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Neues zu Joseph von Lassberg II: Karlsruher Ausstellung



3. Die Karlsruher Laßberg-Ausstellung: didaktisch mißlungen!

Noch bis zum 12.4. ist die Ausstellung "Joseph Freiherr von Laßberg
(1770-1855) und seine Bibliothek" in der Badischen Landesbibliothek
Karlsruhe zu sehen. Eine Internetseite enthält knappe Angaben zum Thema
der Ausstellung und drei Bilder [10].

Es handelt sich um eine Kabinettausstellung, die vor allem für den
Spezialisten ein Genuß ist. Die Erwerbungen der BLB mit ihren vielen
handschriftlichen Bemerkungen von der Hand Laßbergs, die bibliophilen
Kostbarkeiten lassen den Rang dieser einzigartigen Sammlung, die im Kern
als gelehrter Handapparat eines frühen Altertumsforschers fungierte,
deutlich werden. Das unsägliche Dubletten-Argument des Ministers, mit
dem er den Nichterwerb der Donaueschinger Druckschriften 1999
begründete, wird so ad absurdum geführt! 

Der nicht vorgebildete Besucher wird mit den Exponaten alleingelassen.
An Stelle einer kurzen Einführung zu seinem Leben und Werk wird eine
dürre Zeittafel (aus dem Marbacher Magazin übernommen und noch dazu
gekürzt) geboten, die man irgendwann an einer Säule entdeckt. Auszüge
aus den wissenschaftlichen Katalogtexten (teilweise mit unübersetzten
langen lateinischen Zitaten) überfordern das breite Publikum. Das
wundert sich, wieso an den Wänden Stiche des Kölner Doms hängen (Laßberg
engagierte sich sehr in der Dombaubewegung), und was es mit dem
Sänger-Motiv auf dem Ausstellungsplakat, entnommen einem nicht im
Katalog berücksichtigten Buch von Ottmar (= Schönhuth), auf sich hat,
erfährt es ebenfalls nicht.

Die Fossilien in den Buchvitrinen sollen wohl Laßbergs naturkundliche
Neigungen belegen. Steine, die er aus der Burg Wesperspül brach, wie
eine ausgestellte Notiz Laßbergs sagt, kommen im Katalog nicht vor -
handelt es sich um Leihgaben der Fürstenbergischen Sammlungen?

Der Zuschnitt der Ausstellung ist bieder und konventionell. Der
Auflockerung dienen links eine  überlebensgroße Reproduktion des Portals
aus dem Liedersaal-Druck [11] und rechts ein Bildschirm mit einer
Videosequenz: das Aufschlagen seines handschriftlichen Sängerbuchs. Daß
Laßberg dem Besucher zuzwinkert, mögen andere witzig finden. Angesichts
der unerfreulichen Begleitumstände leiste ich mir in diesem Punkt ein
gewisses Maß an Humorlosigkeit.

4. Provenienzforschung nach Karlsruher Gusto

Von hohem wissenschaftlichen Wert ist der schön aufgemachte, opulent
illustrierte Katalog, als  das "Begleitbuch", das von Ute Obhof
verantwortet wird. Ein geplanter Band 2 soll weitere Aspekte beleuchten.

Ein abgerundetes Lebensbild Laßbergs ist die Einleitung von Ute Obhof
(S. 1-28), die über Leben und Bibliothek wissenschaftlich trocken
referiert, gewiß nicht. Es folgen dann 28 Abschnitte, die jeweils einem
oder mehreren Exponaten gewidmet sind und von weiteren sechs Autoren
verfaßt wurden (nicht besonders einleuchtend gegliedert nach den drei
Abteilungen Biographie, Historische Arbeiten und Landesgeschichte).
Erfreulicherweise werden jeweils wissenschaftliche Nachweise in
wünschenswerter Vollständigkeit gegeben. Im Zuge der Katalogbearbeitung
kamen neue wissenschaftliche Erkenntnisse (beispielsweise zu den Bänden
in grünem Leder) zur Bibliothek des frühen Germanisten und
Altertumsforschers zu Tage. Insbesondere zur Wissenschaftsgeschichte der
Germanistik (hier ist Frau Obhof unbestrittene Spezialistin) konnte
wertvolles Material aus den spezifischen Eigenheiten seiner Bücher
erschlossen werden. Der Freiburger Archäologe Dietrich Hakelberg wird
übrigens Laßbergs Büchersammlung für das Begleitbuch der Thurgauer
Ausstellung würdigen, wobei man Neues über nicht-germanistische Aspekte
in Laßbergs Bibliothek, sein Selbstverständnis als Altertumsforscher und
besonders die von Obhof unzutreffend dargestellte Katalogisierung seiner
Bibliothek erfahren wird (der Text liegt mir dank der Freundlichkeit des
Autors vor). Am 7. April eröffnet im Bodman-Haus Gottlieben nämlich die
Ausstellung der Thurgauischen Kantonsbibliothek "Des letzten Ritters
Bibliothek Freiherr von Lassberg (1770-1855)" [12]. Man darf gespannt
sein (ich bin es auch ...)!

