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Vorsicht! [Re: Docster existiert bereits]



Lieber Herr Eversberg, liebe Kolleginnen und Kollegen,

hier lauern meines Erachtens gleich mehrere Fallen, vor denen
Bibliotheken sich hüten sollten. Insbesondere möchte ich Ihr Fazit, das
Bibliothekswesen brauche sich in Sachen Docster nicht zu engagieren, in
Frage stellen und vor einer pauschalen Empfehlung an unsere Kunden
warnen. (Aus Ihrer ironischen Schlußbemerkung schließe ich allerdings,
daß Sie das so ganz ernst nicht gemeint haben, sondern vielleicht eher
als gezielte Provokation, um eine Debatte und konkrete Schritte in Gang
zu bringen, die aus Nutzersicht (Klaus Graf) ja bereits zurecht
eingefordert wurde.) 

1. Grokster ist (wie Sie schon vermuteten) ein KaZaA clone: Sie benutzen
nicht nur beide den FastTrack P2P stack, sondern greifen auf dasselbe
Peer-to-Peer-Netzwerk zurück. (Ob all diese dot coms wirklich unabhängig
sind, mag man bezweifeln, wenn man sieht, daß Grokster von
KaZaA-Technology spricht, wo der korrekte Terminus doch eigentlich
FastTrack sein müßte. Etwas undurchsichtig ist die ganze Geschichte
schon.) Und wodurch unterscheiden Sie sich? Wenn ich der "CD
Freaks"-Site glauben schenken darf, im wesentlichen durch die Anzahl der
eingebauten "spyware" plugins ...

-> http://www.cdfreaks.com/news2.php3?ID=2298

(Grokster ist 700 KB kleiner und versucht "nur" 1 spyware plugin zu
installieren) Die Sache mit der Spyware läßt natürlich die Warnglocken
klingeln: siehe hierzu

The Parasite Economy / Damien Cave
(Salon Magazine, Aug 2, 2001)
http://www.salon.com/tech/feature/2001/08/02/parasite_capital/print.html

Sicherheit in Peer-to-Peer-Netzen / Erik Möller
(Telepolis 29.06.2001)
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/7972/1.html

Es stellt sich die Frage, ob Bibliotheken Software empfehlen sollten,
die weit entfernt von den Standards an Sicherheit und Wahrung der
Privatsphäre sind, die Bibliothekskunden bisher von Systemen wie SUBITO
und der traditionellen Fernleihe gewohnt sind. 

2. >Docster KOENNTE also umgehend seinen Betrieb aufnehmen,
>WENN nun alle, die irgendwelche urheberrechtsfreien
> Dokumente bereitzustellen haben, und das koennten eben
> auch Fernleihdateien sein, ... ihre Sachen einbringen.

Darin liegt ja wohl der Knackpunkt, daß die Beschränkung auf die
"urheberrechtsfreien Dokumente" reine Fiktion ist, wenn die Software "as
is" genutzt wird. Dann kann auch niemand verhindern, daß beliebige
Subito Dokumentenlieferungen dort eingebracht werden. Wenn wir dies auch
nur indirekt befördern (eben durch Aussprechen einer offizielle
Empfehlung von P2P-Software für den Dokumentenaustausch an Fernleih- und
Subitokunden, die natürlich schon rein wettbewerbsrechtlich
problematisch scheint), dann sehe ich einen Aufstand sondergleichen
unter den Verlagen kommen, bis dahin, daß SUBITO überhaupt (samt allen
dort erreichten Kompromissen zwischen Bibliotheken, dem Börsenverein und
der VG Wort) wieder infragegestellt werden könnte.

Daniel Chudnovs Idee - vgl. sein grundlegendes Thesenpapier v. April
2000, 

docster: instant document delivery
http://www.oss4lib.org/readings/docster.php

war dagegen eine ganz andere: er will gerade keine Abkopplung vom
Bibliothekssystem, sondern sieht Docster als legitime Fortsetzung der
traditionellen Fernleihe unter Einsatz modernster P2P-Technologie. In
diesem System sind Bibliotheken der backbone des P2P-Netzes (Chudnov
spricht von einer Föderation der Docster-Server auf der Ebene von
Institutionen oder Konsortien). Der Hauptgrund dafür ist, daß zum
Konzept von Docster ein Copyright-Management-System gehört, das dafür
sorgt, das für nicht urheberrechtsfreie Texte auch entsprechende
Tantiemen abgerechnet werden, wie jetzt bei Subito auch. 

Chudnov stellt auch die Frage, "Why wouldn't researchers create
workarounds and bypass the libraries altogether?". Seine Antwort darauf
ist, daß sie das natürlich jetzt bereits tun können (nicht erst seit
KaZaA, obwohl das wohl einer der ersten Clients ist, mit dem das
Filesharing genauso leicht wie mit napster geht), aber Bibliotheken
hätten entscheidende Vorteile: 

a) unsere Kunden wissen, daß ihre privaten Daten bei uns sicher sind
b) Bibliotheken können Mehrwertdienste anbieten, z.B. die nahtlose
Integration von Docster in bestehende hybride Bibliothekssysteme (z.B.
über kontextsensitive lokale Suchfunktionen oder besser gesagt
föderierte Suchdienste, Stichwort "appropriate copy", SFX, OpenURL,
jake, Open Archives Initiative etc.)
c) (Wissenschaftliche) Bibliotheken dürften genügend Kunden, denen eine
schnelle, aber zuverlässige Lieferung von Dokumenten, wie sie
Bibliotheken unter Beibehaltung ihres bisherigen hohen Standards mit der
Integration eines Systems wie Docster in ihre künftige Infrastruktur
besser und effizienter denn je garantieren könnten, ihren Preis wert
ist. 

