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[InetBib] LIBREAS CfP #43: Soziologie der Bibliothek



Werte Kolleg*innen,
liebe Mitglieder des Libreas.Vereins,

gerne schicke ich Ihnen / euch auf diesem Weg den Hinweis auf den Call for 
Papers für die Ausgabe #43 der LIBREAS. Library Ideas zum Schwerpunkt 
"Soziologie der Bibliothek", die im Sommer 2023 erscheinen soll. Wie immer 
freuen wir als Redaktion  uns über alle Einreichungen und auch darüber, wenn 
Sie / ihr den CfP weiterleitet. Den Text finden Sie / ihr anbei und unter 
https://libreas.wordpress.com/2022/11/18/cfp-43-soziologie-der-bibliothek/

m.f.G.
Karsten Schuldt


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*** CfP #43: Soziologie der Bibliothek ***

Soziologie als Wissenschaft stellt grundsätzlich die Frage, wie Gesellschaft 
funktioniert und in welcher Beziehung das Individuum und das Kollektiv stehen. 
Sie fragt: Welche Regeln und Strukturen gibt es und welche Wechselwirkungen 
existieren im menschlichen Miteinander. Und sie schaut nicht nur auf die 
Menschen, sondern auch auf Institutionen. Diese manifestieren und objektivieren 
die Regeln des Miteinanders funktional. Und sie erweisen sich als 
außerordentlich beständig. Die Soziologie beobachtet, beschreibt und versteht 
bestenfalls. Das daraus resultierende Wissen bietet, so die mehr oder minder 
explizit gemachten Prämisse, auch immer die Möglichkeit, diese Prozesse, die 
Institutionen und damit auch die Gesellschaft zu gestalten. Wenngleich die 
Diskurse der traditionellen Soziologie mit Theoretikern wie Max Weber schon 
viele Schleifen durchlaufen haben, bleibt die Relevanz der grundsätzlichen 
Fragestellungen, die auf interkulturelle und kritische sowie interdisziplinäre 
Ansätze erweitert worden sind, bestehen.
Dabei gibt es in der Soziologie selbstverständlich unterschiedliche Ansätze, 
beispielsweise stark theoretische, die vor allem beschreiben, systematisieren 
und aus diesen Beschreibungen Schlüsse ziehen. Oder auch fast vollständig 
empirische, die aber notwendig sind, um die Beschreibungen der Theorien in der 
Realität zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen.

* Keine Bibliothekssoziologie
Eigentlich könnte man erwarten, dass Bibliotheken für die Soziologie einen 
interessanten Untersuchungsbereich bieten. Zugleich wäre es sinnvoll, wenn 
Bibliotheken in ihre Entwicklungsplanungen und der alltäglichen Arbeit 
soziologisches Wissen einfließen lassen würden.
Bibliotheken sind Institutionen, die direkt in der Gesellschaft wirken, auf die 
aber auch gesellschaftliche Entwicklungen unmittelbar wirken – man denke nur an 
die zunehmenden Schwierigkeiten von Bibliotheken, Personal zu rekrutieren, die 
viel mit demographischen Entwicklungen und anderen gesellschaftskulturellen 
Veränderungen zu tun hat. Gleichzeitig sind sie – manchmal zum Leidwesen 
einzelner Engagierter – Institutionen, also Strukturen, die sich nicht sofort, 
nicht beliebig und auch nicht unendlich weit verändern lassen. Diese Spannung 
analytisch zu durchdringen, könnte ein Interesse von beiden Seiten, der 
Soziologie und dem Bibliothekswesen, sein. Zumal es nicht wenige 
“Bindestrich-Soziologien” gibt, welche sich mit einzelnen Institutionen 
beziehungsweise institutionalisierten Gesellschaftsbereichen befassen.
Und dennoch gibt es keine Bibliothekssoziologie. Es finden sich einzelne 
Artikel oder Monographien, die immer wieder neue Ansätze zu so einer 
spezifischen Soziologie versuchen – dann aber nicht weiter aufgegriffen werden. 
Ein Beispiel für so einen Artikel aus unserer eigenen Zeitschrift wäre “Zur 
Legitimation Öffentlicher Bibliotheken” von Fabio Tullio (2016), der 
Öffentliche Bibliotheken organisationssoziologisch untersuchte.
Abgesehen davon scheint im Bibliothekswesen eher mit Schlagworten aus der 
Soziologie gearbeitet zu werden, die dann oft aus ihrem eigenen Kontext gelöst 
und nicht immer begriffsgeschichtlich besonders stabil unterlegt 
re-interpretiert werden. Dafür symptomatisch war in den letzten Jahren wohl die 
Nutzung des Begriffs “Dritter Ort”. Ursprünglich eigentlich eher auf 
Trinkhallen oder Kneipen bezogen, wurde seine Bedeutung im Bibliothekswesen 
sehr offen für Konzepte und Aussagen adaptiert wurde, die mit dem 
Originalbegriff nicht mehr in jedem Fall viel zu tun haben. Auch fungieren 
insbesondere Öffentliche Bibliotheken oftmals, wenn man bei der Zählweise 
bleiben möchte, sogar eher als eine Art "Zweiter Ort” für Menschen, die 
beispielsweise keinen anderen Arbeitsort oder Zugang zur Informationsstrukturen 
haben.

