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Recht: Taschenkontrolle



Aus ForumOeB
http://www.hbz-nrw.de/produkte_dienstl/mlist/forumoeb/200212/20021206.html

> Liebe Kolleginnen und Kollegen,
> wie gehen Sie vor, wenn die Sicherungsanlage Alarm gibt, der Kunde sich
> aber weigert, die Taschen zu öffnen? Wir hatten das Problem letzte Woche
> bei einem Kind.
> Lt. unserer Information sind wir ohne Polizei aber nicht berechtigt, uns
> den Tascheninhalt zeigen zu lassen.

Es gibt zum Problem der Taschenkontrollen eine aeltere Darstellung im BD
1995 aufgrund eines BGH-Urteils:

http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/einzelth/rechtpub/taschkon.htm

Dort wird die Rechtslage der allgemeinen Zulaessigkeit der
Taschenkontrolle in Bibliotheken aufgrund des Benutzungsverhaeltnisses
differenziert nach privatrechtlichem und oeffentlichrechtlichem
Benutzungsverhaeltnis dargestellt.

"Eine Klausel, die Taschenkontrollen androht, muß in der
Benutzungsordnung / den AGB / der Hausordnung enthalten sein. Sie muß im
Inhalt eindeutig und bestimmt sein (siehe obige Ausführungen), so müssen
die Konsequenzen klar genannt werden. Auszüge aus der Benutzungsordnung
sollten gut sichtbar ab Beginn des Geltungsbereichs aushängen, so daß
vor allem auch nicht angemeldete Nutzer diese zur Kenntnis nehmen
können."

Nicht beruecksichtigt werden in diesem kurzen Aufsatz die Fragen:

1. Wie darf eine zulaessige generelle Taschenkontrolle im Einzelfall
durchgesetzt werden?

2. Wie ist die Lage bei Einsatz einer Buchsicherungsanlage?

a) Was ist, wenn sich die Buchsicherungsanlage am Eingang der
Bibliothek, also vor einem frei mit Taschen betretbaren Bereich
befindet?

b) Begruendet das Anschlagen der Buchsicherungsanlage einen zur
Durchsuchung berechtigenden konkreten Tatverdacht?

Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen (keine Rechtsberatung!)

Ad 1

Ein Security-Service informiert unter
http://www.wieland-security.de/Recht/Urteile/hauptteil_urteile.html


"Taschenkontrolle nur durch die Polizei

Einzelhändler müssen im Kampf gegen Ladendiebe ihre rechtlichen Grenzen
genau beachten. So
   untersagte der Bundesgerichtshof BGH(Az: VII ZR 221/95) dem Betreiber
einer
   Einzelhandelskette, dessen Kunden die Durchsuchung der mitgebrachten
Einkaufstaschen an der
   Kasse per Hinweistafeln anzudrohen. 

Ohne begründeten Verdacht sind Taschenkontrollen verboten. Sie stellen
eine Vorverurteilung und
   Diskriminierung dar. Es dürfen dem Kunden auch keine Sanktionen
angedroht werden, wenn er
   sich weigert, seine Tasche zu öffnen. Taschenkontrollen sind
ausschließlich bei einem wirklich
   konkreten Verdacht auf einen Diebstahl zulässig, so der BGH  (Az: VII
ZR 221/95). Und nur dann
   darf der Hausdetektiv oder das Personal den Betreffenden bis zum
Eintreffen der Polizei festhalten.
   Ausschließlich der Polizei ist es gestattet, Tasche und Person nach
Diebstahlsgut zu durchsuchen. 