Und viele Dokumente werden (urheber)gebührenfrei sein: ihr Anteil
wächst, je mehr alte Dokumente in das System eingebracht werden und in
dem Maße, wie eingebrachte Dokumente schließlich Public Domain werden. 

Um Chudnov nochmals zu zitieren:

"Put this together with today's increasingly online publishing, and a
window begins to close -- the window between today's e-prints (which
will increasingly follow the open archives specifications and be
accordingly easy to access) and yesterday's older print archives (which
will increasingly be public domain). In between is a growing pool of
documents available through docster, instantly accessible within
complete compliance of (read: payment for) copyright." 

Zu prüfen wäre sicherlich, ob der separat zu lizenzierende FastTrack P2P
stack eine Grundlage für ein für Bibliotheken zu entwickelndes Produkt
"Docster" wäre (daß Metadaten dort bereits im Ansatz integriert sind,
ist sicherlich ein gewisser Wettbewerbsvorteil, aber bereits Chudnov
hielt diese Funktionalität für einen "easy hack") oder ob ein bestehende
Open Source Produkte hierfür weiterentwickelt werden sollte. Diese Frage
sollte einfach mal auf der oss4lib-docster-Liste (auf der sich im Moment
nicht viel tut) vorgebracht werden. Davon unabhängig würde es mich nicht
wundern, wenn ein Anbieter wie ExLibris (SFX ...) bereits Pläne für ein
solches Produkt schmiedet. 

Übrigens wird Daniel Chudnov einer der Referenten auf der (2.) O'Reilly
Peer-to-Peer and Web Services Conference in Washington, D.C.
(18.-21.9.2001) unter dem Motto "Inventing the Post-Web World" sein, 
wo er einen Vortrag zum Thema "The History of Inter-Library Loan" hält. 
-> http://conferences.oreillynet.com/cs/p2pweb2001/view/e_sess/1624

Mit besten Grüßen,
Bernd-Christoph Kämper, UB Stuttgart

Bernhard Eversberg wrote:
> 
> ... heisst aber nur anders: "Grokster" und "KaZaA" sind
> gleich zwei neue "Pear-to-Pear Networks" (P2P networks),
> die beide nicht nur das "File Sharing" fuer Musik,
> Videos, Bilder und Software organisieren, sondern auch
> fuer "Documents" geeignet sein sollen.
> Von der Site einer Firma "FastTrack", die beides
> unterstuetzt, (womoeglich ist beides dasselbe!?)
> kann man sich die Software herunterladen:
> 
>    http://www.fasttrack.nu/index_int.html
> 
> um mit seinem eigenen PC am Netzwerk teilnehmen zu
> koennen, also auch selber Dateien bereitzustellen.
> 
> Docster KOENNTE also umgehend seinen Betrieb aufnehmen,
> WENN nun alle, die irgendwelche urheberrechtsfreien
> Dokumente bereitzustellen haben, und das koennten eben
> auch Fernleihdateien sein, sich auf dieses System
> stuerzen und ihre Sachen einbringen. Das ist ganz leicht:
> Es gibt in KaZaA eine Komponente, in der man alle Files
> aus dem eigenen Dateisystem auswaehlen kann, die man
> bereitstellen moechte, und schon werden sie dafuer
> angemeldet. Mit der Funktion "Edit details" (rechte
> Maustaste) kann man jeder Datei ein paar Metadaten
> beifuegen: Titel, Verfasser, Sachgebiet, Dokumenttyp
> (u.a. "Article" und "Thesis"), Sprache, Datum, Keywords,
> Version, Abstract (mit Dublin Core hat das offenbar
> nichts zu tun).
> 
> Fazit: das Bibliothekswesen braucht sich nicht zu
> engagieren, Docster kann von den Nutzern allein
> aufgebaut werden (als Teilmenge von KaZaA) - was ja auch
> das durch "Napster" erstmals realisierte Konzept ist.
> Fragt sich nur noch, wann sie damit anfangen...
> Wir sollten einen Handzettel machen, den wir jedem
> Fernleihkunden aushaendigen, bzw. der E-Mail beifuegen.
> Ach so, wie zuverlaessig und sicher die Sache ist, und
> ob man davon ausgehen kann, dass die Firma unbegrenzt
> existieren wird? Wer stellt denn heute SOLCHE Fragen...
> wissen wir denn, wie lange wir noch existieren?
> 
> Bernhard Eversberg
> Universitaetsbibliothek, Postf. 3329,
> D-38023 Braunschweig, Germany
> Tel.  +49 531 391-5026 , -5011 , FAX  -5836
> e-mail  B.Eversberg _at__ tu-bs.de


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