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Freies wissenschaftliches Publizieren



Um die sog. Harnad-Oppenheimer-Strategie der FOS-Bewegung gab es eine
Diskussion in Netlaw-L (und URECHT bzw. cni-Copyright), an der sich auch
St. Harnad selbst beteiligte:

http://www.listserv.dfn.de/cgi-bin/wa.exe?A2=ind0206&L=netlaw-l&T=0&F=&S=&P=3620

http://www.listserv.dfn.de/cgi-bin/wa.exe?A2=ind0206&L=netlaw-l&T=0&F=&S=&P=4500

Ausgangspunkt war die Frage, wie diese Strategie nach deutschem
Urheberrecht zu beurteilen ist. Zur Strategie sei die BOAI-FAQ zitiert:

"Self-Archiving: Autorinnen und Autoren verfügen im Falle von Preprints
über das Copyright, d.h. sie können diese
               ohne rechtliche Probleme in open access-Archiven
zugänglich machen. Wird ein solches Preprint später von
               einer Zeitschrift als Publikation akzeptiert, und
verlangt diese Zeitschrift, dass das Copyright von dem Autor/der
               Autorin an die Zeitschrift/den Verlag übergeht, dann
liegt es in der Folge bei der Zeitschrift/dem Verlag, ob die
               Erlaubnis gegeben wird, das nun begutachtete und
veröffentlichte Postprint in einem open access-Archiv
               zugänglich zu machen. Wird dies erlaubt, existiert
wiederum kein Copyright-Problem. Wird die Erlaubnis nicht
               gegeben, kann das Preprint in dem Archiv frei zugänglich
bleiben, da es mit dem Postprint nicht identisch ist und
               weil der Autor/die Autorin das Copyright für das Preprint
keinem Dritten überlassen hat."

Quelle:
http://www.qualitative-research.net/fqs/boaifaq.htm

Daran ist die Aussage problematisch, dass Preprint und Postprint nicht
identisch sind. In urheberrechtlicher Hinsicht sind sie es meines
Erachtens sehr wohl, da sie sich auf das gleiche Werk beziehen.
Uebertraegt der Autor einem Verlag das ausschliessliche Nutzungsrecht,
so kann der Verlag die Loeschung des Preprints verlangen. Auch koennen
die Verlage ihre Vertragsbedingungen so gestalten, dass eine
Onlineveroeffentlichung nicht erlaubt ist. (Naeheres in den angefuehrten
Beitraegen.)

Da man vielleicht bei juristischen Fachverlagen eine besondere
Sensibilitaet bezueglich dieser Rechtsfrage erwarten darf und ich
geruechteweise der Ueberzeugung war, diese seien prinzipiell gegen
Onlineveroeffentlichungen eingestellt, habe ich gestern telefonische
Erkundigungen bei zwei bedeutenden Verlagen eingeholt.

Der Beck-Verlag ist der fuehrende juristische Fachverlag (u.a. "NJW")
mit weitreichenden Online-Aktivitaeten. Ich habe mit der Pressestelle
und Dr. Schunder von der Frankfurter Zeitschriftenredaktion gesprochen.
Beide bestaetigten, der Verlag habe keine grundsaetzliche Regelung, es
werde im Einzelfall entschieden. Es gebe solche Anfragen aber nur ganz
selten, so Schunder, meistens seien es Rechtsanwaelte, die etwas auf
ihre Homepage stellen wollten. Man sei meistens kooperativ und erlaube
das, zumal ja bei Zeitschriften die Jahresregelung bestehe (§ 38 I UrhG
siehe:
http://www.uni-tuebingen.de/fb-neuphil/epub/graf/urheberrecht_autoren_graf.html),
von der man auch nicht vertraglich abweiche. Preprints vor der
Drucklegung gestatte man aber nicht, da dies dem Text die Neuigkeit
nehme. Sie haetten aber noch niemanden gezwungen, einen Beitrag zu
loeschen und wuerden so etwas auch nicht tun. Bei der Veroeffentlichung
auf einem Hochschulserver muesste man mit diesem eine Vereinbarung
schliessen (der Fall kam aber offenbar noch nicht vor!).

Dr. Beierwaltes vom Nomos-Verlag sagte ebenfalls, das Problem stelle
sich relativ selten, man pruefe dann den jeweiligen Einzelfall und
entscheide nach den Umstaenden (kommerzielles Angebot? Umfang des
Beitrags, reicht vielleicht ein Auszug aus?). Man habe sich aber immer
einigen koennen und in der Regel die Erlaubnis gegeben. Man erwarte dann
aber eine Quellenangabe hinsichtlich des Druckorts. Wie andere Verlage
oder die Branche das handhaben, war ihm nicht bekannt.

Harnad schrieb: 
"The reason there is not yet 100% free online access to all the
annual 2 million refereed articles in the world's 20,000 refereed
journals is hence NOT copyright problems. It is simply authors' slowness
in realizing the possibility and the benefits."

Ich bin nun geneigter, ihm zuzustimmen. Doch ausser der phlegmatischen
Einstellung der AutorInnen moechte ich doch die Vorstellung, dass das
Urheberrecht einen Hinderungsgrund darstellt, als wichtigen Faktor
benennen: a) man ist sich unsicher, weiss nicht Bescheid und GLAUBT, der
Verlag sei dagegen, will sich vielleicht auch keine Absage einhandeln, 
b) man befuerchtet Plagiate. Punkt b) wird aber von der
Harnad/Oppenheimer-Strategie nicht beruehrt und beduerfte einer eigenen
Eroerterung.

Ein aktiveres Einwerben von Beitraegen durch Hochschulschriftenserver
(und Oeffnung auch fuer begutachtete Beitraege von
Nicht-Hochschulangehoerigen), eventuell auch auf dem Weg eines auf die
Hochschule bezogenen digitalen Pflichtexemplars, ist derzeit nicht in
Sicht. Wir bleiben FOS-Entwicklungsland.

Klaus Graf
http://www.uni-koblenz.de/~graf


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.