An den Textteil (er endet S. 148), dem dankenswerterweise ein Register
beigegeben ist, schließt sich ein Katalog mit eigener Seitenzählung S.
3*-105* an. Man möchte annehmen, daß es sich dabei um die Lassbergiana
unter den Donaueschinger Erwerbungen handelt. Aber sehen wir genau hin!

Besonders dreist mutet an, daß im Vorwort des Ministers zum Begleitbuch
an erster Stelle ein Laßberg-Briefzitat steht, das seinen
"denkmalschützerischen" Einsatz verdeutlicht: "Lassen sie uns, jeder an
seinem Orte, sammeln und bewahren, was wir aus der Flut der Zeiten zu
retten vermögen". Das Land Baden-Württemberg, das sich jetzt in
schamloser Weise als Retter der Laßbergschen Bibliothek bzw. ihrer
"wichtigsten Teile" in Szene setzt, hat diesem Anliegen des Sammlers
Laßberg mit der Preisgabe seiner geschlossen erhaltenen Bibliothek ins
Gesicht geschlagen!

Wer die Ankaufpolitik der BLB seit der ersten Auktion bei Reiss Nr. 68,
bei der sie sich extrem zurückgehalten hat (während bei den letzten
Auktionen durchaus großzügig zugegriffen wurde), beobachten konnte, darf
bezweifeln, daß ein "repräsentatives Spektrum" für Karlsruhe gesichert
wurde. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Entscheidung, wichtige Bände
insbesondere mit handschriftlichen Anmerkungen nicht zu erwerben, nicht
nachzuvollziehen. Unzählige wichtige Werke hat sie sich - weitgehend
fixiert auf hochpreisige bibliophile Werke und die Germanistik - 
entgehen lassen. Das grandiose durchschossene und reich kommentierte
Handexemplar der Thurgauischen Geschichte des Laßberg-Vertrauten
Pupikofer (1828) konnte  ein Privatsammler zu einem sehr günstigen Preis
erwerben. Einige Seiten liegen davon gescannt vor [13]. Zu nennen wären
daneben - um nur einiges willkürlich herauszugreifen -  die
"Rechtsaltertümer" von Jacob Grimm (1828) (Kiefer 42, 2896; Sig.:
XXXVII.d.5415). Die zahlreichen Anmerkungen von Laßberg in "Bragur",
einem wohl unter Scheffel neugebundenen Exemplar, wurden nicht erkannt
(Reiss 73, 90). Überaus bedauerlich ist, daß sich niemand von den
Bibliotheken um die einheitlich gebundenen Forstwerke gekümmert hat
(Reiss 68, 360-376, mit Abb. der Einbände auf S. 93), niemand um die
balneologischen Schriften. 

Welche Kriterien angelegt wurden, bleibt offen, denn die BLB hat sich
einem wissenschaftlichen Dialog der daran  Interessierten bewußt
entzogen. Ich habe als erster eine Laßberg-Ausstellung angeregt und
diesen Gedanken am Rande einer Kiefer-Auktion auch gegenüber Frau Obhof
und Herrn Bothien (Thurgauer Kantonsbibliothek) geäußert. Es läßt sich
beweisen, daß die BLB bei den Auktionen keine Rücksicht auf die ihr
bekannten Wünsche anderer Bibliotheken genommen hat. Eine Kooperation
der BLB mit dem Thurgauer Projekt, das lange geplant war, bevor etwas
von einer Karlsruher Ausstellung verlautete, kam nicht zustande. Im
Begleitbuch wird mit keiner Silbe das "Konkurrenzunternehmen", dem man
nun zuvorgekommen ist, erwähnt. Daß die Thurgauische Kantonsbibliothek
weit über 200 Laßbergiana für die Forschung gesichert hat, erfährt man
dort ebensowenig wie die Tatsache, daß nicht wenige der rund 500
juristischen Bände, die das Frankfurter Max-Planck-Institut für
europäische Rechtsgeschichte aus Donaueschingen gekauft hat, ebenfalls
aus Laßbergs Sammlung stammen [14]. Bedanken möchte ich mich aber
ausdrücklich für die Nennung der korrekten Internetadresse meines
Projekts "Donaueschingen Digital", das die virtuelle Rekonstruktion der
Hofbibliothek anstrebt, in Anm. 8 der Einleitung [15].

