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Re: Offtopic: Donaueschinger Vandalismus



Sehr geehrter Herr Graf,

als erstes möchte ich Ihnen dafür danken, daß Sie auf den Mißstand in
Donaueschingen in dieser Liste so deutlich hingewiesen haben, den ich nicht
nur für alarmierend halte sondern auch für symptomatisch, und das macht die
Lage so prekär. Bei den ersten Reaktionen stelle ich einen Fatalismus ("also
Augen zu und weg damit") fest, über den ich sehr erstaunt bin. Ich glaube
nicht, daß es uns weiter hilft, in dieser Form auf die Unfähigkeit von
Politikern, auf anderweitige Fehlinvestitionen im Kulturbereich, oder auch
noch auf die Modernisierungsaktivitäten der Bibliothekare zu schimpfen. Im
Gegenteil, ich wäre froh, wenn der hier angesprochene Bestand bereits in
digitalisierter Form gesichert worden wäre. Der Verlust wäre zumindest nicht
so groß wie er sich jetzt darstellt und er wäre klarer sichtbar. Gerade
dieses Beispiel zeigt doch sehr deutlich, daß wir bei der Digitalisierung
schon viel zu viel Zeit verloren haben.

Nun müssen wir uns aber fragen, was ist jetzt noch zu retten. Ich meine
damit nicht nur diesen speziellen Fall, sondern auch die noch zu erwartenden
weiteren Fälle. Es gibt doch gar keinen Zweifel darüber, daß wertvolle
nationale Kulturgüter nicht veräußert werden dürfen. Und Sie haben doch sehr
klar und deutlich gemacht, daß der erste Fehler darin liegt, daß ein
wertvolles nationales Kulturgut nicht richtig eingestuft worden ist. Hier
bedarf es also einer raschen überarbeiteten Bestandsaufnahme in Form einer
Datenbank (wie ich sie in Bibliothek in Forsch. u. Prax. 13 (2) S.206-215
1989 schon einmal vorgeschlagen habe), die durchaus in die Richtung eines
Expertensystems entwickelt werden könnte und wohl auch sollte.

Der zweite Punkt, und der ist vermutlich noch wichtiger, liegt darin, daß,
wie Sie selbst richtig anmerken, ein überhöhtes Übernahmeangebot aus
Steuergeldern nicht so einfach aufgebracht werden kann. Wir haben zur Zeit
eine Nostalgiewelle, die Private Sammler zu Preisen und berechtigt erhofften
Profiten hinreißen, die unsere Kulturgüter schon längst in eine unabsehbare
Gefahr gebracht haben. Banken und finanzkräftige Privatinteressenten in der
ganzen Welt sichern ihr Kapital über Raritäten ab, machen diese damit
teilweise unzugänglich, und als ihr "privates Eigentum" auch in ihrer
Sicherung für die Nachwelt unberechenbar. Sie haben auf diese Problematik
der Vermarktung von Kulturgütern berechtigterweise bereits hingewiesen.

Auch wenn hier der Gesetzgeber gefordert ist (Bei nationalen Kulturgütern
muß man die Feststellung "Eigentum ist Eigentum" wohl etwas differenzierter
sehen.), so kann dieser die Gefahr materiell weit überteuerter Bücher nicht
unberücksichtigt lassen. Die Gesetze zu verschärfen und die Strafen zu
erhöhen ist die naheliegendste Möglichkeite, aber auch die wahrscheinlich
dümmste. Sehr viel intelligenter wäre es dafür zu sorgen, daß bei Gütern
dieser Art klarer unterschieden wird zwischen ihrem Kulturwert, ihrem
ideellen, materiellen und ihrem finanziellen Wert. Letzterer ist in Mark und
Pfennig am einfachsten zu bestimmen, aber auch am leichtesten manipulierbar,
weil man ein paar Freunden nur deutlich zu machen braucht, welchen Vorteil
es für sie hat, wenn ein bestimmtes Objekt statt einhunderttausend DM eine
Million kostet. Sie müssen nur ein ähnliches Objekt selbst besitzen, wovon
die Welt nichts weiß. Darum ist hier die Geheimhaltung der Käufer auch so
beliebt und gefährlich. Wir haben in diesem Bereich z.Z. eine beeindruckende
Scheinwirtschaft. Es sei zur Kontrastierung nur daran erinnert, wie wertlos
Bücher aller Art in Kriegszeiten sind, wenn sie zerbombt oder verheizt
werden.

