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Re: AACR-Umfrage: Nachlese



Sehr geehrter Herr Umstätter,
 
> Demokartie ist überall dort wichtig, wo kein wirkliches Wissen vorhanden
> ist.
> Aber Wissen durch Demokratie zu ersetzen ist abenteuerlich, insbesondere
> dann,
> wenn man damit demonstriert, dass man keine ausreichende Wissenschaft hat.

Sie haben schon öfters diese Meinung vertreten und - abgesehen von der
recht fragwürdigen Auffassung, dass Entscheidungen im deutschen
Bibliothekswesen je "demokratisch" getroffen wurden - dreht sich mir
jedes Mal der Magen um, wie ein deutscher Professor hier Wissen gegen
Demokratie ausspielt, ja anscheinend überhaupt nichts vom Wesen der
Demokratie verstanden hat. Wenn Demokratie nur dann wichtig wäre, wo
kein "wirkliches Wissen" vorhanden ist, dann können wir sie gleich
aufgeben und eine Technokraten-Diktatur einrichten.

1. Was heißt "wirkliches Wissen". Uns ist in der Geschichte von sog.
Experten, und natürlich wissenschaftlich abgesichert, schon eine Menge
Dünnpfiff verkauft worden. Mir fällt jetzt als ein Beispiel vor allem
die Kernenergie ein. Da stellen sich dann auch die Umstätters der
Atomindustrie hin und sprechen demokratischen Protesten die Legitimation
ab, weil sie nicht auf "wissenschaftlicher Erkenntnis" (von wem?)
beruhten. :-(

2. "Wissen" ersetzt niemals Entscheidungen!!! D.h. Wissen kann uns sagen
was *ist* und Wahrscheinlichkeiten nennen dafür, *was wäre wenn*. Aber
die Entscheidung was sein *soll*, kann sie uns niemals abnehmen!! Und
zwar vor allem deshalb, weil Entscheidungen immer etwas mit konkreten
Interessen und Bedürfnissen von Menschen zu tun hat. Wer die nicht
beachten will, wer davon abstrahieren will - und mag er noch so sehr
wissenschaftlich abgesicherte Weisheit auf seiner Seite wähnen - der
macht Wissenschaft zu einer Ideologie zugunsten der Interessen und
Bedürfnisse derer die jeweils die Macht haben. 

Das mag im ein oder anderen Fall eine sinnvolle Entscheidung sein, auf
die Dauer aber lähmt es jede Gesellschaft. Der real existierende
Sozialismus, in dem man auch gerne "Wissenschaftlichkeit" gegen
Demokratie ausgespielt hat, ist ein gutes Beispiel hierfür. Demokratie
und Pluralismus sind überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass
Wissenschaft nicht zur Ideologie degeneriert!!

(Es gibt übrigens einen Philosophen namens Habermas, der hat hierfür die
beiden Begriffe "instrumentelle Vernunft" und "praktische Vernunft"
voneinander abgegrenzt. Wäre vielleicht eine interessante Lektüre.)

Um zum konkreten Thema zurückzukehren: Hallo, Herr Umstätter, falls Sie
es nicht bemerkt haben, hier gab es über 1000 Bibliothekare und
Bibliothekarinnen, die versucht haben, unter anderem mit dieser
Abstimmung, ein Stück Fachkenntnis überhaupt einmal in die Debatte
einzubringen!!! Und was sollen einsame Entscheidungen irgendwelcher
Gremien, wenn diejenigen, die sie umsetzen müssen, nachher nur mit den
Schwierigkeiten bei der Erreichung eines Ziels zu kämpfen haben, das
überhaupt nicht als sinnvoll erkennbar ist!

Mit freundlichen Grüßen,
Volker Hartmann,
HAB Wolfenbüttel


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