* Drei Themenbereiche
Unter den wenigen längeren Werken, die sich explizit mit einer Soziologie der 
Bibliotheken befassen, stechen drei heraus. Sie stehen für verschiedene 
soziologische Fragestellungen und zeigen, dass an Bibliotheken als 
Untersuchungsgegenstand sehr unterschiedlich herangegangen werden kann.
In seinem 1954 zuerst und dann, in einer erweiterten Auflage, nochmal 1965 
veröffentlichten “Studien zur Soziologie der Bibliothek” fokussierte Peter 
Karstedt sehr darauf, wer Bibliotheken und Veranstaltungen in Bibliotheken 
besuchte, wie von diesen Personen gelesen wurde und welche Auswirkungen dieses 
Lesen auf diese Personen hatte. (Karstedt 1965) Er ging dabei vor allem 
beschreibend vor und beschränkte sich auch nicht alleine auf die Soziologie, 
sondern bezog andere Disziplinen mit ein. Hingegen auf die Institution 
Bibliothek selber fokussierte Frank Heidtmann in seiner Dissertation “Zur 
Soziologie von Bibliothek und Bibliothekar”. (Heidtmann 1973) Er analysierte, 
wie sich die Institution Bibliothek – also das Zusammenspiel von Prozessen, 
Abläufen, koordinierten Handlungen, Entscheidungen des Personals – immer wieder 
so reproduziert, dass am Ende erwünschte Ergebnisse entstehen, also bei ihm vor 
allem Nutzer*innen mit Literatur versorgt werden. Auch er ging beschreibend 
vor, dabei aber von organisationssoziologischen Prämissen aus. In gewisser 
Weise nutzte er die Bibliothek als Anwendungsbeispiel soziologischer Theorie.
Das Bibliothekspersonal selber, deren soziale Schichtung und Veränderungen 
dieser Schichtung, nahm Bernadette Seibel – allerdings für Frankreich – in “Au 
nom du livre - analyse sociale d'une profession: les bibliothécaires” in den 
Blick. (Seibel 1988) Sie ging empirisch vor, wenn auch gestützt auf 
soziologische Kenntnisse über Sozialschichten.
Und diese Perspektive steht denn auch, wenngleich mehr biografisch als 
akademisch geprägt,  für uns als Redaktion hinter der Themenwahl. Wir als 
Redaktion fanden zum Thema “Soziologie der Bibliothek” als Desiderat, als wir 
darüber diskutierten, mit welchen gebrochenen, suchenden und unerwarteten 
Biographien viele von uns ins Bibliothekswesen eingestiegen sind. Diese, wenn 
man so will, vermeintlich Zufälligkeit in der Entscheidung schien uns kein 
Zufall zu sein, sondern strukturell angelegt. Wir merkten auch, dass das 
Bibliothekspersonal – wer arbeitet in Bibliotheken, auf welchen Stellen, mit 
welchem Einfluss, mit welchem sozialen Hintergrund – bislang nicht Thema der 
deutschsprachigen Forschung war. Wir wissen also nicht belastbar, ob wir in der 
Redaktion Ausnahmen oder typische Fälle darstellen.
Die oben benannten Arbeiten sind Jahrzehnte alt. Seitdem gab es immer wieder 
einzelne Artikel und auch Abschlussarbeiten. Grundlagenwerke wie die von Peter 
Karstedt, Frank Heidtmann oder Bernadette Seibel gab es aber unserer 
Wahrnehmung nach kaum noch. Ihre Stärke liegt auch heute noch darin, mögliche 
Herangehensweisen und Fragenkomplexe aufzuzeigen: Die Nutzer*innen, das 
Personal und die Institution Bibliothek als Untersuchungsgegenstände und die 
soziologische Beschreibung, die Anwendung soziologischer Theorien sowie die 
konkrete empirische Forschung als Herangehensweisen. Sollte sich in Zukunft 
einmal eine eigenständige Bibliothekssoziologie entwickeln, wird sie sich 
zwangsläufig in diesem Rahmen bewegen.