Sollte die Polizei nach zwei Stunden Wartezeit noch nicht eintreffen, so
muß die betreffende Person
   freigelassen werden, wenn sie Personalien und Anschrift hinterläßt.
Andernfalls gilt für ein weiteres
   Festhalten der Tatbestand der Freiheitsberaubung

Auszug "Protector" Mai 1998, B14371"

Eine Verbraucherseite schreibt unter
http://www.pmpgp.de/siemund/alex/links/rechte/

"Zu Unrecht an den Pranger gestellt! Bei den Verbraucherzentralen häufen
sich die Beschwerden. Vor allem Kaufhausdetektive überschreiten oft ihre
Grenzen.
Und diese hat der BGH bereits in einem Urteil vom 03. November 1993 (AZ:
VIII ZR 106/93) deutlich umrissen.
Danach haben weder die Angestellte noch die Hausdetektive das Recht, die
Taschen ihrer Kunden gegen deren Willen zu durchsuchen. Nur wenn ein
konkreter Verdacht besteht, z.B.
weil eine nicht bezahlte Weinflasche aus der Einkaufstüte herausschaut
oder die Tat beobachtet wurde, muss die Tasche geöffnet werden.
Allerdings darf die Durchsuchung ohne
Zustimmung des Kunden nur von der Polizei vorgenommen werden!
Keinesfalls darf ein Kunde, der eine Durchsuchung ablehnt, mit Gewalt
dazu gezwungen werden. Der Detektiv darf den Dieb nur dann festhalten,
wenn er mit eigenen Augen beobachtet
hat, dass dieser gestohlen hat. Das nennt sich dann Zeugenbeweis. In
allen anderen Fällen begeht er Freiheitsberaubung! Verbraucherschützer
raten bei diesem Sachverhalt zur
Strafanzeige. Außerdem besteht die Möglichkeit eine Zivilklage
einzureichen.
So verurteilte das Amtsgericht in Osnabrück (AZ: 40 C 26/88) einen
Detektiv, der eine unschuldige Kundin unter dem Verdacht des Diebstahl
eine Stunde festgehalten hatte, zu 125 Euro
Schmerzensgeld."

Im Ausgangsfall handelte es sich um ein KIND. Unabhaengig von einer
Strafverfolgung (Strafmuendigkeit) besteht ein berechtigtes Interesse
der Bibliothek, ein moeglicherweise gestohlenes Medium
zurueckzuerlangen. Existieren Moeglichkeiten, ohne einen Polizeieinsatz
die Identitaet des Kindes und damit auch der Erziehungsberechtigten
ausfindig zu machen, so sind diese vorrangig zu nutzen. Ob ein
Polizeieinsatz unverhaeltnismaessig ist, auch wenn sich das Kind absolut
stur stellt, muesste unter Beruecksichtigung der Antwort zu 2b und der
diskriminierenden Wirkung eines Polizeiansatzes von einem
Bibliotheksjuristen geprueft werden.

Bei Erwachsenen gilt nach obigem, dass eine Taschenkontrolle vom
Bibliothekspersonal nicht gegen den Willen des Besuchers durchgefuehrt
werden darf.

Ad 2a

In der RLB Koblenz befindet sich nicht nur am Lesesaalausgang, sondern
auch im frei zugaenglichen Erdgeschossbereich (u.a. mit kostbaren
bibliographischen Werken) am Bibliothekseingang eine
Buchsicherungsanlage. Ein Besucher hat nicht die Moeglichkeit, vor
Passieren dieser Anlage die oeffentlichrechtliche Benutzungsordnung oder
einen entsprechenden Hinweis zur Kenntnis zu nehmen. Die Ausfuehrungen
zur Taschenkontrolle im o.g. BD-Aufsatz und zum Tascheneinschliessen
sind nicht ohne weiteres uebertragbar.

(Oeffentlichrechtliche) Benutzungsordnung
http://www.rlb.de/bo.html

"§ 8 Kontrollrecht der Bibliothek

Auf Verlangen ist der Ausweis nach § 2 Abs. 4 oder ein amtlicher Ausweis
mit Lichtbild vorzulegen. Mitgeführte Werke, Zeitschriften u. ä. sind
vorzuzeigen und der Inhalt von mitgeführten Aktenmappen, Handtaschen und
anderen Behältnissen ist kontrollieren zu lassen."

Damit ist ein Buendel offener Fragen aufgeworfen:

2a-Nr.1 Die Benutzungsordnung ist weder eine Satzung noch eine
Rechtsverordnung. Kann ein so tiefgreifender Grundrechtseingriff auf
dieser Grundlage erfolgen?

