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Re: AW: Informatiker entwickeln Bibliothek der Zukunft



Hallo,

[ vielleicht ist diese Mail ein wenig off-topic, aber es paßte einfach
  gerade zu gut zum Thema ]


Matthias Scholz schrieb:

> Der Steuerzahler, der Bildung und Forschung ja bereits bezahlt,
> wird sicher mit Freuden darauf reagieren, wenn er, um die Ergebnisse
> dieser Forschung sehen zu können, auch noch bezahlen muß.

Der Software entwicklende Steuerzahler schnaubt mittlerweile dreifach:

- erst werden seine Steuergelder verwendet, um Konkurrenten zu
  subventionieren

- die Ergebnisse öffentlich geförderter IT-Projekte sind in der Regel vom
  realen Anwendbarkeitsniveau her unterdurchschnittlich, auch wenn es
  unterwegs vielleicht viele Diplomarbeitsthemen gegeben haben mag.
  Ergebnisse von öffentlich geförderten Projekten im IT-Bereich haben
  sich häufig nicht durchgesetzt - Subventionen in diesem Bereich bergen
  also grundsätzlich ein erhöhtes Risiko, einfach nur "zu verpuffen"

- wenn diese subventionierten Firmen dank Pro-Patent-Stimmung und
  drohender Ausweitung der Befugnisse im Bereich Software-Patentierung
  dann auch noch das Arbeitsfeld mit Tretminen spicken, dann entstehen
  unverantwortbare Rechtsrisiken für Software-Entwickler. Hier besteht
  gerade im Zusammenhang mit unseren halbstaatlichen Großforschungs-
  einrichtungen ein erhebliches Gefahrenpotential, daß das "Recht auf
  Innovationstätigkeit" von einem Grundrecht zu einem Privileg mutiert.

Gerade der letztgenannte Punkt im Rahmen der schleichenden Hochschulre-
form droht insbesondere den IT-Bereich abzuwürgen, weil hier gemeinhin
eine hohe Innovationsdichte gesehen wird. Real handelt es sich zumeist
zwar logisch betrachtet um viele aufeinander aufsetzende Kleinst-Erfin-
dungen, die für sich betrachtet nur eine begrenzte Relevanz haben, der
"Output" ist aber enorm und für einen Laien ist nicht erkennbar, wie
viel tatsächliche Innovation zum Erreichen eines Ergebnisses tatsächlich
erforderlich ist.

Ganz abgesehen von der inhaltlich-qualitativen Sichtweise: Vielleicht hat
der ein oder andere Leser in der Runde in den letzten Tagen die Diskussion
um JPEG-Bilder mitbekommen. Plötzlich soll JPEG Lizenzgelder kosten.
Nachdem es 10 Jahre benutzt wurde und ein quasi-Industriestandard ist.

Diese Methodik moderner Wegelagerei wird auch von unserer deutschen
Regierung gefördert, wenn Hochschulen mehr auf Patente und Vermarktung
gedrillt werden sollen.


Bezogen auf den staatlich geförderten Strukturwandel, der hier stattfindet,
sehe ich selbst unter Akzeptanz des normativen Prozesses noch ein ganz
großes Problem auf die Wissenschaft zukommen: Ein immer größerer Teil
der Gesamttätigkeiten wird sich in auf eine Meta-Ebene verlagern, auf
der über die Abgrenzbarkeit von Problemklassen von Erfindungen, über
Methodik zur Verwaltung von Erfindungen etc. gesprochen werden wird.
Das Patentwesen dient nur oberflächlich betrachtet der Verwaltung von
Wissen über Erfindungen. Faktisch werden hier innovative Kapazitäten
mit "Formalarbeiten" beschäftigt, wobei zwar auf der verbalen Ebene
mit Wissen, Wissenschaft und daraus abgeleiteten technischen Verfahren
umgegangen wird, jeglicher Praxisbezug aber völlig abhanden kommt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse in Patenten als technische Basis für
Verfahren hat nichts mit Wissenschaft zu tun, und meist auch nicht
mit Erfindung. Wer's nicht glauben will, möge sich mal ein paar
Patentschriften anschauen. Gerade im Hochtechnologiebereich dienen
Patente nicht zur Fachkommunikation, sondern sind eine Spielwiese für
pseudoqualifizierte Halbwisser, die sich mit juristischen Tricks
und einer Menge Lobbyarbeit ihrer Ergebnisse brüsten können.

Langfristig droht die tatsächliche Innovationstätigkeit in diesem Sumpf
zu verkommen. Noch verbleibende innovative Kräfte werden durch den
Patentierungswahn ausgebremst (Stichwort "Sperrpatente"), und die
Fachdiskussion geht durch den Zank "mein Wissen - Dein Wissen" auch
kaputt. Das hat man im EDV-Bereich bereits in den vergangenen 10 Jahren
sehr deutlich beobachten können. Ich wünsche Technikern in anderen
Feldern, daß sie nicht die gleichen Erfahrungen machen müssen.

Viele Grüße,
Daniel Rödding





-- 
Daniel Roedding                                       phone: +49 5252 9838 0
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