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Off topic: Bibliotheken in den USA und Terrorbekaempfung



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich möchte auf einen Artikel in der Zeitung "Der Bund" Bern aufmerksam machen, der in der heutigen Ausgabe erschienen ist.
Er ist auch leider nur heute kostenfrei unter http://www.ebund.ch nachzulesen.
Ich erachte ihn als für uns Bibliothekare äusserst interessant und wichtig genug, um ihn als quasi "Komplett-Zitat" in dieser Mail zu integrieren, weiterhin auch, da "Der Bund" ausserhalb der Schweiz sehr schwierig in der Printversion zu beziehen ist und nicht jeder heute den obenstehenden Link verwenden wird.
Das Thema wurde, wenn ich mich richtig entsinne, in INETBIB schon einmal angeschnitten:
Bibliotheken in den USA und die ihnen auferlegten Kontrollen im Namen der Terrorbekämpfung.

Mit freundlichen Grüssen
Bernd Martin Rohde
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Bernd Martin Rohde, Dipl.-Bibl. (FH)
Weissensteinstrasse 49c, CH 3007 Bern
Tel.: +41 (0)31 3716538, mailto:b.m.rohde _at__ gmx.net



US-Bundespolizei liest mit
Im Namen der Terrorbekämpfung geraten auch Bibliotheken ins Visier der Ermittler
Der Kampf gegen den Terrorismus wirkt sich auch auf das kulturelle Leben in den USA aus: Bibliotheken und Buchläden wehren sich dagegen, dass die Bundespolizei FBI das Leseverhalten ihrer Kunden überwachen darf. Das FBI betont, es wolle terroristische Anschläge verhindern. 
«Würden Sie zweimal darüber nachdenken, was Sie lesen, wenn Sie wüssten, dass Sie überwacht werden?» fragte Trina Magi von der Vereinigung der Bibliotheken von Vermont kürzlich an einer Informationsveranstaltung zur Patriot Act. Das Gesetz erlaube den Behörden, Bibliotheksbenützer zu überwachen, auch wenn nicht der geringste Hinweis auf ein kriminelles Vergehen vorhanden sei. 
Die Patriot Act war kurz nach dem 11. September 2001 eingeführt worden, um terroristische Aktivitäten rechtzeitig aufzudecken (siehe unten). Sie erlaubt der Bundespolizei FBI, sämtliche Unterlagen wie Bücher, Dokumente, Zeitungen oder Festplatten von Computern einzufordern. Sie kann auch den Internetzugang der öffentlichen Computer in den Bibliotheken überwachen lassen, um herauszufinden, welche Websites benutzt werden und wohin Mails geschickt werden. Die Bibliothekare dürfen niemandem mitteilen, dass eine Überwachung stattfindet. 
Einsatz für Privatsphäre
Seit der Einführung des Gesetzes im vergangenen Jahr kämpft die Vereinigung amerikanischer Bibliotheken dagegen an, da es nicht nur grundlegende Bürgerrechte verletze, sondern im Namen der Sicherheit grundlegende Freiheiten aufhebe. Sie verabschiedete im Januar eine Resolution, in welcher die Untergrabung der Meinungsfreiheit und des freien Informationsaustausches angeprangert wird. Zudem wird das Bibliothekspersonal aufgefordert, sich für die Privatsphäre der Besucher einzusetzen und Informationen nur herauszugeben, wenn ein richterlicher Beschluss vorliege. 
Dem Protest der Bibliotheken haben sich die Bürgerrechtsvereinigung American Civil Liberties Union und Buchhändler angeschlossen. Im Oktober klagten sie das Justizdepartement ein, um herauszufinden, wie oft die Bundespolizei FBI Bibliotheken, Buchläden und Internetfirmen um Auskünfte angegangen sei. 
Laut Chris Finan, Präsident eines für Meinungsfreiheit eintretenden Buchhändlerverbands, war der Erfolg dürftig: «Das Justizdepartement rückte zwar ein paar Dokumente heraus, aber darin befanden sich keine relevanten Informationen.» 
