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Re: Rechtsfrage



Am Dienstag, 16. Juli 2002 15:38 schrieb Harald Mueller:

> Da ich hier nicht die gesamte Rechtslage darlegen kann, nur kurz
> zur entscheidenden Frage: Auf welche Rechtsgrundlage könnte
> sich der Verletzte stützen? Hier kommt § 98 Abs. 1 UrhG in Frage:
>
> "(1) Der Verletzte kann verlangen, daß alle rechtswidrig
> hergestellten, verbreiteten oder zur rechtswidrigen Verbreitung
> bestimmten Vervielfältigungsstücke, die im Besitz oder Eigentum
> des Verletzers stehen,  vernichtet werden.
>
>  (2) Statt der in Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen kann der
> Verletzte verlangen, daß ihm die Vervielfältigungsstücke, die im
> Eigentum des Verletzers stehen, gegen eine angemessene
> Vergütung überlassen werden, welche die Herstellungskosten nicht
> übersteigen darf.
>
>  (3) Sind die Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 gegenüber
> dem Verletzer oder Eigentümer im Einzelfall unverhältnismäßig und
> kann der durch die Rechtsverletzung verursachte Zustand der
> Vervielfältigungsstücke auf andere Weise beseitigt werden, so hat
> der Verletzte nur Anspruch auf die hierfür erforderlichen
> Maßnahmen."

Dieser Paragraph kommt schon deswegen nicht so ohne weiteres in Frage, weil 
eine Bibliothek nicht "Verletzer" ist. Die Regelungen beziehen sich allein 
auf Entschädigungsansprüche des Verletzten gegen den Verletzer von 
Urheberrechten. Interpretiert bedeutet das, der Verletzer müsste eine 
Rundreise zu allen Bibliotheken antreten und darf den beanstandeten Teil der 
Dissertation aus dem Band tatsächlich herausnehmen, ohne dass die 
Bibliotheken dies verhindern könnten.

> Da die Bibliothek nicht (!) Verletzer im Sinne dieser Vorschrift ist,
> besteht gegen sie kein Anspruch auf Vernichtung. Sie hat ja die
> rechtswidrige Herstellung des Buches nicht besorgt. Allerdings
> könnte die Bibliothek Verletzer werden, wenn sie das betreffende
> Buch "verbreitet". Nach einhelliger Ansicht findet ein "Verbreiten"
> durch eine Bibliothek nur dann statt, wenn das Werk ausgeliehen
> wird. Eine Präsenznutzung gilt nicht (!) als Verbreiten.

Die "Verbreitung" reicht nicht aus, um Verletzer zu werden. Das Argument der 
Präsenznutzung gegen die Unterbindung von Verbreitung ist meiner Ansicht nach 
schwach, da während dieser selbstverständlich Kopien für den Privatgebrauch 
angefertigt werden könnten. Präsenznutzung dient ja der Zugänglichkei zum 
Werkt, und wenn ich es richtig verstanden haben, kann der Verletzte eben auch 
beanspruchen, die Zugänglichkeit zum Werk, die ein Verletzer ermöglicht hat, 
zu unterbinden.

Eine Vernichtung erscheint mir nur dann unumgänglich, wenn der Verletzte 
nachweisen kann, dass der ihm entstandene materielle (und für 
wissenschaftliche Werke auch immaterielle) Schaden auf keine andere Weise 
behoben werden kann. Das ist so gut wie unmöglich. Selbst dann kann die 
Bibliothek die Kosten für die Heraustrennung des Werkteils natürlich in 
Rechnung stellen. 

> Ich empfehle deshalb: Das betroffene Buch sofort aus dem
> Ausleihbestand herausnehmen. Es empfiehlt sich außerdem, das
> Buch auch nicht direkt in den frei zugänglichen Präsenzbestand zu
> stellen, sondern in einem (Gift-)Schrank wegzuschließen. Über
> diese Maßnahmen sollte der Betroffene informiert werden. Dabei
> darf der Hinweis nicht fehlen, daß die Bibliothek weder in der
> Vergangenheit "Verletzer" im Sinne von § 98 UrhG war, noch in der
> Zukunft das Buch "verbreiten" werde.

Eine solche Erklärung halte ich juristisch schon für eine Art vorauseilendes 
Schuldeingeständnis und sollte vermieden werden. 

Für ausschlaggebend halte ich den Zeitpunkt des Erwerbs. Nur wenn das Werk 
nach der Rechtskräftigkeit des Urteils erworben wurde, dann ist es gut 
möglich nachzuweisen, dass die Bibliothek unrechtmäßig Eigentum erworben hat, 
und von sich aus Massnahmen durchführen muss. Und da greifen dann bestimmt 
auch noch andere zivilrechtliche Paragraphen neben dem Urheberrecht.

Mich würde interessieren, wie trennscharf der Begriff "Verbreitung" ist. Ist 
damit bloss die "tatsächliche Inverkehrsbringung" gemeint, oder das 
Überlassen zum Anfertigen von Kopien bzw. Privatkopien für den persönlichen 
Gebrauch, das Aufstellen in einem zugänglichen oder unzugänglichen Regal, das 
Bereitstellen als Volltextdokument im Internet mit öffentlich bekanntem oder 
öffentlich nicht bekanntem Link, oder gar schon die Äusserung einer 
"Verbreitungsabsicht", z.B. durch die Katalogisierung mit Bereitstellung von 
Katalogdaten mit dem Hinweis auf die Ausleihbarkeit/Verfügbarkeit?

> Für einen Anspruch gegen eine Bibliothek auf Vernichtung des
> Buches sehe ich jedoch absolut keinen rechtlichen Anspruch.
> Wenn der Kläger eine andere Meinung hat, soll er mal versuchen,
> eine Bibliothek zu verklagen. Die Bibliotheksjuristen würden sich
> sehr freuen, hier ein Urteil zu erlangen. Denn bislang existiert ein
> derartiges Urteil gegen (!) eine Bibliothek noch nicht.

Und meine laienhafte Auffassung ist, dass es ein solches Urteil gegen 
öffentliche Bibliotheken nie geben wird, da die öffentlichen Bibliotheken 
nämlich auch grundgesetzlich geschützt sind (Art.5 GG) und berechtigte 
Einzelinteressen gegen das öffentliche Interesse an dem Werk stets abgewogen 
werden muss. 

Viele Grüße

Jörg Prante

-- 
Jörg Prante
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