* Einladung zur Mitarbeit
Im Schwerpunkt der Ausgabe #43 der LIBREAS. Library Ideas wollen wir gerne 
einen neuen Versuch wagen, Soziologie und Bibliothek zusammenzubringen. Nicht 
nur scheint es weiterhin, dass die Potentiale dazu groß sind, sowohl für die 
Soziologie als auch für das Bibliothekswesen und die Bibliothekswissenschaft. 
Zudem verändert sich die Gesellschaft aktuell merklich – die Demographie, die 
soziale Schichtung, vor allem die abnehmende soziale Durchlässigkeit, die 
soziale Struktur der Städte aber auch der ländlichen Gebiete sind merklich in 
Bewegungen.
Es scheint, als wäre die Zeit reif, auch die Bibliothek wieder mehr 
soziologisch zu beschreiben, um zu verstehen, wie sie innerhalb dieser 
Entwicklung funktioniert und sich gleichzeitig verändert.
Das Feld für verschiedene Beiträge ist durch die drei oben genannten Werke gut 
umrissen. Uns interessieren zum Beispiel Beiträge, die die Funktion von 
Bibliotheken soziologisch beschreiben: Wer arbeitet in ihnen? Und in welchen 
Bereichen? Wie funktioniert die Bibliotheken als Institution und mit Bezug zu 
anderen Institutionen? Ist sie Teil von Systemen und wenn ja, von welchen?
Interessant fänden wir auch die exemplarische Anwendung soziologischer Theorien 
auf Bibliotheken: Ist sie mit Niklas Luhmann als sich selbst erhaltendes System 
zu beschreiben? Ist sie mit bildungssoziologischen, stadtsoziologischen oder 
auch lebensraum-fokussierten Theorien zu beschreiben? Oder lässt sich sinnvoll 
eine Analyse der sozialen Schichtung von Nutzer*innen und Personal durchführen?
Nicht zuletzt sind Berichte oder Überlegungen dazu, wie in der 
Bibliothekspraxis soziologische Methoden angewandt werden können, ein 
mögliches, interessantes Thema für Beiträge in diesem Schwerpunkt.
Dabei wünschen wir uns Beiträge ganz unterschiedlicher Art, sowohl aus der 
Bibliothekspraxis und -wissenschaft als auch der Soziologie, so wie auch die 
drei oben genannten Monographien ganz unterschiedlich sind. Gerne lesen wir 
ausgearbeitete empirisch basierte Studien ebenso wie soziologische 
Beschreibungen und Theoriediskussionen. Zur Einreichung der Zusammenfassung von 
Abschlussarbeiten mit soziologischen Fragestellungen rufen wir explizit auf. 
Und schließlich interessieren uns natürlich auch die biografischen Linien, die 
die Menschen in bibliothekarische Professionen brachten. Selbstreflektive Texte 
zu diesem Thema sind entsprechend auch willkommen.
Gerne diskutiert die Redaktion im Vorfeld auch erste Ideen oder Entwürfe von 
Beiträgen.
Einreichungsfrist für die Ausgabe #43 ist der 30. April 2023. Hinweise zur 
Einreichung finden sich in den Autor*innenhinweisen / Author guidelines auf der 
Homepage der LIBREAS.

Eure/Ihre Redaktion LIBREAS. Library Ideas
(Berlin, Hannover, Göttingen, Lausanne, München)

* Literatur
Heidtmann, Frank (1973). Zur Soziologie von Bibliothek und Bibliothekar : 
betriebs- und organisationssoziologische Aspekte. Berlin: deutscher 
bibliotheksverband, 1973
Karstedt, Peter (1965). Studien zur Soziologie der Bibliothek. (2., 
durchgesehene und vermehrte Auflage) Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 1965
Seibel, Bernadette (1988). Au nom du livre – analyse sociale d'une profession: 
les bibliothécaires. Paris: La Documentation française, 1988
Tullio, Fabio (2016). Zur Legitimation Öffentlicher Bibliotheken. In: LIBREAS. 
Library Ideas, #30 (2016), https://libreas.eu/ausgabe30/tullio/


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