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Re: Offtopic: Donaueschinger Vandalismus



Walther Umstaetter wrote:
> 
> Sehr geehrter Herr Graf,
> 
> als erstes möchte ich Ihnen dafür danken, daß Sie auf den Mißstand in
> Donaueschingen in dieser Liste so deutlich hingewiesen haben, den ich nicht
> nur für alarmierend halte sondern auch für symptomatisch, und das macht die
> Lage so prekär. Bei den ersten Reaktionen stelle ich einen Fatalismus ("also
> Augen zu und weg damit") fest, über den ich sehr erstaunt bin. Ich glaube
> nicht, daß es uns weiter hilft, in dieser Form auf die Unfähigkeit von
> Politikern, auf anderweitige Fehlinvestitionen im Kulturbereich, oder auch
> noch auf die Modernisierungsaktivitäten der Bibliothekare zu schimpfen. Im
> Gegenteil, ich wäre froh, wenn der hier angesprochene Bestand bereits in
> digitalisierter Form gesichert worden wäre. Der Verlust wäre zumindest nicht
> so groß wie er sich jetzt darstellt und er wäre klarer sichtbar. Gerade
> dieses Beispiel zeigt doch sehr deutlich, daß wir bei der Digitalisierung
> schon viel zu viel Zeit verloren haben.

lieber herr umstaetter,
der dank geht zurueck fuer diesen differenzierten und weiterfuehrenden
diskussionsbeitrag, der mut macht. 

ich moechte an dieser stelle darum BITTEN, MEINE URSPRUNGSMAIL DURCH
WEITERLEITUNG MOEGLICHST WEIT ZU STREUEN, an andere listen,
entscheidungstraeger in politik und bibliothekswesen (auch an Ihre
direktoren) usw.

fatalismus und resignation ist berechtigt, ich weiss dies aus leidvoller
eigener erfahrung seit 1994 - aber nicht tunlich! kurzfristig kann man
kaum mehr etwas tun, aber man kann doch ideen entwickeln, wie die
situation zu verbessern waere oder? und man kann deutlich machen, dass
das oeffentliche interesse an der erhaltung von kulturdenkmalen nicht
zur disposition der kultusbuerokratie steht - einmischung und kritische
kontrolle der behoerdlichen entscheidungen ist gefragt.  

> 
> Nun müssen wir uns aber fragen, was ist jetzt noch zu retten. Ich meine
> damit nicht nur diesen speziellen Fall, sondern auch die noch zu erwartenden
> weiteren Fälle. Es gibt doch gar keinen Zweifel darüber, daß wertvolle
> nationale Kulturgüter nicht veräußert werden dürfen. Und Sie haben doch sehr
> klar und deutlich gemacht, daß der erste Fehler darin liegt, daß ein
> wertvolles nationales Kulturgut nicht richtig eingestuft worden ist. Hier
> bedarf es also einer raschen überarbeiteten Bestandsaufnahme in Form einer
> Datenbank (wie ich sie in Bibliothek in Forsch. u. Prax. 13 (2) S.206-215
> 1989 schon einmal vorgeschlagen habe), die durchaus in die Richtung eines
> Expertensystems entwickelt werden könnte und wohl auch sollte.

dies setzt voraus, dass die fachwelt gegenueber den denkmal- und
kulturgutschutzbehoerden ihre erhaltungsinteressen klar artikuliert,
moeglichst auch ueber die bibliotheksverbaende, da der einzelne
bibliothekar vielfach in dienstliche zwaenge eingebunden ist. ich weiss
von den bibliothekaren, die die entscheidung, die hofbibliothek sei kein
kulturdenkmal, mittragen muessen, dass sie darueber alles andere als
gluecklich sind. 

> 
> Der zweite Punkt, und der ist vermutlich noch wichtiger, liegt darin, daß,
> wie Sie selbst richtig anmerken, ein überhöhtes Übernahmeangebot aus
> Steuergeldern nicht so einfach aufgebracht werden kann.

im fall von donaueschingen hat man offenbar davon abgesehen, weitere
geldquellen (sponsorengelder usw., kulturstiftung der laender) zu
erschliessen.

> Es wäre
> aus meiner Sicht durchaus denkbar, die Gefahr des raschen Abflusses und
> insbesondere die Auflösung von Sammlungen, die als national wertvoll gelten
> können, dadurch zu bremsen, daß ihre digitale Archivierung dem Verkauf
> vorgeschaltet wird.

dies setzt die zustimmung des eigentuemers voraus, wenn kein
denkmalschutz besteht bzw. durchgesetzt wird. das
wissenschaftsministerium b-w sieht keinerlei anlass fuer eine solche
inventarisierung des verkauften bestandes, obwohl die stiftung kulturgut
b-w (ebenfalls wissenschaftsministerium) fuer eine notinventarisierung
geld bereitstellen wuerde.


> Außerdem ist zu klären, ob es nicht zumindest möglich
> wäre, in einer Datenbank zu erfassen, welche Bücher aus einer solchen
> Sammlung, wenn sie nun schon unaufhaltsam zerfällt, wo landen, bzw. welches
> Schicksal sie erfahren. Hier muß doch beunruhigen, daß über das
> angloamerikanische Antiquariat Stillschweigen vereinbart werden kann.
> 
> Es ist doch kulturhistorisch nicht uninteressant, wie die Fürstlich
> Fürstenbergische Hofbibliothek aus einzelnen Sammlungen entstand. Ist es nun
> egal, wie sie sich weiterentwickelt? Unter diesem Aspekt finde ich Ihren
> Hinweis auf die "Virtuelle Rekonstruktion der Hofbibliothek Donaueschingen"
> nicht so abwegig, wie sie wohl gemeint ist. Sie müßte nur auch wirklich
> möglich und finanzierbar sein.

ich habe dabei an das buxheim-projekt eines amerikanischen
wissenschaftlers gedacht, die rekonstruktion der im letzten jahrhundert
versteigerten bibliothek des kartaeuserklosters buxheim:

http://www.yale.edu/german182b/buxheim/buxheim.html

in deutschland sehe ich aber keine bibliothek, die bereit waere, eine
solche dokumentation ueber donaueschingen bei sich anzusiedeln und
dauerhaft zu pflegen.

grabenkaempfe zwischen digitalisierern und bibliophilen sind, denke ich,
nicht hilfreich. dass bei einer digitalisierung und mikroverfilmung
informationswerte verlorengehen, ist klar. aber wenn nichts anderes
moeglich ist, ist mir so etwas lieber als gar nichts.

zur sammlung lassberg (beitrag jochum): lassberg hat seine buecher dem
fuerstenhaus mit kauf uebertragen in der damals begruendeten hoffnung,
dass sie auf dauer erhalten blieben - handschriften und drucke wollte er
bewusst nicht trennen. im uebrigen: eigentum verpflichtet!

freundliche gruesse
klaus graf
http://www.uni-koblenz.de/~graf


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