So erfreulich es ist, daß die Donaueschinger Erwerbungen der BLB
(bislang 896 Werke) in einer Kraftanstrengung ohnegleichen im Rahmen des
Südwestverbunds katalogisiert wurden und im OPAC der BLB mit der
Expertensuche az=dona aufgefunden werden können [16], so merkwürdig
mutet das an, was die BLB unter dem Provenienzprinzip versteht. Positiv
ist zu verbuchen, daß eine eigene Signaturgruppe 100 B 76000 RH vergeben
wurde und daß in den jeweiligen Lokaldaten die Herkunft aus
Donaueschingen und - höchst löblich! - die Nummern der Auktionen bei
Reiss und Kiefer angegeben ist (bzw. die anderen Händler, bei denen
gekauft wurde). Aber es gibt im OPAC keinen Hinweis auf die weiteren
Provenienzen der Bände, insbesondere aus der Bibliothek Laßbergs, und
eine solche Erschließung, die von dem Begleitbuch der Ausstellung
erwartet werden durfte, ist auch nicht vorgesehen.

Es ist unverzeihlich, daß die wichtigen Laßbergschen Signaturen nicht
erfaßt wurden. Wie soll man die Struktur seiner Bibliothek begreifen
ohne diese Angaben, die zwar mit Blick auf den Verkauf angebracht
wurden, aber doch über sein Verständnis der systematischen Zusammenhänge
der Bücher in den mit römischen Ziffern durchgezählten
Bibliotheksschränken bedeutsame Auskunft geben? Ich habe die
Verantwortlichen der BLB eindringlich, aber vergeblich gebeten, bei den
Vorbesichtigungen diese Signaturen notieren zu lassen. Es handelt sich
vermutlich um ein weiteres Beispiel für die im Fall Donaueschingen oft
zu beobachtende "Bunkermentalität" der baden-württembergischen
Ministerialbürokratie und ihrer nachgeordneten Stellen (BLB und
Landesdenkmalamt), für die offene und pluralistische wissenschaftliche
Kooperation ein Fremdwort darstellt. Hier ging es offenbar nicht um
Wissenschaft oder den Stand der buchhistorischen Provenienzgeschichte,
wie man ihn um die Wende zum dritten Jahrtausend voraussetzen darf, es
ging um den selbstherrlichen Versuch, Laßberg für die Kulturpolitik des
Landes und der BLB zu vereinnahmen.

Daß im angehängten "Katalog" der Bücher keinerlei Provenienzdaten
mitgeteilt werden, ist mehr als ein kleiner Schönheitsfehler. Denn es
hat sich herausgestellt, daß die Erfassung der Bände in den
Antiquariatskatalogen außerordentlich fehlerbehaftet ist. Da ich nur
einen kleinen Teil der Laßberg-Bände besichtigen konnte, wäre eine
Rekonstruktion der Laßbergschen Bibliothek auf diese bedenklichen
Quellen angewiesen - und natürlich auf die Einsichtnahme der Originale.
Daß unzählige für Laßbergs geistige Welt aufschlussreiche Werke
unzugänglich in Privatsammlungen der ganzen Welt gelandet sind, ist die
Schuld des Landes Baden-Württemberg. Die Händler weigern sich (außer in
wenigen Einzelfällen), den Kontakt zu den jetzigen Besitzern von
Laßbergiana herzustellen - es sind einfach zuviele Bände. Und
Privatsammler haben auf meine bisherigen diversen Aufrufe im Internet,
mir vertraulich Informationen über Exemplare zukommen zu lassen, bislang
so gut wie nicht reagiert. Um so mehr provenienhistorischen Aufschluß
hätte ich von dem Karlsruher Ausstellungskatalog erwartet.