Finan gibt unumwunden zu, dass die Buchhändler nicht wissen, welche Auswirkungen die Patriot Act auf die Buchläden habe: «Die Pflicht zur Geheimhaltung macht es praktisch unmöglich, eine Erhebung durchzuführen.» Problematisch sei die enorme Machtfülle, die das Justizdepartement mit diesem Gesetz erhalten habe. Viele erinnern sich an die Fünfziger- und Sechzigerjahre, als das FBI routinemässig die Lesegewohnheiten von Intellektuellen und Bürgerrechtlern überprüfte, um sie als Kommunisten zu überführen. 
Terroranschläge verhindern
Bei einer Medienkonferenz versuchte FBI-Direktor Robert Mueller kürzlich, diese Ängste zu zerstreuen. Er erklärte, ihm sei kein Fall bekannt, in dem FBI-Mitarbeiter Bibliotheksunterlagen durchsucht hätten, um herauszufinden, welche Bücher jemand lese. Bei den Anfragen gehe es darum, die Spur von Verdächtigen zu verfolgen, die öffentliche Computer benützten, um mit ihren Verbündeten in Kontakt zu treten. Ein FBI-Sprecher doppelt nach: «Es gibt viele Missverständnisse über die Patriot Act. Auch wir sind Bürger und wollen nicht, dass unsere Rechte untergraben werden. Doch wir wollen weitere terroristische Anschläge verhindern.» 
Vielen Amerikanerinnen und Amerikanern ist die nationale Sicherheit im Moment wichtiger als die Unversehrtheit von Bürgerrechten. Auch die Kritiker der Patriot Act tragen diesem heiklen Balanceakt Rechnung. Doch sie weisen darauf hin, dass das Gesetz zu schwammig sei, um Exzesse zu verhindern. Eine Umfrage des Bibliotheken-Forschungszentrums an der Universität Illinois gibt diesen Befürchtungen Auftrieb: Das Zentrum befragte im letzten Oktober 1505 Bibliotheken; 545 von ihnen waren allein in jenem Monat von den Behörden um Informationen angegangen worden. Im Jahr vor dem 11. September 2001 hatten 703 Bibliotheken angegeben, sie hätten (aufgrund früherer Gesetze) Auskünfte erteilen müssen.
Weit reichende Vollmachten
Die Patriot Act wurde im Oktober 2001, kurz nach den Anschlägen aufs World Trade Center und aufs Pentagon, in Rekordzeit vom Kongress verabschiedet. «Patriot» steht für «Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism» (Beschaffen angemessener Instrumente, um Terrorismus abzufangen und zu verhindern). Das Gesetz entstand aus der Überlegung, dass der eine oder andere Attentäter rechtzeitig vor dem 11. September hätte erkannt werden können, wenn die Nachrichtendienste und die Justiz besser zusammengearbeitet hätten. Laut der Bundespolizei FBI benutzten die Attentäter Computer in Bibliotheken, um ihre Flugtickets zu kaufen und miteinander zu kommunizieren. 
Muslime registriert
Die Patriot Act untergräbt auch das Anwaltsgeheimnis: Gespräche zwischen Anwälten und ihren Klienten dürfen belauscht werden. Massiv verschlechtert hat sich die Rechtsstellung von Ausländern. So können sie ohne konkrete Anklage unbeschränkt lang interniert werden. 
Die aufs Gesetz gestützte Ankündigung der Immigrationsbehörde INS, bis Ende März müssten sich alle Männer über 16 Jahren aus muslimischen Ländern sowie Nordkorea registrieren lassen, hat bei den Muslimen viel Verunsicherung ausgelöst. Denn seit Januar wurden Tausende, die zur Registrierung gingen, verhaftet und teilweise ohne viel Federlesens abgeschoben selbst wenn sie hier in den USA Frau und Kinder haben. 
Die Registrierung die Männer werden interviewt, fotografiert und müssen einen Fingerabdruck geben betrifft alle Muslime, die die USA besuchen oder ohne feste Aufenthaltsbewilligung hier leben. (kra) KARIN REBER AMMANN, WASHINGTON
Quelle: Tageszeitung "Der Bund", Bern, 13.02.2003


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