Es wäre natürlich unsinnig daraus den Schluß zu ziehen, daß Rara nicht
wirklich teuer sind. Die Archivierung von seltenen Büchern erfordert
jährliche Kosten für Platzbedarf, Klimatisierung, Restaurierung und
Sicherung die leicht unterschätzt werden und zu denen die Personalkosten für
die Betreuung noch hinzukommen. So ist es kein Wunder, wenn der Staat
teilweise froh ist, wenn diese Aufgabe von privaten Eigentümern übernommen
wird. Die Frage ist nur, ob diese es auch sachgerecht tun. Außerdem werden
solche Kulturgüter, die nur für die Nachwelt erhalten werden immer teurer,
weil sie sich für die jeweiligen Zeitgenossen nicht amortisieren können.

Bei Raritäten gelten bekanntlich keine normalen Marktgesetze, weil die
Angebote keine echte Konkurrenz haben. Es kann und muß aber verglichen
werden, welche ähnlichen Objekte es noch gibt, in welchem Zustand sie sind,
welchen Gefahren sie ausgesetzt sind und welche Aussagekraft bzw. welche
Bedeutung sie haben. Als ähnlich müssen dabei insbesondere Faksimiledrucke,
Verfilmungen und insbesondere Digitalisierungen angesehen werden. Es wäre
aus meiner Sicht durchaus denkbar, die Gefahr des raschen Abflusses und
insbesondere die Auflösung von Sammlungen, die als national wertvoll gelten
können, dadurch zu bremsen, daß ihre digitale Archivierung dem Verkauf
vorgeschaltet wird. Außerdem ist zu klären, ob es nicht zumindest möglich
wäre, in einer Datenbank zu erfassen, welche Bücher aus einer solchen
Sammlung, wenn sie nun schon unaufhaltsam zerfällt, wo landen, bzw. welches
Schicksal sie erfahren. Hier muß doch beunruhigen, daß über das
angloamerikanische Antiquariat Stillschweigen vereinbart werden kann.

Es ist doch kulturhistorisch nicht uninteressant, wie die Fürstlich
Fürstenbergische Hofbibliothek aus einzelnen Sammlungen entstand. Ist es nun
egal, wie sie sich weiterentwickelt? Unter diesem Aspekt finde ich Ihren
Hinweis auf die "Virtuelle Rekonstruktion der Hofbibliothek Donaueschingen"
nicht so abwegig, wie sie wohl gemeint ist. Sie müßte nur auch wirklich
möglich und finanzierbar sein.

Genauso, wie es einfacher ist, die Entscheidung zu treffen: Bücher kommen in
eine Speicherbibliothek, als sie gleich auszuscheiden, ist es einfacher, in
Zweifelsfällen, in denen die nationale Bedeutung eines Kulturgutes z.Z. noch
nicht zwingend gegeben ist, zumindest eine vorherige Erfassung des Bestandes
in digitaler Form zu fordern, um die Bedeutung besser einschätzen zu können,
und entsprechend die weitere Entwicklung zu verzeichnen. Spätestens das
ungenannte angloamerikanische Antiquariat dürfte recht genau wissen, was es
erworben hat.

Nationales Kulturgut kann sich zumindest teilweise in privaten Händen
befinden, es ist aber je nach Kulturwert nur bedingt privates Eigentum.

MfG

Umstätter



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