven) Form des Feminismus ist aber - gerade auch aus Sicht des traditionellen Feminismus -, dass die Geschlechtsunterschiede und die Würdigung spezifischer Stärken und Eigenschaften gerade aufgehoben werden sollen. Der Gegenstand der Würdigung zerfließt sozusagen, weil die Geschlechtlichkeit sich in einem permanenten Prozess der individuellen Neudefinition befindet. Wer die Gender-Sprache konsequent anwenden will, kann sich nie sicher sein, ob eine Person momentan als "Herr" oder "Frau" angesprochen werden will bzw. noch Unterscheidungen wie "Cis-Frau", "Trans-Frau" u.s.w. sprachliche Artikulation finden müssen. Bibliothekarische Festlegungen in der Normierungspraxis der Personendaten müssten im Nachhinein als unzulässige Festlegungen in Frage gestellt werden (die fließende Biographie kann dann nicht einfach in einem summarischen "VerfasserIn" fremdbestimmt fixiert werden). Und wie wollen Sie mit lyrischen Texten - vor allem in der mündlichen Wiedergabe - verfahren? Ob das dann noch ein würdevoller Umgang mit der Sprachschöpfung von Autoren ist? Ausgangspunkt Ihrer Überlegungen und auch derjenigen einiger anderer Diskutanten ist auch die Annahme, dass die traditionelle Formulierungsweise grundsätzlich und von vorneherein nicht respektvoll und inklusiv sei. Hier dreht sich die Kontroverse immer wieder im Kreis. Ich verstehe dies in gewisser Weise vor dem Hintergrund neuerer Diskussionen, aber die tradtionelle Rhetorik kennt das Mittel der direkten Anrede etwa als "Sehr geehrte Damen und Herren" u.ä.. Das Problem ist nur, dass das generische Maskulinum nicht aus einer Machenschaft oder Verschwörung böser Menschen (Männer) heraus entstanden ist mit der alleinigen Absicht, Frauen zu unterdrücken, sondern wie schon von anderen betont historisch gewachsen und als Konvention für alle verständlich ein zusammenfassender Begriff für alle von einer bestimmten Eigenschaft betroffenen Personen unabhängig vom Geschlecht anerkannt war und im Alltagssprachgebrauch abseits akademischer Kreise auch noch ist. Die Gender-Thematik transformiert ein bisher zumindest in gepflegten und gebildeten Kreisen übliches respektvolles Verhalten in eine Atmosphäre von Kampf und Spannung, die so gar nicht sein müsste, wenn man sich auf für alle Seiten akzeptable Lösungen verständigen wollte. Es ist nur die Frage, ob das Gender mainstreaming in seiner konsequenten Form vom Ansatz her dazu geeignet und willens sein kann. Den Kritikern der Gender-Sprache Absurditäten vorzuwerfen oder ihnen wie von anderen in diesem Forum die moralische oder intellektuelle Würde abzusprechen, widerlegt jedenfalls die eigene Intention, respektvoll und voller Würdigung der anderen Menschen miteinander umzugehen. Diversität zu betonen, schließt eben alle Formen von Diversität ein, sowohl alle sozialen Schichten und Berufsgruppen als auch alle denkbaren Weltanschauungen und nicht nur die mit dem Gender mainstreaming kompatiblen.
Mit den besten Wünschen und Grüßen,
Christian Herrmann

Am 07.07.2021 um 13:34 schrieb Dr. Luise Sanders via InetBib:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Wiethoff,

vielen Dank für Ihren wichtigen Hinweis auf den Solidaritätsaspekt.
Ich würde das sogar noch erweitern: es geht um
•    Höflichkeit,
•    Respekt,
•    Wertschätzung,
•    Anerkennung beruflicher Leistungen,
•    nicht zuletzt um Würde.
Und das ist in Artikel 1 Grundgesetz verpflichtend festgeschrieben.
Und dann gibt es ja auch noch Artikel 3 Grundgesetz insbesondere Absatz 2 und 3.

Ich bin auch der Meinung, dass es verantwortungsvoller und einfacher wäre, insgesamt zu überlegen, welche Möglichkeiten die deutsche Sprache bietet, gendersensibel zu formulieren (vielleicht auch ohne Sonderzeichen), anstatt die Energie in Gegenwehr und absurde Argumentationen teilweise sogar in gerichtliche Klagen zu stecken (Beispiel VW und Audi).


Am 2021-07-06 11:28, schrieb Doerthe Wiethoff via InetBib:
Liebe Kolleg*innen,

es sollte doch Konsens sein, dass man versucht durch Sprache niemand
auszuschließen. In welcher Form man dies tut, ist sicher strittig und
diskussionswürdig, doch die Grundhaltung "wir wollen niemand
ausschließen" sollte doch uns alle einen!

Lieber "verstümmle" ich Sprache, als Menschen sprachlich auszugrenzen,
die in Ihrem Alltag bereits real Ausgrenzung erfahren.

Das hat nichts mit Verbot oder Bevormundung, sondern mit Solidarität zu
tun, die ich bei manchen in dieser Diskussion sehr vermisse.

Nach meiner naiven Meinung macht das Debatten über "Genus vs. Sexus"
"Mitgemeint" und Co. obsolet.

Viele Grüße
Dörthe Wiethoff



Dörthe Wiethoff
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