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24-Studen-Unsinn



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vorweg: ich bin auch sehr für Öffnungszeiten, die den Leserinnen und Lesern
so weit wie
möglich entgegenkommen. In der Stadtbibliothek Mainz planen wir derzeit
auch, unsere
Öffnungszeiten zu verlängern.

Gegen eine 24-Stunden-Bibliothek sprechen aber nicht nur personaltechnische
Gründe, sondern
ganz wesentlich auch physiologische Gründe.

Wie vielleicht bekannt ist, ist der Mensch festen Schlaf- und Wachrythmen
unterworfen, den sog.
zirkadianen Zyklen. Aufgrund dieser Rythmen unterliegt der Mensch
gleichbleibenden Wellen
von hoher bzw. niedriger Aktivität.

"Erinnern wir uns: Zwischen ein Uhr und vier Uhr früh gibt es einen
zirkadianen Tiefpunkt, und in dieser Zeit ist den statistischen Daten
zufolge die Wahrscheinlichkeit des Sterbens größer als sonst. Es gibt auch
einen zweiten Tiefpunkt unserer Körperfunktionen am Nachmittag ... um
sechzehn Uhr, genau zwölf Stunden nach dem nächtlichen Höchstwert.

Sein Aktivitätshoch erreicht der Mensch "am Vormittag etwa zwischen neun und
elf Uhr. ... Die zweite Spitze stellt sich  etwa zehn bis zwölf Stunden
später ein und konzentriet sich um die Zeit zwischen neunzehn und
einundzwanzig Uhr, wo wir eine zweite Welle  der geistigen Aufgewecktheit
erleben."

(Zitate aus: Coren, Stanley: Die unausgeschlafene Gesellschaft. Rowohlt,
1999. - S. 160 - 161)

Fazit:

Wer vernünftig arbeiten und Höchstleistungen erbringen will, erbringt
Höchstleistungen nicht nachts zwischen 24 und 6 Uhr, wenn der Körper längst
auf Schlaf programmiert ist! Eine Bibliothek zu diesen Zeiten zu öffnen ist
- zumindest aus diesem Aspekt betrachtet - unsinnig.

Und es ist auch kein Gegenargument, zu behaupten, Studenten hätten andere
Lebensgewohnheiten.

>Da Klaus CEYNOWA auf die Benutzerbefragung verweist, sei angemerkt:
>fragen Sie die Studenten einmal, wann heutzutage die Disko öffnet und bis
>wann man diese besucht. Wenn ich richtig informiert bin, fragen sich die
Studenten etwa
>gegen 22 Uhr, wer mit in die Disko geht... In den Studentenheimen wird rund
um die Uhr ein
>anderer Lebensrhytmus praktiziert.

Dann ist natürlich die Forderung von 24-h-Öffnungszeiten für Bibliotheken
natürlich verständlich:

Wer als Student wochenlang pausenlos durchgefeiert hat und dann auf den
allerletzten Drücker in den letzten zwei-drei durchgearbeiteten Tagen und
Nächten seine Seminararbeit abgeben muß, der schreit zwangsläufig nach
24-h-Öffnungszeiten!

Dann sollten wir die Bibliotheken aber bitteschön auch nicht vor 11 Uhr
morgens öffnen, damit wir uns als Biblothekare ausschlafen und den "anderen
Lebenrythmen" anpassen können... ;-)

Ergo:

Eine 24-Stunden-Öffnung der Bibliotheken propagiert indirekt die unsinnige
Vorstellung, Menschen könnten 24 Stunden am Tag, Tag für Tag, maschinenmäßig
abrufbar Höchstleistung erbringen. Vernünftiger wäre es, Bibliotheken trügen
dem menschlichen Bedürfnis nach Nachtruhe Rechnung und ließen - auch im
Sinne wirklich effizienter Arbeit - ihre Tore ganz bewußt von 24.00 bis 0600
geschlossen!

Mit kollegialen Grüßen

Martin Steinmetz
- Auskunft -
Stadtbibliothek Mainz



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