Was die Bücher der BLB angeht, so liegt mit dem "Katalog" des
Begleitbuchs scheinbar der Laßberg-Anteil der Erwerbungen vor. Nach
Laßbergs Todesjahr 1855 sind laut OPACder BLB  49 Bände aus
Donaueschingen erschienen. Doch im Begleitbuch taucht auch Schönhuths
Wigalois-Buch auf, das 1872 herauskam! Gerade bei den sogenannten
"Volksbüchern" werden undokumentiert Bücher (besser: Heftchen) der
Bibliothek Laßbergs zugewiesen, ohne daß es dafür einen hinreichenden
Grund gibt. Daß die Donaueschinger bzw. Kieferschen Konvolute auf die
zusammengeschnürten Volksbuch-Konvolute zurückgehen, die Laßberg in
einem Brief an Uhland 1836 erwähnt [17], ist nicht beweisbar. Die
meisten "Volksbücher" bei Kiefer (Auktion 41, 4399ff.) sind von dem
Antiquariat Laßberg zugewiesen worden. Die BLB weist darüberhinaus auch
weitere Stücke seiner Bibliothek zu, ohne daß in Rechnung gestellt wird,
daß in Donaueschingen nicht nur Laßberg Volksbücher gesammelt hat. Die
Leipziger "Neuen Volksbücher" Nr. 4425 sind 1851 bis 1858 erschienen,
können also gar nicht alle Laßberg, der 1855 starb, gehört haben. Ob
Schönhuth Nr. 4132 (von mir eingesehen) tatsächlich Laßberg gewidmet
hat? Ich habe keinen der üblichen Provenienzhinweise gefunden! Die 21
Schriften von Nr. 4429 können unmöglich alle von Laßberg stammen, denn
eine weist nach Kiefer den Stempel Leontines von Fürstenberg auf. Obwohl
drei nach Kiefer aus Laßbergs Bibliothek stammen sollen, habe ich mir im
ganzen Packen nur zwei Laßberg-Signaturen notiert: Geschichte vom König
Eginhard (XXI.2755), [Die nüzliche Unterweisung] (XXI.2740) - Schrank
XXI war der altdeutschen Literatur gewidmet. Bei dem Kayser Octavianus
von 1784 im gleichen Konvolut liegt es aufgrund einer Briefstelle nahe,
ihn für Laßberg zu reklamieren, aber bei den übrigen stellt sich die
Frage, wieso ausgerechnet sie keine Signatur erhalten haben sollen, denn
die meisten Volksbücher tragen laut Kiefer ja Laßbergsche
Provenienzmerkmale.

Es darf also festgehalten werden, daß der Begleitband in seinem
Katalogteil keine wissenschaftlich saubere Dokumentation zur
Laßbergschen Bibliothek bietet. Da seine Angaben nicht über das
hinausgehen, was im Südwestverbund an Katalogisierungsdaten online
recherchierbar ist, ist der Wert der Liste zweifelhaft. Zu den
skandalösen Versäumnissen bei der Rettung der Laßbergschen Bibliothek
kommen somit leider auch Mängel bei der wissenschaftlichen Erschließung
der dankenswerterweise erworbenen Bücher hinzu. 


[10] http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/aktuelles/lassberg.html

[11] Siehe die Abbildung aus dem Widmungsexemplar des Konstanzer
Susogymnasiums:
http://www.suso.kn.bw.schule.de/susobib/roman2.htm

[12] Ankündigung: http://www.tg.ch/biblio/htm/Lassberg.htm

[13] Im Rahmen einer WWW-Dokumentation zum Schwabenkrieg 1499:
http://www.phil.uni-freiburg.de/SFB541/B5/schwabenkrieg/pupikofer.html
und auf einer Bildergalerie meines Projekts "Donaueschingen Digital":
http://members.nbci.com/_XMCM/klausgraf/index.html

[14] Vgl. die kleine Online-Ausstellung:
http://www.mpier.uni-frankfurt.de/Bibliothek/FFHD-Ausstellung/FHHD.html

[15] http://www.uni-koblenz.de/~graf/dondig.htm

[16] http://sua.blb-karlsruhe.de/

[17] Zum folgenden vgl. Martin Harris, Joseph Maria Christoph Freiherr
von Lassberg, 1991, S. 42f.

Dr. Klaus Graf
mailto:graf _at__ uni-koblenz.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.