2a-Nr.2 Gilt der Paragraph auch fuer die nicht registrierten Benutzer,
die den Lesesaal aufgrund konkludent erteilter Erlaubnis benutzen?

2a-Nr.3 Gilt er auch fuer die Laufkundschaft, die den frei zugaenglichen
Erdgeschossbereich mit Taschen betreten darf?

2a-Nr.1 ist strittig.

Zu Nr. 2: Das erscheint mir ebenfalls zweifelhaft, da sich die
Vorschriften der Benutzungsordnung vor allem an die angemeldeten
Benutzer richten. Die Vorschrift enthaelt einen sehr weitgehenden
Eingriff in die Grundrechte. Es ist fraglich, ob der Paragraph in dieser
Allgemeinheit haltbar ist.

Eine Taschenkontrolle am Lesesaalausgang erscheint dann gerechtfertigt,
wenn trotz der Verpflichtung Taschen einzuschliessen (§ 7 Abs. 2) solche
mitgefuehrt wurden. Auch die eigenen Buecher und Zeitschriften duerfen
wohl daraufhin ueberprueft werden, ob vielleicht - was ja auch
versehentlich geschehen kann - ein Bibliotheksmedium darunter geraten
ist.

Zu Nr. 3: Fuer den frei zugaenglichen Bereich sehe ich keine
Rechtsgrundlage, ein Besucher hat keine Moeglichkeit, die
Benutzungsordnung vor Passieren der Sicherungsanlage zur Kenntnis zu
nehmen und in eine Taschenkontrolle durch dieses Verhalten
einzuwilligen.  Ohne einen konkreten Verdacht (Anschlagen der Anlage
siehe unten) sind Kontrollen unzulaessig.

Ad 2b

Bei mir hat es auch schon mehrfach (Fehl-)Alarm gegeben (Grund: nicht
korrekt entsicherte Buecher, Fernleihbuecher). Auch mitgefuehrte Waren
aus Kaufhaeusern fuehren zu Fehlalarmen, die somit nicht extrem selten
sind.

Es muss aber trotzdem im Interesse des Besuchers sein, bei einem solchen
Alarm den Verdacht auszuraeumen und in eine Kontrolle einzuwilligen.
Weigert er sich, so darf trotzdem nicht zur Selbsthilfe gegriffen
werden. 

Bei einem registrierten Benutzer, dessen Identitaet bekannt ist,
koennen, wenn er sich weigert, auf die Polizei zu warten, sich im
Normalfall (keine Benutzung unersetzlicher Altbestaende) Massnahmen nach
der Benutzungsordnung als wirksam und ausreichend erweisen: im
Extremfall Entzug der Benutzung nach vorheriger Anhoerung (Einbestellung
zu einem Gespraech usw.).

Bei einem nichtregistrierten Besucher kann das Personal, wenn weitere
Umstaende - ueber das Anschlagen der Anlage hinaus - einen konkreten
Verdacht begruenden, diesen bis zum Eintreffen der Polizei notfalls
festhalten, wobei dem Besucher nicht zuzumuten ist, beliebig lange zu
warten. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass ein
Bibliotheksmitarbeiter, der kurz vor Schliessung der Bibliothek um 19
Uhr mit einem solchen Fall konfrontiert ist, seinen Feierabend durch ein
solches Procedere gefaehrdet ...

Das Festhalten gegen den Willen des Verdaechtigen ist aber nur mit
aeusserster Vorsicht vorzunehmen (keine Anwendung von Gewalt, kein
Sicherheitsrisiko fuer die Bibliotheksmitarbeiter oder andere Benutzer).

In jedem Fall sollte deutlich geworden sein, dass dem nachvollziehbaren
Wunsch der Bibliothek nach einer effektiven Kontrolle und einer
Diebstahlpraevention rechtliche Schranken, die sich durch die
Grundrechte des Benutzers ergeben, gegenueberstehen, die nicht ohne
weiteres ignoriert werden sollten.

Klaus Graf


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.