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Negroponte und einige Praezisierungen



Liebe Mitdenker,
1) ich habe die Sach mit der Dreidimensionalitaet des Buches wohl etwas
schief ausgedrueckt. Deshalb der kurze Versuch einer Praezisierung:
Natuerlich sind alle Objekte, auch Computerbildschirme dreidimensional. Aber
IN diesem Objekt Bildschirm steht kein Text, sondern nur AUF ihm. In einem
Buch aus Papier steht der Text AUF den Blaettern IM Buch. Der Text ist daher
zwar auf einer zweidimensionalen Flaeche festgehalten, zugleich aber in ein
dreidimensionales Medium eingebracht. Die Lokalisierung einer Textpassage
ist daher raeumlich (und nicht linear, wie man seit M. McLuhan dem Buch
nachsagt). Diese Lokalisierung ist ausserdem eine FESTE, denn der Text hat
in jedem seiner Momente einen praezisen Ort sowohl auf dem zweidimensionalen
Blatt als auch im dreidimensionalen Buch.
2) In einem *richtigen* Buch ist das Speichermedium mit dem Ausgabemedium
identisch. Diese Identitaet ist der Grund fuer die ausserordentliche
medientechnische Unkompliziertheit und Stabilitaet des Mediums Buch.
Ebendiese medientechnische Stabilitaet hat ausserdem den Effekt, dass
Buecher ein VERLAESSLICHES Medium sind: die Zeichen stehen an einem
definierten Ort, sind unverrueckbar und ohne Zuhilfenahme weiterer Medien
lesbar. Das weckt Vertrauen. Ein Computertext, wenn ich das mal so nennen
darf, trennt Speicher- und Ausgabemedium. D.h. auf dem Bildschirm *steht*
der Text nicht, sondern wird nur angezeigt. Wenn ueberhaupt, dann steht der
Text nur auf der Festplatte. Aber auch dort steht er nicht als lesbarer
Text, sondern als fuer den Menschen unlesbarer Kode, dessen Lesbarkeit erst
technisch hergestellt werden muss. Man muss daher einer ganzen Menge Technik
vertrauen. Und viele Leute vertrauen ihr nicht: Ihnen fehlt, mit Recht, auf
dem Bildschirm die Authentizitaet der Texte.
3) Man kann natuerlich auf die Idee kommen (der SPIEGEL hat darueber ja
berichtet), das Buch mit seinen physischen Eigenschaften nocheinmal zu
erfinden und mit dem Computer zu kreuzen. Das waere nicht die erste
Kreuzung, die floppt. Und sie wird floppen. Gruende siehe oben: es waere
naemlich kein *richtiges* Buch mit seinen textstabilen Eigenschaften.
4) Es ist falsch, wie neueste Leseuntersuchungen zeigen, dass die Kids
weniger lesen. Sie lesen im Schnitt genauso viel papierene Buecher wie vor
20 Jahren. Es ist auch falsch, dass man auf dem PC lange, reflektierende
Texte liest. Mag sein, dass das der eine oder andere tut und sich darueber
freut, dass er sich schon reichlich zukuenftig verhaelt. Aber nicht mehr
lange, denn irgendwann ist die maximale Dioptrienzahl fuer Brille oder
Kontaktlinsen erreicht. Grund: Das Medium Bildschirm flimmert hat eine so
ungeheuer miserable Pixeldichte, die jedes Auge auf Dauer ruinieren. Mit 20
Jahren merkt man das vielleicht noch nicht, mit doppelter Jahreszahl schon eher.
5) Dieser Text hat seine medientechnische Grenze ueberschritten. Wer mehr
zum Thema erfahren will, kann ja in einem anderen Medium weitermachen:
Gerhard Wagner, Uwe Jochum: Cyberscience, oder vom Nutzen und Nachteil der
neuen Informationstechnik fuer die Wissenschaft. In: ZfBB 43 (1996), Heft 6,
S. 579-593.
Mit einem herzlichen Dank fuer die Reaktionen
Ihr
Uwe Jochum

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 Dr. Uwe Jochum
 Fachreferent
 Universität Konstanz
 Bibliothek
 78457 Konstanz
 Tel.     07531 / 882835
 Fax      07531 / 883082
 email  uwe.jochum _at__ uni-konstanz.de
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